Mittwoch, 30. Oktober 2013

Smìmìri tìfwew / Spurensuche

Fko syaw Tsweo por ulte za'u po ta  olo' a txampayro.
(Man nennt ihn Tswero und er kommt von einem Clan am Meer.)

Die letzte Nacht verlief, dafür danke ich der großen Mutter sehr, recht ruhig. Entgegen meiner leichten Befürchtungen hatte der Verletzte Na'vi offensichtlich durchgeschlafen. Sollte er Schmerzen gehabt haben und davon aufgewacht sein, dann hat er sich dies jedenfalls nicht anmerken lassen. Da meine taronyu ahì'i (kleine Jägerin) noch fest schläft, schleiche ich mich von den Schlafplätzen aus zur Feuerstelle, um nach Tswero zu sehen. Frische Verbandstücher und die Reste meiner Heilmittel hatte ich bereits gestern bereit gestellt. An der Feuerstelle ist noch alles ruhig und verlassen. Nur Tswero liegt ruhig und tief atmend auf der Trage. Ich setze mich ein Stück weit neben ihm auf ein Fell und esse etwas. Maytame wird bestimmt auch gleich munter, denn die Sonne wirft bereits ihre ersten Strahlen auf unser Lager.

Nach einer Weile bemerke, dass sich an unserem Torbogen etwas regt. Sey und Ne'wey machen sich bereit, um gemeinsam loszufliegen. Sie wollen den tawtute (Himmelsmenschen) suchen, der Ne'wey verletzt hatte und der Dallan, zu allem Übel auch noch bewaffnet, entkommen konnte. Ich gehe kurz zu den beiden, um sie wenigstens zu begrüßen und ihnen viel Glück für ihre Reise zu wünschen. Möge die große Mutter sie ihre Reise erfolgreich beenden lassen und sie gesund wieder zurück zu uns bringen.

Die beiden besprechen kurz einige Dinge, dann rufen sie ihre meikran (beiden Banshees), die nicht lange auf sich warten lassen und mit mächtigen Flügelschlägen dicht bei unserer Höhle landen. Noch einmal winken wir uns zu und es ist nicht nur ein Gruß, den wir uns zuschicken, dann steigen sie in den Himmel hinauf und fliegen der aufgehenden Sonne entgegen. Ich gehe zurück zur Feuerstelle und beende mein angefangenes Frühstück. Eine leise Stimme lässt mich dann aufhorchen. Sie sagt: "Rewon lefom ma Kxìrya. Srake holahaw nìmwey?" ("Guten Morgen, Kxìrya. Hast Du gut geschlafen?")  Ich nicke dem Fremden zu und entgegne kauend: "Sran, nìlun. Ngar tut?" ("Ja, natürlich. Und Du?")

Meiner Frage nach Schmerzen weicht er etwas aus, daher glaube ich, dass er sie nur geschickt vor mir verbirgt. Da er mir bisher die Frage nach seinem Namen noch nicht beantworten konnte, frage ich ihn erneut danach und er antwortet: "Fko syaw Tswero oer." ("Man nennt mich Tswero")  Ich reinige dann seine Wunden, trage ihm neue Heilpasten auf und verbinde ihn schließlich wieder neu. Währenddessen erzählt er mir, dass er von einem Clan stammt, der direkt am großen Ozean liegt, der aber auch inzwischen durch die Hände der sawtute (Himmelsmenschen) ausgelöscht worden sei. Auch, so betätigt er mir dann meine Vermutung, dass seine Wunden von einem Tier stammen: "Ein Palulukan (Thanator) verfolgte mich und griff mich an." erklärt er. Die Bilder meines Unfalls kommen mir in den Sinn und ich muss an das denken, was Sey berichtete, als er zu uns zurück kam.

Tsweros Wunden heilen sehr gut. Ich mag nicht übertreiben, aber wenn es so weiter geht, wird er meine Hilfe als Heilerin schon bald nicht mehr allzu nötig haben. Doch das kann mir nur recht sein, denn dann habe ich wieder etwas mehr Zeit für andere Dinge und werde auch beruhigter schlafen können. Auch möchte ich gern wieder einmal jagen gehen oder zu unserer großen Mutter. Seit Seys Rückkehr bin ich nicht mehr bei ihr gewesen...

