Donnerstag, 13. Juni 2019

Rey'engyaìri Mehey amip | Zwei neue Gesichter

Schon seit einiger Zeit leben Etstu und Surew bei uns im Clan. Während Etstu vom Himmel herab mitten in unseren See fiel, weil er vom Ikran seines Vaters gefallen war, versuchte sich Surew auf eine schon beinahe hinterlistige Art Zugang zu unserem Lager zu verschaffen.
Beide sind noch sehr jung und haben manchmal so ihre Eigenarten und ich werde es sicherlich nicht alleine schaffen, ihnen manche Dinge zu erklären oder beizubringen.

Etstu... Ja, Etstu... Wie soll ich anfangen? Oder wo?
Etstu ist in seinem Herzen ein liebenswürdiger, junger Mann, dem es aber oftmals am nötigen Respekt, insbesondere Sey oder mir gegenüber fehlt. Auch wenn ich ihm einiges durchgehen lasse, darf ich dabei nicht vergessen, dass ich auch für die anderen des Clans verantwortlich bin. Ich darf niemanden bevorzugen oder vernachlässigen und doch geschehen Situationen, in denen ich bei ihm oftmals eine Ausnahme mache.
Er zeigt viel Einsatz und ich sehe auch, dass er anderen gegenüber sehr hilfreich ist, sich gut einbringt und oft auch gute Ideen beisteuert. Dennoch mache ich mir hin und wieder Gedanken über ihn und weiß manchmal nicht so recht, ob ich in nun für eine Sache bestrafen soll oder ob ich nachsichtig sein soll. Ich weiß, bin ich zu streng, wird er mich vielleicht hassen und das wäre zum Nachteil für den ganzen Clan, aber auch für in selber. Bin ich hingegen zu nachsichtig, werden sicherlich die anderen zu Recht sagen, dass ich in bevorzuge.
Erst neulich passierte wieder einmal ein solcher Zwischenfall, der mich nachdenklich und auch etwas traurig machte. Etstu war sauer, weil wir ihm versprochen hatten, nach einem Gespräch, das ich mit Sey führen musste, Zeit für ihn haben und zur Jagd gehen, um es ihn zu lehren. Das Gespräch mit Sey fand statt, doch gleich danach geschah es, dass wir spontan mit den den Kindern und Sey zu tanzen begannen, da jemand auf den Trommeln spielte.
Etstu war, sicher nicht ganz zu Unrecht erbost darüber, dass wir in offensichtlich vergessen hatten und rannte daher sauer in Richtung des Lagerausgangs davon. Obwohl ich im nachrief, dass er zurück kommen soll und sich sicher weiß, dass er meine Anordnung auch hörte, sie aber ignorierte, rannte er weiter. Er ignorierte mich also und daher beschloss ich, in ebenfalls so lange zu ignorieren, bis er sich für seinen Fehler bei mir entschuldigt. Es fiel mir wahrlich nicht leicht, einen so jungen tsmukan (Bruder) zu ignorieren, aber ich hatte mit dieser Methode Erfolg, denn einige Tage später kam er zu mir und suchte das Gespräch. Er entschuldigte sich und wir sprachen uns aus. Ich erklärte ihm seinen Fehler und daher verstand er auch meine Reaktion darauf.
Ich hoffe, dass er lernt in Zukunft Sey, mir und auch den anderen gegenüber etwas respektvoller zu sein, denn ich würde Schmerz in meinem Herzen spüren, müsste ich in einmal hart bestrafen, weil durch seinen Fehler jemandem etwas schlimmes zustößt...

Etstus bester Freund, wie ich es empfinde, ist Surew. Sein Erscheinen im Clan der Rey'engya war schon etwas außergewöhnlich, denn er dachte wohl, er sei bereits ein guter Späher und könnte mit einer List an unseren Wachen und vor allem an Sey und auch mir vorbei kommen. Ich muss zugeben, wenn ich daran zurück denke, erfüllt es mich mit Freude, dass er nicht wissen konnte, dass Sey ein überaus guter Krieger ist und dass ich, neben dem Heilen, auch eine Ausbildung zur Jägerin gemacht habe. So wurde leider nichts aus Surews Plan, sich einfach in unser Lager hinein zu schleichen.
Er erzählte uns Dinge über den Clan, dem er abstammt und manche dieser Dinge erscheinen mir manchmal etwas übertrieben, aber ich weiß es gibt Clans, in denen andere Regeln herrschen, als bei den Rey'engya. Er erzählte mir etwa, dass der 'eyktan (Clanführer) seines Clans Etstu für seinen Ungehorsam vermutlich für immer aus dem Clan verbannt hätte. Eine, wie ich finde, übertriebene Strafe, denn sie erlaubt es dem Schüler nicht, seinen Fehler einzusehen und an sich zu arbeiten, um Fortschritte zu machen.
Surew ist, wenn es um Fehler geht, meist einsichtig und akzeptiert Entscheidungen von Sey, mir oder Sey'syu, seiner Lehrerin, widerspruchslos. Manchmal jedoch habe ich den Verdacht, er lässt sich von Etstu, seinem Freund, zu Dingen verleiten, die er aus eigenem Antrieb vermutlich nicht oder anders tun würde. Als Etstu etwa weglief, rannte er ihm nach, da Sey und ich dem Clan verboten haben, nachts alleine das Lager zu verlassen, da es zu gefährlich ist. Hätte er darüber nachgedacht, hätte er Etstu sicherlich am Weglaufen gehindert, statt mit ihm in den Wald hinein zu laufen. Ich danke Eywa, dass dadurch nichts passiert ist.

