Sonntag, 15. September 2013

Sä'eoio ahì'i /Eine kleine Zeremonie

Hì'ia sä'eoio, taluna Ne'weyur tìflä lamu tengkrr peyä taron a'awve.
(Eine kleine Zeremonie, weil Ne'wey während ihrer ersten Jagd Erfolg hatte.)

Sonst ist sie ja meist die erste, doch heute wache ich einmal vor Maytame, meinem Sternchen auf. Sie schläft noch fest und nur ihr kleiner Schweif bewegt sich etwas um sie herum. Ich beobachte sie eine ganze Weile, bis sie dann ihre Augen aufschlägt und mir direkt in meine Augen schaut. Sie strahlt mich an und kaut währenddessen etwas auf ihren Fingern herum. Wenn sie mich so ansieht, beginnt mein Herz jedesmal zu schlagen. Wieder einmal erinnern mich ihre dunklen Augen an meinen muntxatan (Ehemann), den ich sehr vermisse und nach dem ich bald, sollte ich kein Zeichen über seinen Verbleib bekommen, ebenfalls suchen werde. Doch dies muss noch etwas warten, denn dann nehme ich meine Tochter mit auf die Reise.

Einige von uns schlafen noch, daher schleiche ich leise mit ihr aus der Höhle. Seysyu hat wieder einen großen Holzstapel gesammelt und frische Früchte sind auch genug vorhanden. So ist heute für mich nichts besonderes zu tun und ich kann endlich das vorbereiten, was ich für Ne'wey geplant habe. Ich möchte mit ihr das kleine Ritual abhalten, das wir für jeden Jäger machen, der erfolgreich von seiner ersten Jagd heimkehrt. Um uns bei Eywa zu bedanken, entnehmen wir dem erlegten Tier das Herz und vergraben dieses an einer Stelle, die der erfolgreiche Jäger selber wählen darf. Dazu sprechen wir Eywa gemeinsam einen Dank aus.

Nachdem ich Ne'wey und Tsaro alles erklärt habe, bietet dieser uns sofort seine Hilfe an. Wir gehen also gemeinsam zu dem Yerik (hirschähnliches Tier), das wir erst zwei Tage zuvor zum Ausbluten an einem Holzgestell aufgehängt hatten. Ich bringe Maytame zu den anderen in die Höhle, sie war eben wieder eingeschlafen, lege  dann die zuvor gesammelten Blätter und eine größere, leere Schale, in der wir das Blut sammeln können, neben unserem Gestell ab.

Tsaro ist wirklich sehr geschickt. Er weiß genau, dass wir das Fell vielleicht noch anderweitig verarbeiten wollen und schneidet daher nur dort, wo es unbedingt nötig ist, um an das Herz des Yeriks (hirschähnliches Tier) heran zu kommen. Vorsichtig legt er das Herz dann auf die von mir vorbereiteten Blätter, die ich zu einem kleinen Paket zusammenfalte. Dabei gehe ich ebenfalls sehr behutsam vor.

Wir gehen dann zunächst zum See, um uns das Blut von den Händen abzuwaschen. Ne'wey hat sich schon einen Ort ausgesucht, an dem sie das Herz vergraben möchte, daher bitten wir sie, uns dorthin zu führen. Tsaro ist sehr aufmerksam. Ich beobachte ihn unwillkürlich, während wir marschieren. Man merkt ihm deutlich an, dass er über viel Erfahrung verfügt. Außer die Umgebung, scheint er auch ein Auge auf Dallan zu werfen, der uns ebenfalls begleitet. Tsaro hatte ihn vorhin bei der Höhle zunächst sehr skeptisch und zurückhaltend begrüßt, aber seinen Händedruck doch erwidert.

An unserem Ziel angekommen, knien Ne'wey und ich uns hin und beginnen eine kleine Grube auszuheben. Sie ist gerade groß genug, um das kleine Bündel hineinlegen zu können. Tsaro und Dallan sichern derweil unsere kleine Gruppe. Dann beginne ich unser kleines Ritual. Ich spreche etwas leiser, da wir uns ja hier mitten im Wald befinden, wo uns jederzeit Feinde auflauern könnten:. Ich bedanke mich zunächst bei der großen Mutter für die erfolgreiche Jagd und spreche ein kleines Gebet, in dem ich auch dem von Ne'wey getöteten tsmukan (Bruder) noch einmal danke. Dann gebe ich das Wort an Ne'wey weiter, die ebenfalls einen Dank ausspricht.

