Sonntag, 7. April 2019

Oeyä Mesa’nok amip | Meine zwei neuen Mütter

Wieder einmal machte ich mich auf den Weg trockenes Holz für das Clanfeuer zu suchen.
Es waren in der Zwischenzeit schon einige Tage vergangen als Sey mir meine erste richtige Aufgabe übertrug. Nun stand ich aber vor dem Dilemma: Im Wirkungsbereich des Lagers legte mir der Wald keine frischen Hölzer mehr vor die Füße  und weiter weg dufte ich nicht gehen. Schließlich bot Sey’syu, die Tsamsiyu (Kriegerin) ist mir eine erleichternde Lösung an. Unweit des kleinen Lagers am See verbarg sich eine Felsspalte, welche in einen kleinen Felskrater mündete. Sey’syu führte mich dort hin und zeigte mir mehrere Bündel Holz, welche an den Ästen der Bäume hingen. Sie erklärte daraufhin, welch praktischen Nutzen es hat Brennholz so aufzubewahren und zu trocknen. Es ist natürlich Sinnvoll und hilf mir dadurch auch sehr, nicht selbst in dem Wald gehen zu müssen. Da es die Saronyu (Jäger) eh taten und selbst bei einer misslungenen Jagd dennoch wichtige Dinge für den Clan aus den Wald holten und sei es Holz für die Waffenherstellung oder als Brennholz.


Äußerst rasch merkte ich, dass sich Sey’syu für solche Dinge interessierte, was allein ihr Erscheinungsbild eindrucksvoll verdeutlichte. Alles was Sey’syu am Leibe trug, muss einen Nutzen haben, dementsprechend schlicht war sie auch gekleidet.
Sie ist weniger die Sorte Frau, welche sich mit typischen Aufgaben begnügt. In weiteren Gesprächen erfuhr ich schon vorausahnend jene Vorlieben der jungen Kriegerin. Von Harz verklebter Haut, schmutzigen Fingernägeln und oft einem eher leicht modrigen Duft begleitet, stand sie beispiellos in ihrem Bestreben neue nützliche Dinge für den Clan zu fertigen. Von ihrer Vergangenheit erzählte mir Sey’syu daher nur recht wenig, aber man konnte selbst daran erkennen, dass auch Sie eine eher schwierige Kindheit gehabt haben musste.

Wir saßen inzwischen wieder auf den Yerikfellen am Clanfeuer und so schnell mir Sey’syu bei meinem Problem geholfen hatte, so schnell hatten wir die Zeit vergessen, als wir miteinander sprachen. Erst als der Tag sich dem Ende näherte und die anderen Smuktu (Geschwister) sich am Gemeinschaftsfeuer zusammenfanden, merkten Sey’syu und ich es, worauf wir etwas darüber kichern mussten.

Dann kam auch Kxìrya, die Tsahìk (Schamanin) zu uns und setzte sich neben Sey’syu. Ein Kuss seitens Kxìryas erwischte Sey’syu, ehe diese sie wie folgt begrüßte: „ Kameie ngat ma Yawntu.“(Ich sehe dich, Geliebte“) Ich muss dazu wohl kaum erwähnen wie erstaunt ich in jener Situation war, oder? [xD]

Natürlich sahen es Kxìrya und Sey’syu mir an und nach dem heiteren Grinsen der beiden bekundeten sie  mir offen ihre Liebe zueinander. Rückwirkend muss ich sagen, das Sey’syu eine Kriegerin war, war eher nur die halbe Wahrheit. Viel mehr war sie zu jenem Zeitpunkt, wie auch ich,  eine Numeyu (Schülerin), doch war sie mit ihrer Ausbildung schon so gut wie am Ende angelangt, was unter anderem auch erklärte wieso sie sich nicht mit Kxìrya verband.