Aber die beiden sind noch jung, ihnen fehlt einfach noch es an Erfahrung und so bin ich zuversichtlich, dass sie am Ende ihrer Ausbildung ebenso stolze und auch tapfere Na'vi sein werden, wie alle Rey'engya. Surew hat Sey'syu, unsere Kriegerin, als Lehrerin gewählt und hat sich damit wohl einen der strengsten Lehrer ausgesucht. Obgleich sie noch nie zuvor einen Schüler ausgebildet hat, nimmt Sey'syu diese Sache sehr ernst und ich denke, es tut ihr gut, über unsere Trennung inweg zu kommen. Ich glaube, manchmal ist Sey'syu darüber immer noch sehr traurig. Die beiden gehen oft in den Wald hinaus und bleiben hin und wieder auch einige Tage dort. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Sey'syu Surew zu einem hervorragenden Späher ausbilden wird.

Die Arbeit im Clan macht mich manchmal etwas müde. Oftmals, wenn ich die Jäger hinaus in den Wald ziehen sehe, würde ich ihnen zu gerne folgen. Es ist schon lange her, dass ich ein Yerik (hirschähnliches Tier) gejagt habe. Mein Herz hängt nach all der langen Zeit, die ich nun schon zeykoyu (Heilerin) und auch Tsahìk (spirituelle Clanführerin) bin, immer noch am Wald, am Spuren lesen, am Fährten suchen und daran, Eywa zu danken, wenn einer der an der Jagd beteiligten erfolgreich war.

Als wir vor einiger Zeit mit Maytame (Kxìryas Tochter), Ryatxì (Kxìryas Ziehsohn), Neyri, Etstu und Surew in den Wald hinaus gingen und ich immerhin für kurze Zeit einmal den Clan etwas hinter mir lassen konnte, spürte ich deutlich, dass sich etwas in mir veränderte. Leider mussten wir diese Erkundung abbrechen, da ein Palulukan (Thanator) unsere Fährte aufgenommen hatte. Unsere einzige Chance, ihm zu entkommen, lag in der Flucht durch eine lange und enge Höhle in eine Grotte.
Der Palulukan hatte jeoch Neyri verfolgt und sie verletzt. Bei meinem Versuch, sie ihm zu entreißen, wurden die Verletzungen noch schlimmer. Niemals werde ich den Moment vergessen, als ich versuchte das Tier vor der Höhle abzulenken. Er war zu groß und passte nicht durch den Höhleneingang und so lenkte ich ihn ab, indem ich aus dem Innern der Höhle, dicht vor ihm eine leicht zu erreichende Beute spielte. Wie sonst hätte ich Neyri, die beiden Kinder und die zwei Schüler schützen können?
Ich wusste, dass es Lianen gibt, die aus der Grotte hinaus führten, aber ich konnte nur vermuten, wie lange die vier brauchen würden, um sich an den Lianen nach oben zu hangeln. Besonders Neyri hatte große Schwierigkeiten und als ich ihr Blut zwischen meinen Beinen im Wasser des kleinen Bachs, der durch die Höhle fließt, vorüber ziehen sah, bekam ich Angst. Winataron (Kxìryas verstorbener Ehemann) wurde einst von einem Palulukan getötet, ich beinahe ebenso und nun Neyri? Vielleicht, so kam mir der Gedanke, liegt es an mir...
Vor meinem inneren Auge sah ich mich gegen den Palulukan kämpfen, der mich vor langer Zeit sehr schwer verletzte. Aber dafür hatte ich in diesem Augenblick keine Zeit. Ich musste dieses Tier von den anderen ablenken, so lange es ging. Schließlich drehte ich mich irgendwann um und lief zurück ins Innere der Grotte, um nach den anderen zu sehen. Da ich niemanden finden konnte, kletterte ich nun selbst an den Lianen hinauf. Hinter mir hörte ich noch lange die wütenden Rufe unseres Verfolgers. Ich atmete erst erleichtert auf, als ich die Kinder, Neyri, Etstu und Surew an dem zuvor ausgemachten Treffpunkt wieder sah. Allen, bis auf Neyri, ging es gut, aber wir brachen die Erkundung dennoch ab, denn Neyri hatte viel mehr Blut verloren, als wir zunächst angenommen hatten.

Neyris Wunden sind inzwiscen wieder verheilt und ich hoffe, dass wir bald eine neue Erkundung beginnen können. Ich will, ich muss einfach wieder in den Wald hinaus...

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