Donnerstag, 7. November 2013

Eywa plltxe Ne'weyne / Eywa pricht zu Ne'wey

Ne'wey kä vitra utralne fte pivlltxe ne sa'nok anawm.
(Ne'wey geht zum Baum der Seelen, um  zur großen Mutter zu sprechen.)

Leise und ungewohnte Geräusche wecken mich auf. Das erste, das mir auffällt ist, dass Maytame nicht neben mir liegt. Dann höre ich jedoch, wie sie eine Melodie summt. Ich beschließe, noch einige Momente auf meinem Lager liegen zu bleiben und ihrer Stimme zu lauschen. Sie singt das alte Kinderlied, das mir einst Ari'lana wieder in Erinnerung gerufen hatte und das ich seither sehr oft für meine kleine taronyu fa ayrum (Jägerin der Kugeln) singe. Ich liebe es, wenn sie so unbeschwert ist und weiß zugleich auch, dass sie dann keinen Unsinn veranstaltet. Erst als ihre Stimme verstummt stehe ich auf, um nach ihr zu sehen und finde sie kurz vor unserem Höhlenausgang.

Mit Erstaunen sehe ich dann, was sie die ganze Zeit über gemacht hat. Die Farben, mit denen wir unsere Bemalungen anlegen und die wir in kleinen Gefäßen vorne in unserer Höhle aufbewahren,  hat sie dazu benutzt, um an eine der Steinsäulen ein Bild zu malen.  Auch wenn das Yerik (hirschähnliches Tier) etwas kurze Beine hat und sein Kopf vielleicht etwas zu groß geraten ist, finde ich dieses Bild dennoch wunderschön. Es erinnert mich an Ari'lana, die so etwas in unserem alten Land auch schon einmal gemacht hatte.

Ich setze mich zu ihr, lege meinen Arm um sie und begrüße sie: "Rewon lefpom, ma tanhìtsyìp ("Guten Morgen, mein Sternchen."). Das ist ein wundervolles Bild."  Dass sie mich mit ihren farbigen Fingern, als sie meine Umarmung erwidert, ebenso mit Farbe bekleckert, bemerke ich zunächst gar nicht, doch es stört mich auch nicht, denn zum See ist es nicht weit. Ich bin sehr stolz auf sie und sie wohl auch auf ihr Machwerk. Man sieht ihr ihre Freude deutlich in ihren dunkel schimmernden Augen an, Mir kommt ein Bild, das Ari'lana einmal gemalt hatte, in den Sinn. Es zeigte einen starken Krieger und meine Frage danach, wen dieses Bild denn zeige, beantwortete sie mir mit: "Das ist mein sempu (Papa)". Ich höre die Worte leise in mir wiederhallen. Maytame wird ihren sempul (Vater) niemals malen können...

Dieser Gedanke bringt mich auf eine Idee. Doch ich bin nicht sicher, ob diese Idee nicht noch etwas verfrüht ist. Schon oft fragte Maytame mich, ob ich ihr einmal zeige, wie ich zu Eywa spreche, bzw. diese zu mir und wann sie denn nun ihren sempu (Papa) einal hören könne. Nun, vielleicht ist sie dafür noch etwas zu jung, daher ist mein diesbezüglicher Vorschlag, dies heute zu tun, etwas unsicher. Sie strahlt mich jedoch heftig nickend an: "Sraaaane. (Jaaaaa.) Das möchte ich soooo gerne einmal mit Dir machen, ma sa'nu (Mami)."  Diesem Blick von ihr kann ich einfach nicht widerstehen, daher nehme ich sie an der Hand und, nachdem ich sie und auch mich kurz am kleinen Wasserfall etwas gewaschen habe, gehen wir in Richtung des Sees hinunter.

