Samstag, 2. November 2013

Rey'engya ftxozä si / Die Rey'engya feiern

Pxeuri ayoe ftxozä si.
(Wir feiern drei Dinge.)

Die letzte Nacht brachte mir einen wunderschönen Traum von Winataron. Meine Entscheidung, zur großen Mutter zu gehen, um ihn und auch Kee und Tsìlpey wieder einmal hören und spüren zu können, war genau richtig, denn Eywa ließ es zu und ich glaube sagen zu können, dass mir dies sehr dabei geholfen hat, meinen Schmerz besser überwinden zu können. Auch wenn es noch eine ganze Weile dauern wird und ich sicherlich auch noch öfter zu ihr gehen werde, fühle ich mich heute richtig glücklich, als ich eben meine Augen aufschlage.

Maytame ist schon fleißig. Eifrig ist sie bereits dabei, ihre Festkleidung anzulegen, da heute ja unser großes Fest stattfinden wird. Bevor ich mich jedoch mit meiner Kleidung beschäftigen kann, habe ich zunächst noch einiges zu erledigen. Auch die anderen sind schon fleißig und bereiten alles vor, damit unser Fest gelingt. Ne'wey kümmert sich darum, dass das Yerik (hirschähnliches Tier) richtig gebraten wird. Insbesondere die Keulen sollen würzig schmecken. Ich helfe ihr dabei mit einigen Zutaten aus meinen Kräutervorräten.

Sey, der mit allem Eifer dabei ist, seinem Beerenwein durch Zugabe von allerlei Kräutern, Knollen und anderen Zutaten, den richtigen Geschmack angedeihen zu lassen, sieht sehr komisch aus. Beide Arme und auch seine Beine sind von dem dunklen Saft gefärbt. Eine interessante Kriegsbemalung, wie ich feststelle...

Dann sind alle Vorbereitungen abgeschlossen und ich gehe mit Ne'wey in unsere Höhle. Dort wollen wir unsere festlichen Gewänder anlegen. Maytame begleitet uns, weil sie mit irgendetwas nicht ganz zufrieden zu sein scheint.
Als Ne'wey und ich eben fertig umgezogen sind, hören wir eine Stimme, die lobend und von einem leisen Lachen begleitet sagt: "Na, Ihr beiden habt Euch ja richtig heraus geputzt, was?"  Es ist Tsaro, der wohl soeben aufgewacht ist. Freundlich begrüßen wir uns. Bevor wir dann die Höhle wieder verlassen, helfe ich meiner kleinen Jägerin noch schnell, ihren Schurz etwas gerade zu ziehen. Sie ist einfach wunderhübsch, beinahe wie eine richtige taronyu (Jägerin). Auch Ne'weys Gewand gefällt mir sehr. Es ist zum Teil sehr filigran mit Federn, Holzperlen, kleinen Riemchen und anderen Dingen besetzt. Sicherlich hat sie sehr lange daran gearbeitet. Sie ist eine starke Jägerin... Und eine wunderschöne Frau...

Mir fällt auf, dass Tsaros Körperbemalung die ist, die auch ich von den Tipani her noch kenne. Er bestätigt meine dahingehende Frage dann auch. Ne'wey, meine Tochter und ich tragen hingegen die zeremonielle Bemalung der Rey'engya. Dann gehen wir gemeinsam zu unserer Feuerstelle. Sey hat inzwischen einige Krüge mit seinem Beerenwein gefüllt und diese neben dem Beerentrog aufgestellt. Dallan ist auch mittlerweile eingetroffen und, nachdem sich alle begrüßt haben, setzen wir uns hin, um erst einmal gemeinsam etwas zu essen.
Dabei fällt mir auf, dass wir uns in einer kleinen Gruppe dicht um ein Fell herum sitzend, statt uns um das Feuer herum zu setzen. versammelt haben. Es ist ein schönes Gefühl, das auch die Verbundenheit des Clans widerspiegelt. Die reichhaltigen Speisen und Getränke werden nach und nach weniger und ich muss schmunzeln, als meine kleine taronyu fa ayrum (Jägerin der Kugeln) Ne'wey bittet, doch etwas von dem Wein probieren zu dürfen, was diese und natürlich auch ich ihr nicht erlauben können. Daher verweise ich Maytame auf einen Krug mit süßem Saft, den ich gemacht habe. Als sie diesen probiert hat, schwenkt ihre etwas missgestimmte Laune um und sie lacht wieder. 

