Sonntag, 12. August 2018

Txum kilvanä / Flussgift [2]

Hapxì amuve
(2. Teil)

Ich spüre etwas kaltes und beginne zu frieren. Etwas unsagbar kaltes scheint meinen ganzen Körper zu umgeben, doch ich bin nicht in der Lage zu erkennen, was es ist. Viel zu stark ist die Müdigkeit in mir, der Drang, der Wunsch zu schlafen. Doch irgendetwas hält mich zugleich auch davon ab, einzuschlafen. Es ist eine Art unsichtbare Wand, die mich daran hindert, meinen Weg fortzusetzen.

Mein Herz schlägt schnell und ich höre das Rauschen des Blutes in meinen Ohren. Es klingt beinahe wie der Wind, wenn ich mit Ya'rrì (Kxìryas Ikran) fliege. "Eywa, große Mutter, wann holst Du mich endlich?" höre ich mich in meinem Geist fragen. Wann wird es vorbei sein? Wann werden sie mich von diesen Qualen erlösen, mich töten und meinen Körper wohin auch immer bringen?

Wieder wird es mir von einem zum anderen Moment so heiß, dass ich glaube zu verbrennen. Ich möchte schreien, doch meine Stimme scheint wie gelähmt zu sein. Dann wird es mir wieder kalt. In immer schnellerem Wechsel erlebe ich starke, beißende Kälte und große, glüheende Hitze. Im Wechselbad dieser Gefühle dringen Stimmen zu meinen Ohren. Sie sind sehr weit entfernt, doch eine von ihnen scheint bis in mein tiefstes Inneres zu reichen: "MaKxìrya..." höre ich Korlan wieder und wieder sagen. Er klingt aufgeregt und ich frage mich, wie er überhaupt hier her kommt? Haben sie ihn vielleicht auch eingefangen? Werden Sie mit ihm das gleiche tun, was sie mir antun? Wollen sie vielleicht herausfinden, ob sein Körper stärker ist oder meiner?

Doch ich bin zu schwach, all diese Fragen zu beantworten und hoffe immer noch auf den erlösenden Moment. Dann aber wird Korlans Stimme fester, lauter und ich höre ihn sagen: "Fpìl oel futa fra'u sìltsan layatsu." (Ich glaube, alles wird gut werden.) Zugleich spüre ich, wie mich starke Hände unter den Armen und an den Beinen packen und mich halten und im nächsten Moment verstehe ich zumindest die große Kälte, die mich immer wieder ergreift, denn ich spüre, dass ich wohl in sehr kaltes Wasser gelegt werde.


Ich höre ein Kind, es ist ein junges Mädchen, schluchzen und erkenne Maytames Stimme. Dieses Geräusch, dieses Wimmern, dieses Weinen erfüllt mein Herz und meinen ganzen Geist und ich spüre den unbedingten Willen, meine Augen zu öffnen, um ihr zu sagen, dass sie nicht weinen und sich sorgen muss und dass ich diesen Kampf gewinnen werde.

Man legt mich wieder auf etwas sehr weiches und die Stimmen um mich herum werden lauter, verständlicher und nach und nach kann ich die Stimmen bekannten Gesichtern zuordnen, die ich in meinem Geist vor mir sehen kann. Tsaro höre ich, Ne'wey, Sey'syu, Neyri und Korlan. Sie scheinen sich zu beraten, denn jemand fragt: "Ma Neyri, sag uns, wenn es vorbei ist." und sie antwortet darauf: "Lasst sie liegen, aber benutzt weiterhin die nassen, kühlen Tücher. Ihr Körper ist so heiß, wie die Flammen des Feuers." und ich beginne, wenngleich auch nur sehr langsam, zu begreifen...