Tsaro und Dallan unterhalten sich und ich glaube zu bemerken, dass Tsaro ihn zwar als Mitglied unseres Clans akzeptiert, ihm aber dennoch ein wenig zweifelnd gegenüber steht. Ich kann es verstehen, es ist schon sehr ungewöhnlich, dass ein Mensch in einen Clan aufgenommen wird. Ich werde Tsaro alles genau erklären. Ich bin sicher, er wird mich dazu befragen.

Das Ritual ist noch nicht ganz beendet, als ein lauter Knall sie Stille des Waldes jäh zerreißt und Dallan schmerzerfüllt aufstöhnt. Aus seiner Waffe hatte sich ein Schuss gelöst und wir schauen ihn mehr als nur fragend und erschrocken an. Zwar entschuldigt er sich sofort bei uns, trotzdem bin ich in diesem Moment sehr gekränkt, dass er das Ne'weys Ritual so respektlos unterbrochen hat. Tsaro  hat vollkommen Recht, als er Dallan missbilligende Blicke zu wirft und ihn fragt, ob dies denn seine Art sei zu zeigen, dass er ein Krieger unseres Clans ist. Ich ignoriere Dallan, als wir drei dann an ihm vorbei gehen, um unseren Heimweg anzutreten, denn ich bin schockiert und auch tief berührt. Bisher war ihm so etwas noch nie passiert. Ich beschließe, ihn später alleine darauf noch einmal anzusprechen.

Aus meinen Augenwinkeln sehe ich, dass Dallan dann einen anderen Weg wählt. Ich vermute, dass er zu der Menschenbasis gehen wird. Wir setzen jedoch unseren Weg fort und Tsaro und Ne'wey sichern unsere nun etwas kleiner gewordene Gruppe. An unserer Höhle angekommen, verabschiedet sich Tsaro mit den Worten: "Me mesmuk (Schwestern), ich werde nochmals losziehen, um den Wald zu erkunden." von uns. So gehe ich mit Ne'wey zu unserem Feuer, nachdem ich meine Tochter aus der Höhle geholt habe. Sie ist inzwischen wach und während ich mit ihr spiele und sie schließlich füttere, unterhalte ich mich mit Ne'wey.

Maytame ist es dann, die wieder für etwas Stimmung sorgt. Sie kichert und lacht, als Ne'wey sie zu sich nimmt. Neugierig, wie sie nun einmal ist, bekommt sie dann Ne'weys Kopfschmuck zu fassen. Doch nach einiger Zeit fällt er ihr herunter und als wir ihn uns dann näher anschauen, stellt Ne'wey fest, dass er kaputt gegangen ist. Obwohl Ne'wey dies ablehnt, beschließe ich, ihr einen neuen machen.

Nach einer Weile kommt Dallan doch noch einmal zu uns. Ne'wey geht mit der Kleinen zum See hinunter, damit ich mit Dallan reden kann. Auch wenn ich wieder den Ärger in mir spüre, bleibe ich dennoch ruhig und frage ihn, wie das passieren konnte. Er entschuldigt sich nochmals sehr aufrichtig und erklärt mir, dass er niesen musste und dass er dabei an seine Waffe gekommen sei, die er nicht gesichert hatte. Ich schlage ihm vor, dass er beim nächsten Mal lieber einen Bogen oder keine Waffe mitnehmen soll, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann.

Er nickt und bitte mich dann, ob ich nach seiner leicht verletzten Schulter sehen kann. Nachdem ich mir seinen Arm angeschaut habe, bitte ich ihn, mit an den See zu kommen, denn hier gibt es ein Moos, dass solche Verletzungen gut kühlen kann. Wir treffen auf Ne'wey, die sich sehr liebevoll um mein kleines Sternchen kümmert und mit ihr spielt. Ich lege Dallan etwas Moos auf seine Schulter und bitte ihn, den Arm etwas ruhig zu halten.

Maytame scheint müde zu werden, denn Ne'wey legt sie mir schließlich in die Arme. Dallan holt sein pa'li lefngap (Fahrzeug) und fährt es zurück zu seiner Menschenbasis, nicht jedcoh, ohne sich von uns zu verabschieden. Ne'wey und ich begeben uns dann zu unseren Schlafplätzen und ich lege meine Tochter auf unser Lager, um sie dann in meine Arme zu schließen und ihr nach einem Kuss auf ihre Stirn schöne Träume zu wünschen.

Möge die große Mutter uns alle beschützen und auch Tsaro, der im Wald unterwegs ist, den richtigen Weg zeigen...

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