Mittwoch, 15. Januar 2014

Tìreayä hapxì amip / Ein neuer Lebensabschnitt

Srake sawtutel  ayoeyä kifkeyt skaya'a  nìmun?
(Werden die Himmelsmenschen unsere Welt wieder zerstören?)


Ich bin sehr froh, dass Tsaro nach seiner langen und nicht ungefährlichen Reise wieder zu uns zurückgekehrt ist. Immerhin eine gute Neuigkeit, denn in letzter Zeit häufen sich die schlechten Ereignisse spürbar und es führte sogar zu Streitigkeiten innerhalb des Clans, was mich sehr traurig macht. Mitten im Wald, in der Nähe der Maneschbasis entdeckten wir kürzlich ein metallenes Ding, dass aus dem Feuerberg heraus bis ins Meer führt. Es scheint, als würde durch diesen Metalltunnel, dessen Abzweigung bis hin zum Menschenlager führt, eine grünliche und ätzende Flüssigkeit bis ins Meer hinein geleitet. Ne'wey, die prüfen wollte, um was es sich dabei handelt, erkannte die Gefahr leider erst viel zu spät. Erst, als sich die Haut ihres Fingers, auf den sie einen Tropfen davon genommen hatte, unter großen Schmerzen begann abzulösen, bemerkte sie es. Ich musste mir wirklich sehr schnell  etwas einfallen lassen, um ihr gegen die Schmerzen helfen zu können. Inzwischen ist die Wunde aber wieder verheilt. 

Dallans Verletzungen hingegen sind um einiges größer. Sein unerbittlicher Versuch, dieses Rohr mit einer, wir er es nannte, Batterie, die er aus einem seiner fa'li lefngap (Metallpferde) holte und einigen metallenen Schnüren (Kabeln), die er mit dieser verband, zu reparieren, zwang uns zu einem rraschen und völlig ungeplanten und daher auch gefährlichen Rückzug in unser Lager. Ein großer Lichtblitz durchfuhr Dallans Körper und schleuderte ihn von dem Dach des Fahrzeuges, auf dem er stand. Er fiel regungslos zu Boden. Seither liegt er auf unserer Trage und atmet nur noch flach. Sein Puls ist zu spüren, aber seine Augen bewegen sich nicht und auch sonst reagiert er weder auf Berührungen, noch darauf, wenn wir mit ihm reden. Ich kann nichts mehr für ihn tun, als abwarten und zu Eywa zu beten, dass sie ihn beschützen möge. Ich wünschte, ich könnte ihm, meinem 'itan ahì'i (kleinen Sohn) helfen und mache mir Sorgen über die Haltbarkeit seiner Atemmaske...



Der Clan ist sehr verärgert darüber. Daher kann ich Seys Reaktion und seinen unbedingten Wunsch verstehen. Dieses metallene Rohr muss verschwinden, ehe es noch mehr Schaden anrichtet und die fayoang (Lebewesen des Wassers) des Ozeans vergiftet oder unser Land ebenso verätzt, wie Ne'weys Finger oder einst unser altes Tal. Sey ging alleine und ohne uns von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen fort und er tat etwas, das ich niemals von ihm erwartet hätte. Er verschaffte sich irgendwie Zugang zum Lager der sawtute (Himmelsmenschen) , um dann später beladen mit mit zwei großen Feuerpfeilen (Raketenwerfern) zu uns zurück zu kehren.


Ne'wey schien darüber beinahe ein wenig erfreut zu sein, als er berichtete, er habe diese Feuerpfeile in der Nähe unseres Lagers versteckt und wolle sie benutzen, um die Gefahr am Meer zu beseitigen. Mich traf dies beinahe so, als würde man meinen tswin (Zopf) abschneiden wollen. Ich fragte mich, wie er so handeln konnte und ob er sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hat, welchen Schaden diese Waffen anrichten können. Er war doch dabei, als Dallan sie einst einsetzte, um gegen das Drachenschiff zu kämpfen. Er war ebenso dabei, als die sawtute (Himmelsmenschen) sie vor langer Zeit schon einmal benutzten, um uns damit zu beschießen. Und nun bringt der diese unheilbringenden und feuerspeienden Rohre bis dicht an unser Lager heran?  Was, wenn meine 'ite ahì'i (kleine Tochter) zufällig damit in Berührung kommt?  Was, wenn sie vielleicht durch einen Fehler von selber los gehen oder weil ein Tier sie entdeckt?  Unser Lager dürfte dann vollständig verwüstet werden, wenn ich mir die Bilder der Zerstörung aus meinen Erinnerungen ins Gedächtnis zurückrufe...