Mir fällt auf, dass Tsaro immer wider zu Ne'wey herüber schielt und auch sehr um ihr Wohlergehen besorgt zu sein scheint, denn er versorgt sie sehr zuvorkommend mit Nahrung und schenkt ihr einen großen Becher Beerenwein ein, den sie jedoch zunächst sehr zurückhaltend genießt. 

Auch Dallan ist mit Leib und Seele dabei. Es scheint ihn nicht zu stören, dass er, um etwas ab zubeißen, immer wieder seine Maske abziehen muss. Der Wein, den er aus einem kleineren Becher trinkt, scheint ihm zu schmecken, denn er lässt es sich nicht nehmen, diesen immer wieder aufzufüllen.

Sey erhebt sich dann, wobei ich feststelle, dass die paar Becher Wein, die er erst getrunken hat, ihn doch bereits etwas schwanken lassen. Nichtsdestoweniger spricht er dann zu dem Clan und in seinen Worten, als er von Syesyu spricht, die an sich ein Teil des Festes gewesen wäre, wenn sie nicht verschwunden wäre, liegt etwas Sorge. Eigentlich sollte ja Ne'wey als ihre karyu (Lehrerin) auch gefeiert werden.

Er bittet Dallan dann, sich zu erheben, welcher darüber natürlich sehr verwundert ist. Als er dann direkt zu Dallan spricht, wird es still. Maytame kuschelt sich an Ne'wey an und lauscht Sey mit gespitzten Ohren. Der olo'eyktan (Clanführer) kniet sich vor Dallan nieder, vermutlich auch, um den Größenunterschied nicht so deutlich werden zu lassen. Dann spricht er:

"Ma 'eylan alu Txällän..." ("Freund, genannt Dallan...") beginnt er: "Du bist nun schon sehr lange einer von uns und auch wenn ich anfänglich so meine Zweifel hatte, hast Du mir diese mit der Zeit mehr und mehr genommen."  Er macht eine kurze Pause, dann fährt er, begleitet von einer Geste, die rings um zu uns allen deutet, fort: "Du hast geschafft, was bisher noch keiner geschafft hat. Du bist einer von uns geworden, weil Du uns gezeigt hast, dass Du den Willen hast, zu leben wie wir."  Dallans Gesichtsausdruck wird immer verblüffter und seine Augenlider fangen unter seiner Maske etwas an zu flattern. Sey legt Dallan beide Hände auf seine Schultern: "Aus Dir ist ein stolzer tsamsìyu (Krieger) der Rey'engya geworden und aus diesem Grund haben sich Ne'wey und Kxìrya etwas besonderes für Dich ausgedacht."

Er bittet dann Ne'wey mit einer Geste seines Kopfes, den Bogen zu holen, den wir, um ihn zu schützen und auch vor Dallans Blicken zu verstecken, gut verborgen in unserer Höhle aufbewahrt hatten. Als sie zurück kommt und ihm den Bogen überreicht, fährt Sey fort: "Ma 'itan Rey'engyayä (Sohn der Rey'engya), von nun an soll diese Waffe die Deine sein. Möge sie Dich zu einem stolzen Krieger der Rey'engya machen."
Nun geschieht etwas, was von uns wohl noch niemand jemals zuvor gesehen hat. Dallan streift seine Maske ab, jedoch nicht, um etwa tief durchzuatmen, was ja nun unweigerlich seinen Tod bedeuten würde. Er tut es, weil ihm eine große Träne über seine Wange läuft, die er weg wischen muss. Es vergehen einige stumme Momente, ehe Dallan dann antwortet: "Ma olo'eyktan (Clanführer), ist..."  er stockt: "... ist das für mich?"  Sey nickt und ich muss mir ein Grinsen verkneifen. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.", gesteht er dann und schaut sich seinen Bogen, mit einer Hand beinahe andächtig darüber streichend, an: "Es ist eine große Ehre für mich...", bringt er dann, uns alle nacheinander anschauend hervor: "... so etwas von Euch zu bekommen."

