Donnerstag, 11. April 2013

Kaym Winataronhu / Abend mit Winataron

Keeli Tsìlpeyti  tìng oer fwa tsun tswivayon Seyhu Iknimayane
(Kee gibt mir Tsìlpey, um mit Sey zu den Iknimayafelsen zu fliegen)

Nachdem ich heute wieder einmal sehr früh aufstehe, gehe ich zum vitra utral (Baum der Seelen), um dort wieder für meinen muntxatan (Ehemann) Winataron zu beten. Eine lange Zeit verbringe ich dort alleine, lausche den Stimmen unserer Ahnen und spreche in Gedanken zu Eywa, der großen Mutter. Es ist ein angenehmer Morgen, die Luft ist nur ein wenig kühl und die ersten Sonnenstrahlen lassen unser Tal nach und nach in rötlich goldenem Licht erstrahlen.
Als ich mich dann, noch etwas in Gedanken, auf den kurzen Heimweg mache, bleibe ich kurz auf der Brücke, die an unserem Wasserfall vorüber führt, stehen. Dann höre ich entfernt ein Pa'li (Schreckenspferd) trappeln und schaue mich um. Mit großer Freude erkenne ich, dass Winataron heimgekehrt ist und eile ihm entgegen, um ihn in meine Arme zu schließen.

Wir begrüßen uns liebevoll und innig und beschließen dann, uns zusammen ans Feuer zu setzen, da er mir von seiner Reise, von der er gerade eben wieder zurück gekehrt ist, erzählen will. Er berichtet dann, dass er nochmals in unser altes Tal geflogen sei und dass es dort nun noch schlimmer aussähe, als bei seinem letzten Besuch dort. Ich hatte es fast befürchtet...

Von einem nahe gelegenen Hügel kommt Txuratxan, wir nennen ihn immer nur Txu, ebenfalls zu uns und begrüßt uns, wie immer freundlich. Nur wenige Augenblicke später kommen dann Kee'lanee und Sey, der die kleine Tsìlpey auf seinen Armen trägt, ebenfalls ans Feuer. Doch sie verweilen nicht lange, denn Kee bittet mich, auf das Baby aufzupassen, da die beiden, wie sie sagen, etwas oben in den Bergen nachsehen wollen.

Natürlich weiß ich, dass sie nach langer Zeit einmal wieder alleine für sich sein wollen und so erfülle ich ihnen den Wunsch gerne und nehme die Kleine zu mir. Außerdem mag ich Tsìlpey wirklich sehr. Dazu kommt noch, dass, sollten Wina und ich auch einmal Nachwuchs bekommen, sie dies ebenfalls für uns tun würden. So setze ich mich mit ihr neben meinen yawntu (Liebsten) und wir schauen Sey und Kee nach, als sie mit ihren Ikranen dem Himmel entgegen fliegen. Ich frage mich, wieso sie nicht gemeinsam auf einem Ikran fliegen...?

Txu, der sich irgendwie einsam zu fühlen scheint, bittet darum, in den Wald gehen zu dürfen, was wir ihm nicht ausschlagen. Nach einer kurzen Verabschiedung prüft er gewissenhaft sein Messer und seinen Bogen und macht sich dann, uns noch einmal zuwinkend, auf den Weg in Richtung Wald.

Winataron und ich sind nun mit Tsìlpey alleine und ich beginne mit ihr zu spielen, während ich mich gleichzeitig mit meinem muntxatan (Ehemann) unterhalte. Zunächst stelle ich ihm die Kleine jedoch nochmal vor, denn er kennt sie ja bisher leider kaum, da er so oft alleine unterwegs ist. Aber die beiden scheinen sich zu verstehen, denn Tsìlpey lässt sich vergnügt von Wina kitzeln. Ich glaube, er mag sie auch sehr und er bestätigt mir dies, als er meine entsprechende Frage bejaht.

Das Mädchen spielt derweil mit dem kleinen Holzstab, den ich neulich gefunden und den ich ganz glatt geschliffen habe, damit sie sich und niemand anderen damit verletzen kann. Wina und ich kommen auf das Thema Kinder zu sprechen und ich frage ihn offen, ob er sich ein Leben als sempul (Vater) mit einem Kind vorstellen kann. Hatte ich zuerst vermutet, dass er mich nun mit großen Augen verwundert anschauen würde, muss ich mir jetzt eingestehen, mich geirrt zu haben, denn er teilt mir, mich dabei liebevoll anlächelnd mit, dass er sich dies sehr gut vorstellen kann. Dann erklärt er mir, und es scheint fast mehr eine Frage zu sein: "Ma Kxìrya ich würde mich sehr freuen, wenn Du die Mutter unserer Kinder werden würdest."

Er spricht in der Mehrzahl, stelle ich verwundert und zugleich erfreut fest und als ich dann sehe, wie er mit der Kleinen spielt, wie er sie kitzelt und mit ihr spricht, bekomme ich ein wenig Herzklopfen. Er schaut mich dann sehr lieb an und sagt mir, dass er ganz fest glaubt, dass ich eine tolle sa'nu (Mama) sein werde, wenn es bei uns einmal so weit ist. Na ja, ich muss eingestehen, wenn ich Tsìlpey auf dem Arm habe, dann verändere ich mich in dieser Zeit irgendwie. Ich kann es nicht einmal genau beschreiben.