Dass Sey und Ne'wey meine Sorgen und Bedenken nicht teilen, verstehe ich nicht. Nach einer langen, sehr hitzigen und, wie ich meine, völlig sinnlosen Diskussion entschließe ich mich dann zu etwas, das ich inzwischen jedoch mehr als alles andere bereue. Ich packe in aller Eile einige Dinge zusammen, die ich aus den Vorräten bei unserer ylltxep (Feuerstelle) nehme und erkläre Sey, Ne'wey und auch Sey'syu, die recht still der Unterhaltung folgt, dass ich es unter den gegebenen Umständen hier im Lager für zu gefährlich für Maytame und mich halte und es daher vorziehe, so lange außerhalb unseres Lagers zu leben, bis die Gefahr beseitigt ist. Mir ist klar, dass ich damit Seys Entscheidung direkt angehe und ihn gewissermaßen unterwandere. Am meisten aber trifft es mich, dass von unserem Olo'eyktan (Clanführer), unserem 'eylan (Freund) und tsmukan (Bruder) alle meine diesbezüglichen Bedenken und Fragen einfach ignoriert wurden. Das tut mir sehr weh in meinem Herzen. Was habe ich also für eine andere Wahl?


Sey scheint innerlich nicht nur verärgert zu sein, viel mehr glaube ich, dass ihn diese Sache auch sehr traurig macht. Erst nachdem er beinahe fluchtartig das Lager verlässt, kommt uns ein Gedanke, der alles andere als freudebringend ist. Sey wird die Feuerpfeile nehmen und sie im Alleingang gegen die sawtute (Himmelsmenschen) einsetzen. Das will, das darf und das kann ich auch nicht zulassen. Bei allem, was mich gerade an ihm ärgert, er ist Teil meines Clans. Er ist meine undunsere Familie. Mir wird klar, zu welcher Tat ich ihn ungewollt getrieben haben mag und ich schäme mich dafür. Noch niemals hatten er und ich eine derartige Auseinandersetzung. Ne'wey beschwert sich derweil immer wieder über ihren verletzten Finger. Ob sie schon einmal einen Blick auf den bewusstlosen Dallan und seine Brandwunde geworfen hat...?
 
Angetrieben von dem Gedanken, dass Sey im Begriff ist, etwas unfassbarer gefährliches und vielleicht auch dummes zu tun, indem er versucht mit den Menschenwaffen gegen das Metallding im Wald vorzugehen, verabschiede ich mich von Ne'wey, die im Begriff ist schlafen zu gehen. Zusammen mit Sey'syu laufe ich dann zu den Stimmenbäumen. Auch wenn ich mir absolut im Klaren darüber bin, dass die große Mutter längst ihren Plan für Sey und unser Volk geschmiedet hat und ich daran nichts werden ändern können, muss ich es versuchen. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät...


Es fällt mir sehr schwer, mich auf die Verbindung zu dem ultral mokriyä (Baum der Stimmen) zu konzentrieren. Zu viele Gedanken, Ängste und Sorgen ringen um die Vorherrschaft in meinem Kopf. Mein Herz pocht. Mit Gedanken an Sey versuche ich der großem Mutter mitzuteilen, was geschehen ist. Irgendwann jedoch spüre ich, dass meine Kräfte mich verlassen und wie ich zu Boden sinke. Wie lange ich dort neben Sey'syu liege, weiß ich nicht, aber es tut unheimlich gut und es gibt mir die Kraft, mich wieder aufzurichten. "Ma yawntu." ("Liebste."), fragt sie verängstigt: "Wie geht es Dir?  Bist Du in Ordnung? "  Ich nicke ihr zu und sehe, während wir dann später zum Lager zurück gehen Sey, der ebenfalls mit einem der Bäume, die etwas weiter von uns weg stehen, verbunden ist. Ich könnte ihn vor Freude umarmen und dass er lebt, werde ihn bei seinem Gespräch zur großen Mutter gewiss nicht unterbrechen.

Ich bin unendlich glücklich, dass Sey'syu bei mir ist daher schließe ich sie, im Lager angekommen, in meine Arme und drücke sie an mein Herz. Es ist einer der Momente, die ich so sehr genieße, wenn ich mir ihr zusammen bin. Seit Winatarons und Kees Tod habe ich für niemanden mehr solche Empfindungen verspürt, wie für sie. Umso verblüffter war ich, als Sey'syu mich vor, es mögen inzwischen sieben oder acht Tage vergangen sein, als wir im Wald unterwegs waren, plötzlich ansprach und mir erklärte, dass sie in mir mehr als nur eine tsmuke (Schwester), 'eylan (Freundin)  oder taronyu (Jägerin) sehen würde. Dass es mir ebenso ging, konnte ich ihr dann natürlich nicht mehr länger verheimlichen. Aber sie ist immer noch eine numeyu (Schülerin), weshalb ich genau weiß und auch sehr respektiere, was uns erlaubt ist und mit welchen Dingen wir wohl sicherlich noch warten werden. 