Zunächst werden wir jedoch aufgehalten, denn Sey kommt auf seinem Ikran (Banshee) angeflogen und landet unweit von uns. Tsaro, der unbemerkt von uns beiden, offenbar aus der Richtung des Feuers hinter uns kommt, begrüßt, ebenso wie wir beide unseren Olo'eyktan (Clanführer). Da mich immer noch leichte Zweifel über meine Idee, mit meiner Tochter zur großen Mutter zu gehen, beschäftigen, frage ich Sey nach dessen Meinung. Wie immer, sind seine Worte sachlich und überlegt, als er antwortet: "Nun, ma Kxìrya, wenn Du den Zeitpunkt für richtig hältst, dann ist er es auch. Nur eine sa'nok (Mutter) kennt ihr Kind am besten."  Er zwinkert mir freundlich zu und fährt etwas leiser fort: "Außerdem bin ich sicher, dass niemand anderer ihr dies besser zeigen kann, als Du."  Ob er dabei gerade  an Tsìlpey denkt...?

Bevor wir dann losziehen, fragt Tsaro, ob jemand von uns Ne'wey gesehen hat. Doch wir alle verneinen dies. Bis zum Waldrand geht die kleine dann fröhlich neben mir her. Dort angekommen, muss ich sie jedoch bis über den Fluss hinüber tragen, da sie noch zu ängstlich ist, den Wald zu durchqueren. Als wir dann aber an dem Berg ankommen, in den ein schmaler Pfad hinein und der schließlich hinauf zum vitra utral (Baum der Seelen) führt, staunt mein Liebling: "Whoooo. Ist deeer schön, ma sa'nuuuuu."  Ich lege meinen Bogen ab, nehme sie wieder an bei der Hand und erkenne dann, dass wir nicht alleine hier sind.

Ganz weit vorn unter dem riesigen Baum und bereits mit diesem durch ihren Zopf verbunden, sitzt Ne'wey. Ich bin erstaunt darüber, aber zugleich macht es mich etwas glücklich, sie hier und noch dazu ganz alleine anzutreffen. Maytame will natürlich gleich zu ihr hin, doch ich halte sie zurück und erkläre ihr sehr leise: "Wann immer Du jemanden triffst, der mit einem Baum, und besonders mit diesem Baum hier, verbunden ist, dann darfst Du ihn niemals dabei stören. Es würde seinen Respekt verletzen. Beobachte ihn zuerst eine Weile und erst, wenn Du ganz sicher bist,  oder er Dir ein Zeichen gibt, nähere Dich dem Baum und verbinde Dich mit ihm."

Daher begrüße ich Eywa zunächst mit einer Verbeugung und dem Zeichen zu ihr, warten dann zunächst eine Weile ab und ich beobachte Ne'weys Treiben. Maytame tut es mir gleich. Leise gesellt sich Tsaro dann zu uns. Auch er hält respektvoll Abstand zu Ne'wey und wartet ab. Dann, als ich mir ganz sicher bin, gehe ich mit der kleinen zusammen weiter auf den Baum zu. Wir setzten uns nieder und ich zeige Maytame, wie ich die Nervenenden meines Zopfes langsam mit ein paar Tentakeln des Baumes verbinde. Ich spüre gleich, dass ein Gefühl von unbeschreiblicher Wärme auf mich über geht und nicke Maytame sanft zu, um ihr anzudeuten, dass sie es nun auch versuchen soll.

Zuerst scheint sie ängstlich zu sein und viellicht auch etwas verwirrt. Das war ich damals beim ersten mal aber auch, zumal ich es nicht von mir aus wollte, sondern... Aber das ist lange her und ich wische diese Gedanken weg, denn sie würden auf Maytame und Ne'wey sicherlich störenden Einfluss haben. Ich konzentriere mich, dabei meine Tochter an einer Hand haltend und lausche den Dingen, die die große Mutter uns sagen oder zeigen wird.