Maytames junge Stimme ist es dann, die mir den entscheidenden Gedanken in den Sinn ruft, denn sie fragt: "Wird mir das Flussfieber meine sa'nu (Mami) wegnehmen?" und ich muss mich sehr darauf konzentrieren und mich zwingen, meine Augen zu öffnen, damit sie es sehen kann. Ein Kampf beginnt in mir loszubrechen, doch schließlich sehe ich sehr verschwommene Bilder, wie in einem Traum, die dann nach und nach deutlicher werden. Ich vermag nicht zu sprechen, aber es gelingt mir, mit einem Finger Maytames Hand zu berühren.

"Po rolìkx! Po rolikx!" (Sie hat sich bewegt!), höre ich May jubeln, als hätte sie ihren ersten Fisch gefangen: "Ma sa'nu... Ma sa'nu... "(Mama). Dann höre ich Seys ruhige Stimme. Allein ihr Klang verrät mir jedoch, dass er sich sehr um mich sorgt: "Ma May...", sagt er: "Sie ist schwach und muss noch viel schlafen.", doch ich will jetzt gar nicht mehr schlafen. Wie lange es dauert, bis ich sehr schwach und leise frage: "Kempe lolen?" (Was ist passiert?), kann ich nicht sagen. Es kommt mir so lang vor, wie der Flug zu Mutters Clan.

"Du hast das Flussfieber bekommen.", sagt Ne'wey und bestätigt mir ebenfalls den Verdacht, den ich bereits hatte: "An Deinem Fußgelenk haben wir eine winzige Wunde gefunden, ma 'eylan (Freundin).", erklärt sie. Während Neyri mich ein wenig wäscht spüre ich, dass ich immer kräftiger werde. Jedoch reichen meine Kräfte gerade so weit, dass ich mich ein wenig mit den Armen auf dem Boden abstützen kann, um May anzuschauen. Mein kleines Mädchen hat inzwischen aufgehört zu weinen. Sie ist stark. Sie sitzt neben mir und lächelt mich mit ihrem kindlichen Lächeln an und ich spüre, dass Ihr Herz so schnell schlagen muss, wie die Hufe der fa'lì (Schreckenspferde), wenn sie in Herden über die Steppen galoppieren.

"Fra'u tam." (Alles ist gut.), versuche ich mit fester Stimme zu sagen, doch es scheint wohl eher, dass ich mich anhöre, wie ein krächzender Ikran (Banshee). Dennoch verschwinden die ernsten Züge aus den Gesichtern der um mich herum sitzenden und ich schaue in freundliche, aber auch aufatmende Gesichter.

"Nga zene yivom!" (Du musst essen!), höre ich sie sagen: "Nga zene niväk!" (Du musst trinken!) und Korlan reicht mir einen Becher mit Wasser, den ich langsam, aber dennoch in einem Zug leere. Es tut gut und kühlt meinen Körper innerlich noch ein wenig.

Als ich wieder halbwegs bei Sinnen bin, erklärt Ne'wey mir dann, was passiert ist und ich erkenne, dass alles, was ich geglaubt hatte zu erleben, wohl nur in meiner Phantasie geschehen ist. Das Fieber hatte meinen Geist beinahe vollständig unter seine Kontrolle gebracht. Es ist ein sehr heimtückisches Fieber doch jetzt, da ich es selber erfahren habe werde ich vielleicht anderen einmal helfen können, es ebenfalls zu besiegen. Auf jeden Fall muss und werde ich mit Neyri sprechen und auch mit den anderen. Sie müssen mir erzählen, was passiert ist und vor allem, was sie mit meinem Körper getan haben, um mich zu heilen.

Vielleicht gelingt es mir, etwas zu machen, mit dem man diese heimtückische Krankheit erkennen und so vielleicht noch schneller heilen kann. Es würde jedem, der daran erkrankt, sicherlich helfen und wir könnten die Jäger und Krieger der Rey'engya zu anderen Clans schicken und diese Nachricht unter allen Völkern Eywa'evengs (Pandoras) verbreiten.

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