Freitag, 10. April 2020

Sweylayu livu oe sempul srak - Hapxì a'awve | Soll ich Vater werden? - Teil 1


Testu fko syaw oer ulte lu tsamsiyu Rey'engyayä (Ich heiße Testu und bin Krieger der Rey'engya). Eigentlich komme ich aus dem Clan der Ku'ur, aber ich lebe schon sehr lange bei den Rey'engya und ich bin stolz darauf, diesem Clan dienen zu können. Meine Geschichte habe ich bisher für mich behalten. Nur Tsahìk (spirituelle Clanführerin) Kxìrya und Olo'eyktan (Clanführer)  Sey kennen sie, denn ich schäme mich, sie meinen anderen smuktu (Geschwistern)  zu erzählen. Doch nun habe ich mein Schweigen gebrochen, denn ihr musste ich es einfach erzählen, weil sie mir sehr vertraut - und weil ich verliebt in sie bin. Ihr Name ist Neyri.

Doch ich will es Euch von vorne erzählen. Alles begann damit, dass ich von meinem Elternclan verstoßen wurde, als ich noch sehr jung war (ca 15 Jahre alt). Meine sa'sem (Eltern) stimmten zu, als der Clan es beriet und es war gut so, denn ich hatte ihnen Dinge angetan, die andere Kinder ihren Eltern, ihren Freunden und ihrem Clan niemals antun würden. Vielleicht habe ich darum niemals Freunde gehabt, bis ich den Clan von Kxìrya und Sey fand.

Meine Kindheit habe ich immer sehr einsam verbracht. Ich baute mir einfache Waffen, wie sie jedes heranwachsende Kind hat und ich nahm anderen Kindern ihr Spielzeug und manchmal auch andere Dinge weg, ohne sie zu fragen oder sie darum zu bitten. Ja, ich bin ein Dieb und so kam es, wie es kommen musste. Der Clan der Ku'ur brachte mich in einen Wald und sie überließen mich dort mir selber.

So zog ich durch die Wälder, immer auf der Suche nach einem Lager für die Nacht. Manchmal fand ich Höhlen, in denen ich schlief, ich lernte zu jagen und mir richtige Waffen zu bauen und so manches Mal fand ich Unterschlupf bei anderen Clans. Bis auf wenige Ausnahmen nahmen mich alle freundlich auf, bis sie dann bemerkten, dass ich auch von ihnen Dige genommen hatte, ohne jemandem etwas zu sagen. Das Resultat war immer das gleiche. Entweder sie jagten mich davon oder sie brachten mich irgendwo hin, weit entfernt von ihren helutral (Heimatbäumen) und Höhlen.

Eines Tages jedoch, ich konnte nicht ahnen, dass dies mein Leben völlig verändern würde, traf ich auf den Clan er Rey'engya. Deren Tsahìk (spirituelle Clanführerin) Kxìrya und Sey, der Clanführer, nahmen mich auf, wie viele vor ihnen auch. Doch etwas war anders. Sie lehrten mich, einen anderen Weg zu gehen, den des Rey'engya Clans und heute bin ich stolz darauf, diesem Weg folgen zu dürfen. Kxìrya lehrte mich viele Dinge und obwohl sie von meiner Jugend weiß, verurteilt sie mich nicht dafür, sondern sie und auch Sey fanden einen Weg, denn Sey bildete mich zu einem Krieger aus und ich bekam entsprechende Waffen. Seither darf ich den Clan beschützen, wenn es nötig ist und ich tue es gerne.

Doch auch hier bin ich oft einsam, aber ich habe mich daran gewöhnt. Zwar habe ich hier viele smuktu (Geschwister), die mich respektieren und mögen, ob ich sie aber eylan (Freunde) nennen darf, weiß ich nicht sicher, selbst wenn sie mir beinahe täglich das Gefühl vermitteln. Der Clan der Rey'engya ist der erste Clan, den ich noch niemals bestohlen habe und es auch niemals tun werde, denn durch sie lernte ich etwas, das man nicht stehlen kann und etwas, etwas das viel wichtiger ist als all jene Dinge, die eich meinen bisherigen Geschwistern weggenommen habe. Ich lernte, dass ich etwas zurück bekomme, wenn ich bereit bin etwas zu geben.