Während wir die letzte Mahlzeit des Tages zu uns nahmen, erzählten Kxìrya und Sey’syu mir wie die aufstrebende Kriegerin gefunden wurde und in den Clan der Rey’engya kam. Im eben jenem erwähnten Felskrater gibt es noch heute ein tiefes Loch… Ein unterwasserstehendes Tunnelsystem …Ein Ort der Einsamkeit welcher in Sey’syus Fall nicht von den Sawtute (Himmelsmenschen) errichtet wurde. [Hierbei kurz Angemerkt, jene Geschichte möge euch Sey’syu doch lieber selbst erzählen].

Gleichermaßen wie ich mit Sey’syu zusammen bis zum Abend miteinander sprachen, erzählten die beiden mir bis tief in die Nacht jene Geschichte.  Auch wenn mich das Interesse daran wachhielt und mich die Neugierde das Schlafen vergessen ließ, umso stärker fühlte ich dann meine Erschöpfung,  als die Geschichte von Sey’syu endete. Vielleicht war es genau dieser Moment, als Kxìrya mich so übermüdet sah, der die Erinnerung an ihre Tochter May wieder in ihr Gedächtnis vorrückte. Meiner bis dato distanzierten Haltung zum Trotz, nahm mich Kxìrya zögernd mit beiden Armen hoch und brachte mich schon halb schlafend zu den Hängematten in die Höhle. Zwar war ich noch immer neu im Clan, kannte selbst noch nicht alle Namen, sah selbst wie ein halb gerissenes Yerik (Hexapede – pflanzenfressendes Beutetier) aus, doch spürte Kxìrya mehr in mir als diese oberflächlichen Dinge. Dieses Gefühl von Geborgenheit und Zuwendung war bei mir vorher komplett in Vergessenheit geraten. Sicherlich würde die Tsahìk (Schamanin) auch jeden anderen jungen Na’vi in die Höhle bringen, wenn jener sich nicht mehr richtig auf den Beinen halten kann. Es war aber, so unglaublich es auch klingen mag, doch etwas völlig neues für mich.

Die restliche Nacht war weniger nennenswert. Da ich wie ein Stein schlief.
Mich an meine Aufgabe erinnernd weckte mich Kxìrya sehr früher und zeigte dabei mit ihrer Art, wie ernst sie doch ihre Rolle als spirituelle Führerin des Clans wahrnimmt. Unvoreingenommen ist jeder für sie auf demselben Ast und wird von ihr auch nicht benachteiligt oder gesondert behandelt. Dies erklärte sie mir, da einfach jedes Mitglied des Clans seinen Beitrag an der Gemeinschaft hat. Wenn also ein Einzelner ein Problem hat betrifft es auch den restlichen Clan.

Im ersten Augenblick fand ich dies äußerst Monoton, beinah gleichstellend mit der Wachablösung bei den Sawtute (Himmelsmenschen). Der kleine aber feine Unterschied dazu ist aber der Umgang mit den Geschwistern, selbst wenn vieles als selbstverständlich angesehen wird. Dahingehend lernte ich schnell, dass ein einfaches „Irayo“ (Danke) im Clanleben kaum Verwendung findet. Viel mehr sind es die kleinen, manchmal kaum bemerkbaren Gesten und Ausdrücke welche von Dank zeugten.

Für mich verstand es sich von selbst, dass ich meiner Aufgabe doch sehr pflichtbewusst nachging. Mal dahingestellt, dass es mich nur einen Bruchteil des Tages beschäftigte, verstand ich dennoch den Sinn dahinter. Außerdem gab man mir damit die Möglichkeit jene Dinge nachholend zu lernen, welche für das Volk doch grundsätzlich sind. Da über den Tag hinweg aber die meisten Mitglieder entweder auf der Jagd waren, das Lager bewachten oder die Himmelsmenschen ausspähten, blieben mir oft nur eine Hand voll welche mich unterstützen konnten.