Sey hatte natürlich gleich bemerkt, dass da etwas zwischen uns beiden ist. Ihm entgeht einfach nichts. Er sagte es uns, als wir kürzlich gemeinsam zum See gingen. Ich war ohnehin erstaunt, dass Sey uns zum Schwimmen an den See begleitet hat, weiß doch jeder im Clan, dass er das Wasser sonst für solche Aktivitäten eher meidet. Er sprach uns darauf an, als Sey'syu mich mitten im See vor seinen Augen umarmte. Aber, und dafür schätze ich ihn, er wünschte uns, dass Eywa unseren Weg beschützen möge.  Allerdings ließ er auch nicht unerwähnt, dass Sey'syu sich noch in ihrer Ausbildung befindet und dass dies natürlich unbedingt Vorrang habe. Doch wem sagt er das?  Ist es doch genau so in unserem Sinn, dass Sey'syu ihr Iknimaya (Prüfung für Jäger und Krieger) möglichst bald machen wird. Aber ich wünsche mir auch, dass sie eine gute Ausbildung macht und dass sie unseren Clan um eine erfahrene Kriegerin bereichern wird. Darum werde ich sie nur zu Übungen begleiten, wenn Ne'wey mich dazu auffordert.

Etwas Sorge habe ich vor Maytames Reaktion. Sie weiß, dass Wina ihr sempul (Vater) war. Sie mag Sey'syu zwar sehr gerne, aber sie wird mir oder uns wohl einige Fragen  stellen, wobei ich aber glaube, dass sie das noch nicht wirklich verstehen kann. Ich selber habe es damals ja auch erst verstehen lernen müssen, als ich bemerkte, dass mein Herz nicht nur für Männer zu schlagen vermag. Aber ich glaube, ich werde es ihr verständlich erklären können und so offen es geht, auf jede ihrer Fragen antworten.


Bevor dies aber geschieht, gibt es zunächst noch viele Dinge für mich zu erledigen. Mein Bogen wurde beschädigt, sodass ich mir einen neuen bauen muss. Doch durch Dallans und Ne'weys Verletzungen komme ich damit kaum voran. Zudem gab Sey mir zu bedenken, dass es vielleicht Eywas Plan sein könnte und dass ich mich mehr mit der Heilkunst beschäftigen solle, da dies nun schon mein dritter Bogen ist. Diese Frage macht mich oft nachdenklich und ich werde auch versuchen, hierzu eine Antwort von der großen Mutter zu bekommen. Dann muss ich die Sache mit Sey in Ordnung bringen. Ob er meine Entschuldigung annehmen wird?  Oder wird er mich vielleicht aus dem Clan ausschließen?  Es wäre sein Recht und ich werde seine Entscheidung bedingungslos akzeptieren. Allerdings hoffe ich auch, dass ich mit dabei sein darf, wenn wir gemeinsam gegen dieses Metallrohr vorgehen werden. 

Nun sitze ich hier am Feuer. Mein Arm liegt um Sey'syus Schulter und sie fragt mich, weil ich seinen Namen in unserer Unterhaltung eben erwähnte, nach Winataron. Sie interessiert, was er für ein Mann war und wie wir uns einst kennen lernten. Sie soll es wissen und so berichte ich ihr, wie er zu uns kam, bei den Maguyuk (befreundeter Nachbarclan) lebte, dort aber nicht lernen konnte und zu uns, den Tipani kam, um schließlich mich als Lehrerin zu bekommen. Ich erzähle ihr auch von Aketuan, den ich lange nicht mehr gesehen habe und frage mich insgeheim, wie es ihm wohl geht und wo er nun lebt?


Sey'syu hört mir gespannt zu und muss ein wenig schmunzeln, als ich ihr vom der ersten Begegnung Winatarons und Aketuans erzähle, in den ich seiner Zeit sehr verliebt war, der aber auch sehr oft auf Reisen unterwegs war und manchmal erst zu uns zurück kehrte, als die anderen schon alle schliefen. Nach und nach werden Sey'syu und ich müde und legen uns ans Feuer auf ein Fell, aber ich erzähle ihr noch weiter und berichte, wie Winataron mir dann gestand, sich in mich verliebt zu haben, dann aber zunächst sein Iknimaya (Prüfung für Jäger und Krieger) machte, um sich im Anschluss daran mit mir vor Eywa zu verbinden und mir schließlich das schönste Geschenk machte, das man einer munxtate (Ehefrau) machen kann, indem wir dafür sorgten, dass Maytame zur Welt kam.

Ob sie das Ende meiner Geschichte noch mitbekommt, weiß ich nicht genau. Mir fallen dann irgendwann auch die Augen zu, doch ich sehe noch einmal für einen kurzen Augenblick Txuratxans Bild vor mir, dessen Stimme ich vor einiger Zeit so überraschend bei einem Besuch bei der großen Mutter hörte. Das Bild Winatarons und sein tief brummendes Lachen sind die letzten bewussten Eindrücke, die ich mitbekomme. Ich weiß, dass er uns von dort, wo er jetzt ist, immer beschützen wird...



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