Es vergeht eine kleine Weile, in der zunächst nicht sehr viel geschieht, außer, dass uns Eywa willkommen heißt, was sie uns durch ein starkes Gefühl der Geborgenheit zu verstehen gibt. Ich spüre das leichte Zittern von Maytames Hand und drücke sie sanft, um sie zu beruhigen. Sie ist doch ganz schön mutig, denn sie bleibt ganz still sitzen. Dennoch spüre ich den deutlich schnelleren Herzschlag in ihrer Hand. Tsaro, ich erkenne es aus den Augenwinkeln, als ich kurz zu Ne'wey hinüber schaue, sitzt immer noch abseits von uns. Ob er sich nicht verbinden will?

Auch Ne'wey scheint mir etwas nervös zu sein. Daher beschließe ich, mich weiterhin passiv zu verhalten und achte hauptsächlich auf mein Mädchen. Schließlich hören wir dann weit entfernte Stimmen, Gesänge und sehen vor unserem inneren Auge bunte Farben. Verstehen können wir allerdings in diesem Stimmenwirrwarr nichts. Als wir dann, und es kommt recht überraschend, Ari'lanas lachende Stimme hören, wird mir mein Herz einen Moment lang schwer und ich spüre, wie mir eine Träne am Gesicht herunter läuft. Es ist unglaublich schön zu hören, dass es ihr gut geht. Sie scheint immer noch die tatendurstige, junge Jägerin zu sein, die wir alle kennen gelernt haben.

Eine völlig fremde und kräftige Stimme spricht dann und es ist Ne'wey zu der sie recht direkt spricht. Obwohl die Stimme uns unbekannt ist, vermittelt sie uns dennoch ein Gefühl, als würden wir sie schon unser ganzes Leben lang kennen. Dabei verschwinden beinahe alle anderen Stimmen und Geräusche im Hintergrund: "Ma eveng oeyä..." klingt es durchdringend: "Anyngati kameie oel." ("Meine Kinder, ich sehe Euch.")  Eine Pause folgt, in der wir so etwas wie Kampf- oder Jagdrufe hören können. Dann fährt die Stimme fort: "Ich weiß, weshalb Ihr gekommen seid und es ist gut..."

Mit Worten, Gefühlen, Bildern und Farben vermittelt die große Mutter uns dann, dass Ne'wey ihre Zweifel gegenüber Dallan und dessen Ausbildung ablegen möge. Eywa bittet sie geradezu, auf Dallan zu zugehen und ihn, wie Sey es beschlossen hatte, seine karyu (Lehrerin) zu sein. Sie erklärt, dass Dallan, auch wenn er noch so andersartig ist, er dennoch auch ein Bewohner Eywa'evengs (Pandoras) ist und dass ihm damit das gleiche Recht wie allen anderen  zusteht, die einem Clan fest angehören. Ich kann geradezu spüren, wie Ne'weys Nervosität steigt. Maytame hingegen wird ruhiger, denn ihre Hand hört, in meiner liegend, nach und nach auf zu zittern.

Nach langen Momenten, in denen die Stimme verhallt ist und wir wieder Gesänge und lachende Stimmen hören können, vernehmen wir dann urplötzlich wieder eine bekannte Stimme. Ari'lana spricht zu uns und auch sie spricht eher zu Ne'wey. Etwas lachend rät sie: "Ma tsmuke (Schwester), sieh ihn so, wie Du Dich selber siehst."  Ich spüre, dass Maytame von Ari'lanas Stimme sehr angetan ist. Vielleicht, weil sie nur wenig älter als meine Tochter war. Dann entfernen sich die Stimmen und Geräusche langsam wieder von uns und auch die Bilder verschwimmen mehr und mehr. Ich trenne meine Verbindung dann, um Maytame behilflich sein zu können, etwas früher als für gewöhnlich.

Als auch Ne'wey ihre Verbindung gelöst hat, begrüßen wir uns und ich lächle ihr zu, da ich ja weiß, was sie gerade erlebt hat. Maytame ist vielleicht ein wenig überfordert. Vielleicht ist es aber auch nur ihre Freude, dass sie etwas gehört und gesehen hat. Ich weiß es nicht. Auf alle Fälle hüpft sie gleich zu Ne'wey, um ihr zu berichten. Sie ist so außer sich, dass sie gar nicht daran denkt, dass Ne'wey genau das gleiche erlebt hat, wie wir beiden. "Ma Ne'weeeyyy..." sprudelt sie gleich los: "Ich habe Geräusche gehört und Stimmen und eine davon war sogar war von einem kleinen Mädchen..."