Sey lehrte mich zu jagen, mit Waffen umzugehen und andere Dinge und Kxìrya, ich respektiere sie, denn sie lehrte mich vieles, das man ebenfalls nicht stehlen kann und dafür danke ich ihr sehr. Seither ist es meine Aufgabe, den Clan zu beschützen, indem ich, Tag ein, Tag aus, das Lager bewache und die umliegenden Wälder durchstreife, um nach Beutetieren und auch nach Feinden Ausschau zu halten. Nur eines ist mir bisher immer verwährt geblieben: Ein Mädchen an meiner Seite, eine Frau, die ich liebe und respektiere.

Seit jenem Tag aber, als ein junges Mädchen in den Clan aufgenommen wurde, hat sich auch dies geändert. Ihr Name ist Neyri und als sie zu uns kam, machte sie einen verwahrlosten Eindruck. Sie war am ganzen Körper verletzt, sie war blutig und schmutzig, roch sehr übel und sie verstand nicht einmal unsere Sprache, denn sie verständigte sich in einer Sprache, die ich bisher nicht oft gehört habe, die aber von den sawtute (Himmelsmenschen) benutzt wird.

Zunächst machte sie auf mich einen abstoßenden Eindruck, denn ihr Verhalten gefiel mir überhaupt nicht, doch Sey und Kxìrya nahmen sie, ebenso wie einst mich, in den Clan auf und einige Zeit später verbanden sich die Tsahìk (spirituelle Clanführerin) und Neyri sogar vor Eywa miteinander. Anfangs konnte und wollte ich Kxìryas Entscheidung nicht verstehen, denn sie und eine andere, noch dazu so merkwürdige Frau?  Doch ich respektiere ihre Entscheidung.

Neyri wurde älter und Kxìrya bildete sie zunächst zu einer guten Heilerin aus. Neyri lernte zu sprechen, wie wir es tun, sie lernte viele Dinge, die ihre Eltern sie offenbar nicht gelehrt haben und heute spreche ich sehr gerne mit ihr, denn sie hat ihr einstiges Wesen völlig abgelegt. Durch sie lernte ich etwas völlig neues, denn ich lernte, was es bedeutet, jemanden zu lieben.

Wann immer sich eine Gelegenheit bietet, spreche ich mit ihr, nein, sie spricht mich an, denn ich schaffe es oftmals nicht, in ihrer Gegenwart etwas zu sagen. Manchmal beobachte ich sie auch nur. Die Art, sich zu bewegen, zu gehen, zu laufen, die Art, wie sie mit Maytame und Ryatxì, den beiden Kindern umzugehen versteht, all dies mag ich sehr an ihr. Vor einiger Zeit sah ich, wie Kxìrya und Neyri mit den Kindern im See schwimmen lernten und ich konnte mich nicht dagegen wehren, sie dabei zu beobachten. Mein Herz schlägt immer sehr schnell, wenn sie in meiner Nähe ist, ich weiß aber, sie ist Kxìryas muntxate (Ehefrau) und so muss ich dies für mich behalten, denn ich möchte nicht, dass sie mich aus dem Lager hinaus jagen.

Dann jedoch änderte sich dies, denn eines Tages kam sie, Neyri, auf mich zu und was sie sagte, ließ mich erschrecken, es ließ mich aber auch glücklich sein. Neyri bat mich, den Dieb, um ein persönliches Gespräch. Zuerst dachte ich, sie hätte herausgefunden, dass ich sie hin und wieder beobachte. Was soll ich denn machen?  Sie ist einfach wunderschön. Ich würde sie gerne in den Arm nehmen, aber ich weiß, dass ich dies nie werde tun können, denn dazu bin ich zu feige.

Neyri fragte mich, ob sie mir gefällt. Was sollte ich ihr darauf antworten? Würde ich ihr sagen, was ich für sie empfinde, was hätte dies für Folgen?  So antwortete ich ihr, eher aus Respekt, dass sie eine hübsche und kluge Frau ist und auch das hat mich schon viel Überwindung gekostet. Neyri jedoch scheint mich seit jenem Tag zu achten, denn sie spricht ab und an mir mir, sie bringt mir gelegentlich Früchte oder Fleisch, aber sie hat mich noch niemals einen Feigling genannt, wenn ich in ihrer Gegenwart kein Wort heraus bekomme. Ich kann ihr doch nicht einfach sagen, dass ich in sie verliebt bin. Oder doch?

Neyri brachte es dann zu meinem Erschrecken auf genau diesen Punkt und sie ging sogar noch weiter, denn sie bat mich darum sempul (Vater) zu werden. Sie erklärte mir, dass sie sich schon seit längerer Zeit sehr ein Kind wünscht. Da sie und Kxìrya aber niemals ein Kind bekommen können, hat sie lange nach einem entsprechenden Mann gesucht und sie sagte mir, dass sie sicher ist, diesen in mir gefunden zu haben.