Die Kleine hat jedenfalls sichtlich Spaß an ihrem kleinen Speer und wedelt damit wild um sich und hin und wieder trifft sie uns beide damit auch an Armen und Schultern. Doch es tut nicht weh und wir spielen dann immer die Schwerverletzten. Tsìlpey gluckst und lacht immer laut auf. Es ist einfach wundervoll, zu sehen, wie sie jeden Tag etwas dazu lernt und immer größer wird. Sie wird bestimmt einmal eine gute Jägerin...

Ich bemerke dann, dass sich am Torbogen vor unserem Lager etwas rührt und, da ich nicht weit genug sehen kann, nehme ich nur die glucksenden Geräusche des kleinen syaksyuk (Affen) wahr, der wohl wieder einmal vor unserem Lager herum schleicht. Auch Wina bemerkt ihn dann und wir verhalten uns ganz still um zu sehen, ob er vielleicht etwas näher kommt. Doch Kees Töchterchen macht uns ungewollt einen Strich durch die Rechnung, denn die plappert plötzlich: "empuuuu... keeheehee..."  Wina und ich schauen uns gegenseitig an und ich bekomme unwillkürlich ein Lächeln ins Gesicht. Waren das ihre ersten Worte?  Der syaksyuk (Affe) huscht sehr schnell wirder in den Wald zurück. Aber ich weiß, er wird immer wieder kommen und wer weiß,  vielleicht belibt er einmal länger hier und überwindet seine Scheu.
Als dann später Kee'lanee und Sey mit ihren Ikranen wieder bei uns im Tal landen und ich, wie nebensächlich, sage: "Heyyy, da kommen sa'nok (Mutter) und sempul (Vater) zurück." geschieht etwas sehr schönes. Tsìlpey ruft lauthals abermals: "empuuuuu... keeheehee...", was die beiden auch sogleich freudestrahlend wahrnehmen. Sey scheint sein Herz in diesem Moment aufzugehen und auch Kee strahlt über das ganze Gesicht. Doch Kee ist sehr müde und sie beschließt, sich sehr schnell zurückzuziehen. Ich bemerke an Seys Blick, der ihr nacheilt, dass er sie wohl nicht lange auf sich warten lassen will, doch wir reden noch einige Worte miteinander und ich lege Tsìlpey währenddessen in seine Arme.

Dann geschieht urplötzlich etwas, das mich etwas traurig macht und das mich wohl mehr als fragend zu Sey aufsehen lässt. Mein yawntu (Liebster) steht urplötzlich einfach auf und geht wortlos ebenfalls in die Höhle. Ich rufe ihn zwar noch etwas nach, aber er dreht sich nicht einmal mehr zu mir um. Unverständnis ausdrückend schaue ich Sey etwas traurug an und er fragt mich, ob während der Abwesenheit der beiden etwas vorgefallen sei, was ich ihm absolut nicht bestätigen kann. Ich erkläre ihm, dass wir mit Tsìlpey gespielt, viel Spaß miteinander gehabt und dass wir uns unterhalten haben.

Sey schaut mich nachdenklich an und vermutet: "Vielleicht wollte er Kee noch sprechen, bevor sie schläft?"  Doch warum hat er kein Wort gesagt und ist einfach wortlos gegangen?  Habe ich ihn irgendwie oder mit irgendetwas verletzt?  Ich überlege hin und her, komme aber zu keinem Ergebnis. Sey sieht mir meine diesbezühliche Traurigkeit an und versucht mich aufzumuntern. Einen Moment lang überlege ich aber dennoch, ob ich einfach fortlaufen und irgendwo anders übernachten soll. Als Sey aber dann vorschlägt, dass wir einmal nachsehen sollten, was die beiden in unserer Höhle machen, überlege ich es mir anders. So gehen wir dann auch zur Höhle hinüber.

Im unteren Bereich können wir niemanden entdecken und so klettere ich hinauf zu der Feuerstelle und den Schlafplätzen. Sey folgt mir. Kee liegt bereits in tiefem Schlaf. Ich kann das alles einfach nicht verstehen und setze mich stumm, mit um meine angewinkelten Knie geschlungenen Armen in eine Ecke. Sey ist nach einigen Momenten dann, eng an Kee'lanee gekuschelt, eingeschlafen, Tsìlpey liegt bei den beiden. Ich schaue noch einige Zeit zu meinem muntxatan (Ehemann) hinüber, der ebenfalls tief und fest schläft. Während mich dann irgendwann die Müdigkeit ebenfalls übermannt, stelle ich mir immer wieder ein und die selbe Frage: "Was ist passiert?"

Von einem Gefühl, als würde etwas an mir kratzen, erwache ich plötzlich und stelle fest, dass es tiefe Nacht ist. Ich hatte mit dem Rücken an der Steinwand der Höhle gelegen und mich dabei etwas am Rücken gekratzt, wovon ich jetzt aufgewacht bin. Sey, Kee und Tsìlpey schlafen ruhig und eng aneinander gekuschelt auf ihrem Lager. Ebenso Winataron, der in einem der anderen Cocoons liegt. Wieder habe ich die Frage: "Was ist da vorhin geschehen?" im Kopf und überlege, ob ich mich zu ihm legen soll, oder ob ich einfach hier sitzen bleibe. Dann erst stelle ich fest, dass ich im Schlaf geweint haben muss, denn meine Knie und mein Gesicht sind noch ganz nass. An einen Traum kann ich mich jedoch nicht erinnern...

Doch schließlich bestimmen mein Herz und meine Liebe zu Wina dann wieder mein Handeln. Ich stehe langsam auf, gehe sehr leise zu unserem Schlafplatz hinüber und lege mich, dabei mich eng an ihn schmiegend, neben ihn. Trotzdem muss und werde ich mit ihm über diese Sache reden...

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