"Ma'sa'suuuu..." kommt Maytame mit schallender Stimme dann zu uns gelaufen und reißt mich mit ihrem kindlich kichernden: "Kaltxì!" ("Hallo!") aus meinen Gedanken.  Sie war, wie sie uns schnell verrät, schon etwas länger wach, hatte sich aber in der Höhle etwas zum Spielen gesucht. Sie fragt mich dann, ob sie mit den Holzkugeln spielen darf, die immer noch draußen auf dem großen Platz herum liegen. Ich muss an unser neues Spiel denken, dass wir erst vor wenigen Tagen, eigentlich eher zufällig, entdeckt hatten. Ne'wey, meine Tochter und ich hatten sehr viel Spaß dabei, die Kugeln zielgenau über den Boden zu rollen und selbst Sey, der erst später hinzu kam, wurde zu einem hi'ìa taronyu a'ewan (kleinen,  jungen Jäger), obwohl er sich anfänglich etwas zurück hielt. Maytame bakam von Sey und Ne'wey nun den Spitznamen taronyu fa ayrum (Jägerin der Kugeln). Sie ist immer sehr glücklich, wenn sie von den anderen beinahe wie eine richtige Jägerin behandelt und in viele Dinge mit einbezogen wird. Der Gedanke, den Sey neulich einmal aussprach, dass wir wohl bald einen Bogen für sie werden bauen müssen, scheint zur richtigen Zeit gekommen zu sein. Aber noch ist es etwas hin und bevor es ans Bogenschießen geht, muss Maytame erst einmal andere Dinge lernen.

Tswero bittet mich dann sehr überraschend: "Ma Kxìrya, hilf mir bitte einmal hoch. Ich würde gerne versuchen, wenigstens ein paar Schritte zu gehen."  Ich muss zugeben, dass diese Bitte mich eigentlich nicht einmal verblüfft, denn sie bestätigt meine ersten Eindrücke von ihm, dass er wohl einen starken Willen und ein ebensolches Herz hat. Zwar kostet es mich viel Kraft, ihn festzuhalten und zu stützen, aber gemeinsam gehen wir dann ein paar Schritte um unsere Feuerstelle herum. Aus der Ferne höre ich Maytame vor der Höhle mit den Holzkugeln klappern, sodass ich meine Aufmerksamkeit auf Tswero richten kann. Ihn scheint dieser erste, kurze Ausflug jedoch mehr zu fordern als mich, denn es dauert nicht lange und ich bemerke, dass er immer schwerer wird, sodass ich schließlich entscheide, ihn wieder auf sein Lager zu legen.

Es sind nur ein paar Schritte bis dorthin, doch die Zeit verfliegt nur so und erst als von draußen her laute Flügelschläge und das Krächzen ihrer Ikrane (Banshees) Seys und Ne'weys Rückkehr ankündigen wird mir bewusst, wie lange Tswero für diese kurze Strecke gebraucht hat. Aber es kommt nicht auf die Geschwindigkeit an. Von mir aus soll er eine ganze Nacht für einen Schritt brauchen. Viel wichtiger ist, dass er wieder gesund wird, denn ich glaube, dass er, sollte er längere Zeit bei uns bleiben wollen, eine Bereicherung für die Rey'engya sein könnte. Allerdings brauchen wir keine halben Jäger oder Krieger...

Sey und Ne'wey sind offensichtlich mehr als erstaunt, als sie Tsweros letzte Schritte bis zu seinem Lager mitansehen. Ich sehe ihnen ihre Verwunderung deutlich an, erkenne aber zugleich auch, dass ihre Reise sie wohl sehr müde gemacht hat. Ihr anfängliches Schweigen, als sie dann mit uns am Feuer sitzen, bestätigt diese Annahme umso mehr. Sey berichtet dann in knappen Worten, dass der tawtute (Himmelsmensch) , den Dallan seinen Bruder nannte, dessen Angriff wohl aller Wahrscheinlihkeit nach doch überlebt haben muss. Obwohl sie zunächst nichts sagt, erkenne ich am Ausdruck Ne'weys ganzen Körpers ihre Bestürzung, ihre Ansgt und vielleicht auch so etwas wie Wut.

Tswero bekommt von alldem nichts mit. Offenbar haben ihn die wenigen Schritte doch derartig angestrengt, dass er, kurz nachdem ich ihn hingelegt und seine Wunden noch einmal versorgt habe, eingeschlafen ist. Gleiches tut Maytame auch, die, während Sey erzählte, zu mir kam und schon sehr bald darauf in meinen Armen einschlief. Der Einzige, dessen Beobachtungen im Moment noch ausstehen, ist Tsaro, der seit einigen Tagen mit seinem Ikran (Banshee) unterwegs ist, um das umliegende Land zu erkunden. Ich hoffe, er wird mit guten Nachrichten zu uns zurückkehren...

Während ich meinem kleinen Mädchen, als wir auf unserem Schlaflager liegen, sanft einige Haarsträhnen aus dem kleinen Gesciht streiche, höre ich Ne'wey etwas schwer atmen. Ich verstehe ihre Sorgen und ich verstehe ebenso, dass sie sich wohl fragt, wieso sie diesen tawtute nicht ohne jedes Zögern sofort getötet hat?  Auch ich stelle mir diese Frage, denn ich hätte, als er Ne'wey damals verletzte, keine großen Shwierigkeiten damit gehabt und wir alle hätten jetzt eine große Sorge weniger. Ehe ich einschlafe, hallt mir die Frage durch den Kopf, die Sey so unzählige Male schon gestellt hat: "Verändern uns die sawtute (Himmelsmenschen) mehr und mehr?"...

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