Vermutlich habe ich Neyri auf diese Bitte hin angesehen, wie ein betrunkener Palulukan (Thanator), denn ihre Worte trafen mich wie ein Pfeil ihres Bogens und ich fand keine Worte, darauf etwas zu erwidern. Doch sie setzte mich nicht unter Druck, sondern sie erklärte mir, dass ich darüber nachdenken soll und dass sie nicht böse mit mir sein würde, wenn ich dies ablehnen würde.

Seit jenem Tag mache ich mir oft Gedanken, ob ich ihr diese Bitte erfüllen soll. Was wird Kxìrya dazu sagen? Was der Eyktan (Clanführer)? Und was werden die anderen Clanmitglieder denken?  Sicher werden sie mich verachten und dann aus dem Lager hinaus jagen oder sie werden mich töten.

Vor einiger Zeit sprach mich Neyri dann erneut an und diesmal nahm ich all meinen Mut zusammen und gestand Neyri, dass ich in sie verliebt sei. Wieder bekam ich weiche Knie und konnte kaum ein Wort richtig aussprechen. aber sie blieb geduldig. Sie gab mir Zeit und dafür verehre ich sie. Sie hat ein großes Herz, aber ich verstehe vieles an ihr nicht. Sie spricht niemals über ihre Eltern, ihren Clan, in dem sie aufwuchs. Ich weiß eigentlich gar nichts von ihr und dies macht mich traurig. Doch ich wage es nicht, sie danach zu fragen, denn es steht mir nicht zu. Ich weiß nur, dass ich sie liebe.

Ich denke oft darüber nach, was es bedeuten würde, wenn Neyri ein Kind bekäme und ich dessen sempul (Vater) wäre. Könnte ich dann noch den Clan beschützen?  Doch nun ist es vielleicht entschieden, denn heute kamen Tsahìk (spirituelle Clanführerin) und Neyri zu mir. Sie baten mich um ein Gespräch und erklärten mir dann, dass es von Kxìrya keine Einwände gibt, dass ich und Neyri ein Kind bekommen, solange wir uns nicht miteinander verbinden. Das würde ich niemals wagen, denn dazu mag ich Neyri zu gerne und dazu respektiere ich Kxìrya zu sehr. Immer noch pocht mein Herz, wenn ich in ihrer Nähe bin.

Kxìrya schlug vor, dass wir uns alleine an einen Ort zurückziehen sollten, den wir beide gemeinsam wählen und an dem wir miteinander sprechen sollen, um uns kennen zu lernen. Was weiß Neyri über mich?  Was weiß ich von ihr?  Eigentlich nichts. Doch wieder bin ich ein Feigling. Wenn ich sie anschaue, ihre langen Haare sehe, ihre großen und wachen Augen, wenn ich sehe, wie sie sich bewegt, all dies lässt meine Zunge taub werden und ich fühle mich schwach. Ich bin ein Dieb und was wird sie sagen, wenn sie es erfährt und das wird sie, denn ich musste Kxìrya versprechen, all ihre Fragen zu beantworten, so wie auch Neyri meine Fragen beantworten soll.

Wir berieten, zu welchem Ort wir gemeinsam gehen sollten und ich war erstaunt, dass sie auf meinen Vorschlag einging, zu einer großen Baumwurzel zu gehen, die mitten im Sumpfgebiet liegt. So feige, so unsicher, so dumm wie heute war ich noch nie in ihrer Gegenwart. Neyri nimmt mich bei der Hand, als wäre es völlig normal, doch ich fühle mich nicht gut dabei, obwohl ich sie gerne küssen möchte. Wie soll ich es anstellen?  Was soll ich ihr sagen?  Was soll ich tun?

Sie sitzt vor mir und sie schaut mich an. Sie ist so unglaublich hübsch und ich liebe sie, doch ich fühle mich hilflos, wie ein Käfer, den jemand ins Wasser wirft. Wieder kostet es mich Kraft, mich zu überwinden, Ihre Hand zu nehmen und ihr zu erzählen, was und wer ich bin, ein Dieb. Mein Herz pocht sehr, als sie mir etwas völlig anderes darauf entgegnet, als ich es gerade erwarte. Sie verurteilt mich nicht, sondern sie hört mir geduldig zu und ich glaube, sie versteht mich. Liebt sie mich vielleicht auch?  Aber was würde Kxìrya dazu sagen, was Sey und was die anderen?

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