Nicht gerade verwunderlich war es daher, dass ich mich schnell wieder bei Kxìrya einfand. Sie war nicht nur immer im Lager anzutreffen, sondern verstand zum Teil auch mein gebrochenes Na’vi-/Deutsch am besten. Die Tage vergingen dementsprechend sehr unspektakulär, doch lernte ich von ihr mehr, als wenn ich ‘nur‘ Holz heranschaffte. Die Sprache des Volkes und dessen Regeln verstand ich zwar recht zügig, doch machte mir die Aussprache mehr zu schaffen. Oft fiel es mir schwer, mir die vielen neuen Worte und Bedeutungen einzuprägen. Kxìrya hingegen verstand es umso besser mir jene Begriffe darzulegen und machte es für mich in manch witzigen Vergleichen deutlich.

Mit der Zeit kam natürlich eine Verbindung zwischen mir und Kxìrya zustande, was schon bei der morgendlichen Begrüßung begann oder sich in ihrem neckischen Nachhaken bestimmter Wörter äußerte.  Auch wenn sie mich dennoch hart mit der Sprache ran nahm, so respektierte ich ihre Mühen dafür und auch wenn sie es damals nie offen Aussprach war sie stolz auf meine voranschreitenden Leistungen.

Eines Tages spürte ich selbst schon, das Kxìrya mir kaum noch etwas Neues zur Sprache beibringen konnte. Sie gingen daher öfter mit mir in den Wald, um mir dort noch Dinge zeigen zu können, damit ich deren Bedeutung besser verstand. Aber selbst damit verbrachten sie und ich nur noch wenig Zeit und philosophierten lieber über das Leben und den Wald. In einer doch längeren Gesprächspause nahm ich meinen Mut zusammen und sprach meinen Wunsch offen an Kxìrya aus: „ oel new futa sa’nok oeyä slayu nga.“ (Ich möchte, dass du meine Mutter wirst.)

Irgendwo konnte Kxìrya sich diese Frage von mir schon im Vorfeld erahnen. Doch nun wirklich in diese Situation zu kommen verunsicherte sie dennoch. Eine direkte Antwort von ihr blieb im ersten Moment aus, doch wusste sie und sah es mir gut an, welchen Mut ich aufbringen musste, um jenen kurzen Satz über meine Lippen zu bringen. Als ich von der Anspannung immer unruhiger wurde, meine Hände schweißnass waren und meine Finger leicht zu zittern begannen, umarmte mich Kxìrya sanft und schlang vorsichtig ihren langen Schweif um meine Hüften. Sie erklärte mir darauf, dass sie einverstanden war, aber vorher noch mit Sey’syu darüber reden mochte. Danach kam dann von Kxìrya die Frage, ob ich damit einverstanden sei, dass ich somit dann 2 Mütter hätte. Wortlos beantwortete ich ihre Frage mit einem sehr wohlwollenden Nicken.

Im Laufe des Tages kam dann auch Sey’syu aus den Wald zurück und wir sprachen zu dritt über meinen Wunsch. Sey’syu war diesbezüglich weniger überrascht und gab auf ihre typische Art und Weise das Tam („Ok“). Am Abend, als alle Mitglieder des Clans beisammen saßen, teilten Sey’syu Kxìrya und ich eines der Yerikfelle miteinander. Einige konnten wohl schon den Braten förmlich riechen, aber erst als Kxìrya am Clanfeuer vor allen aufstand und die Neuigkeit an die anderen Geschwister verkündete stand es fest. Auch wenn Sey, der Olo’Eyktan(Stammesführer) an vielen Dingen ein übergeordnetes Mitspracherecht besitzt, blieb er sitzen und stand erst auf, als er uns Dreien seinen Segen für unsere Übereinkunft gab.

Seit diesem Tage her, war ich unter den Rey’engya als Neyri te Rey’engya Kxìrya ‘ite ( Neyri, vom Rey’engya-Clan, Tochter von Kxìrya) bekannt. Ein Tag den ich nie vergessen werde.

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