Ne'wey knuddelt die kleine ein wenig. Auf mich macht sie jedoch den Eindruck, als wäre sie etwas bedrückt. Als Tsaro Ne'wey dann anspricht, beschließe ich, mit Maytame zurück zu Sey zu gehen. Ich glaube Tsaro hat mit Ne'wey etwas alleine zu besprechen. Unterwegs jedoch muss ich sie wieder tragen. Einerseits, weil sie wieder etwas Angst vor dem Wald hat, andererseits wittere ich eine deutliche Nantangfährte (Natterwolffährte). Eilig schaue ich, dass ich unser Lager erreiche und komme etwas prustend dort an. Die kleine wird von Tag zu Tag größer und schwerer, wird mir in diesem Moment wieder einmal bewusst...

Nicht lange danach gesellen sich Ne'wey und Tsaro zu uns. Maytame, immer noch hin und hergerissen von den vielen Eindrücken, beeilt sich zu Sey zu gehen und sprudelt dann nur so über, während sie erzählt. Ich wünschte, Seys Tochter würde noch leben. Er hätte wohl großen Spaß, solche Geschichten von ihr erzählt zu bekommen. Außerdem kann ich mich nicht davor verschließen, dass es mich auch etwas stolz macht, wenn ich mitansehe, wie sie von Tag zu Tag größer wird und dazu lernt. Sey hört ihr sehr aufmerksam zu und ich muss grinsen, denn ich glaube, er versteht gar nicht alles, da sie ihm ihre Erlebnisse doch sehr durcheinander offenbart.

Als die kleine dann doch etwas müde wird, sich auf dem Fell neben mir eng an mich kuschelt und schließlich einschläft, spricht Ne'wey Sey auf Dallan, seine Ausbildung und auf den Besuch bei der großen Mutter an. Ich beschließe, mich zurück zu halten und folge dem Gespräch nur. Ne'wey fühlt sich offenbar noch nicht in der Lage, als seine karyu (Lehrerin) für ihn da zu sein. Es dauert eine ganze Weile, bis Sey mich dann fragt, wie ich Dallan kennen gelernt habe über all die Zeit, in der ich ihn nun schon kenne. Ich berichte den beiden daher von einigen Ereignissen, in denen er mir nur allzu deutlich gezeigt hat, dass er zu uns gehören, einer von uns sein und mit uns zusammen leben möchte. Einiges davon kennt Sey bereits, doch Ne'wey schaut mich, während ich so erzähle, immer wieder mit Erstaunen im Blick an.

Der Tag endet, wie ich es beinahe vermutet hatte damit, dass Sey beschließt, in den Wald hinaus zu gehen. Ich denke, er tut dies auch und gerade deshalb, weil wir ihm zuvor von den Nantangfährten (Natterwolffährten) berichteten. Sanft nehme ich Maytame, die inzwischen fest schläft, auf meine Arme und gehe mit Ne'wey hinüber zu unseren Schlafplätzen. Ich glaube, dies heute war ein sehr wichtiger Schritt für sie und ich habe großen Respekt vor ihr, dass sie ihren Weg zu Eywa alleine beschritten hat.

Als ich die kleine in meine Arme schließe, bemerke ich, dass sie immer noch ein Lächeln im Gesicht hat. Auch für sie war es heute ein wichtiger Tag und auch sie hat einen weiterenIch schaue zu Ne'wey hinüber und für einen Moment überlege ich, ob ich sie noch darauf ansprechen soll, lasse es aber dann. Ich bin sicher, sie wird auf mich zu kommen, sollte sie Fragen oder Wünsche haben. Sie weiß, dass sie jederzeit auf mich zählen kann...

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