Plötzlich fällt mir auf, dass wohl niemand von uns daran gedacht hatte, auch Pfeile für Dallans neue Waffe zu machen. Daher flüstere ich Maytame zu, dass sie schnell loslaufen und meinen Köcher mit den Ersatzpfeilen aus der Höhle holen soll. Es dauert nicht lange und sie ist zurück und hält Dallan dann die Pfeile kichernd hin. Beinahe vorsichtig zieht Dallan einen der Pfeile aus dem Köcher und betrachtet ihn einige Momente, die ich dazu nutze, auch einige Worte an ihn zu richten: "Ma 'itan (Sohn), möge er Deine Pfeile immer dort treffen lassen, wo Du es beabsichtigst und möge er Dir helfen, alle Feinde zu besiegen, die Dir nach dem Leben trachten."  Einen kleinen Spaß kann ich mir jedoch nicht verkneifen, indem ich grinsend hinzufüge: "Und möge er niemals unbeabsichtigt durch ein Niesen Deine Pfeile abschießen."

Tsaro wirft die Frage auf: "Wer wird ihn denn dem Umgang mit dieser Waffe lehren, ma smuktu (Geschwister)?"  Doch auch auf diese Frage hat Sey schnell eine Antwort. Er schlägt Ne'wey als karyu (Lehrerin) für Dallan vor. Diese scheint anfangs nicht sonderlich begeistert von dieser Idee zu sein, doch als Sey dies begründet, nimmt sie den Vorschlag dann immerhin schon einmal an. Sey erklärt: "Ma Ne'wey, Du bist unsere beste Jägerin. Und Du hast die Erfahrungen, die Dich zu einer guten karyu (Lehrerin) machen."  Ich glaube jedoch Ne'wey ansehen zu können, dass sie immer noch von leichten Zweifeln geplagt wird. Sey unterstreicht seinen Vorschlag dann damit, indem er hinzufügt. "Es ist entschieden, ma menga (Ihr beiden). Ich möchte, dass ihr gegenseitig voneinander lernt."
Nach diesen Worten beginnt unser Fest dann erst so richtig und nun gönnt sich auch Ne'wey einen großen Schluck Beerenwein aus ihrem Becher. Tsaro und Sey scheinen beinahe um die Wette zu trinken und auch Dallan lässt es sich nicht nehmen, einige Becher des Weines zu sich zu nehmen. Das soll er aber auch ruhig, denn schließlich haben wir dieses Fest heute auch zu seinen Ehren gemacht. Ich beschließe, heute auch einmal richtig mit den anderen mit zu feiern. Weil ich weiß, dass ich eine große Verantwortung der kleinen gegenüber habe, erkläre ich ihr, dass ich wohl morgen ein wenig länger ausschlafen werde. Maytame entgegnet jedoch frech grinsend. "Das macht nichts, ich weiß ja, wo ich Wasser finde, ma sa'nu (Mama)."  Na das soll sie sich einmal wagen...

Ausgelassen lachen, erzählen und trinken wir noch weiter. Wie gut, dass Sey einige Krüge seines Beerenweines bereit gestellt hatte. Tsaro verabschiedet sich dann als erster und geht, nein eigentlich sieht sein Gang eher lustig und schwankend aus, zu unseren Schlafplätzen. Auch Maytame ist inzwischen eingeschlafen und kuschelt sich an Ne'wey an, die es sich inzwischen auch auf ihrem Fell etwas bequemer gemacht und sich hingelegt hat.

Weshalb ich mich dann plötzlich an der Trommel sitzend wiederfinde, kann ich nicht genau erklären. Eigentlich wollte ich etwas singen oder tanzen. Da meine Hände das Fell der Trommel aber irgendwie nicht mehr richtig zu treffen scheinen, gebe ich es auf und gehe zu den anderen zurück und  lege mich ebenfalls an der Feuerstelle nieder.

Die Stimmen von Sey, Dallan und Ne'wey scheinen sich immer weiter zu entfernen und ich spüre plötzlich eine Müdigkeit in mir, wie ich sie lange nicht mehr gespürt habe. Dann wird es still und dunkel um mich. Irgendjemanden höre ich noch lachen, dann umgibt mich pechschwarze Stille...


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