Donnerstag, 28. März 2013

Mipa tìrey / Ein neues Leben

Mipa tìrey sngä'i olo'mì ayoeyä
(Ein neues Leben in unserem Clan beginnt)


Vor langer Zeit, wir, also Kee'lanee, Sey und ich, lebten damals noch in unserem alten Clan zusammen, bat Kee'lanee mich einmal in einem persönlichen Gespräch, dass, sollte sie einmal ein Kind bekommen, sie mich dazu auserwählt hätte, ihr bei der Geburt zu helfen. Ich war damals mehr als überrascht, denn auch wenn wir zu dieser Zeit schon lange die besten Freundinnen waren, hatten wir bisher darüber nie gesprochen. Dass mir jemand ein solches Vertrauen entgegenbringt, hätte ich nicht gedacht, da meine Prüfung zur Zeykoyu (Heilerin) noch nicht lange zurück lag.

Aber Eywa hatte vor dieses Ereignis eine Vielzahl von anderen Ereignissen, es mögen vielleicht auch Prüfungen für uns gewesen sein, gestellt, sodass noch eine lange Zeit vergehen sollte, bevor ich Kee gegenüber mein Versprechen dann einlösen konnte. Wir mussten in ein neues Land umziehen, da unser altes Tal von einer Seuche heimgesucht wurde, Kee und Sey verschwanden auf eine etwas mysteriöse Weise und ich begab mich auf eine lange Suche nach den beiden. Aber eines Tages war es dann endlich so weit.Kee'lanee verkündete freudig strahlend, dass Eywa ihr und Sey nun vielleicht bald ein Kind schenken würde, denn es gäbe alle Anzeichen dafür.

So begann ich mich auf meine erste Geburt als Helferin vorzubereiten. Fragen konnte ich niemanden mehr, ich musste mich also allein auf mein Wissen, meine Erfahrungen und das, was ich in meinem elterlichen Clan als junges Mädchen mitbekommen hatte verlassen und darauf,  dass uns die große Mutter beistehen wird. Aber ich hatte das Versprechen abgegeben und so fing ich an, mich insbesondere mit schmerzstillenden Pflanzen zu beschäftigen und solchen, die den Körper entspannen, um meiner Freundin möglichst viel ihres Schmerzes während der Geburt zu nehmen.

An einigen Tagen ging es Kee wirklich gut und bis auf ihren ständig dicker werdenden Bauch merkte man ihr fast nicht an, dass sie ein Kind erwartet. An anderen Tagen jedoch, insbesondere gegen Ende der Schwangerschaft, klagte Kee über Rückenschmerzen und ihren immer praller werdenden Bauch. Oft kochte ich entspannende und beruhigende Tees für sie, wobei ich nicht selten auch einfach mal neue Rezepturen ausprobierte. Nicht immer habe ich ihr dies jedoch erzählt, um sie nicht unnötig aufzuregen. Sie sollte sich möglichst schonen, das war mein vorrangiges Ziel.

Am Tag vor der Geburt jedoch wurde es etwas hektisch. Kee klagte wieder einmal über Rückenschmerzen und ihr schien das alles zu viel zu werden, was ich sehr gut verstehen konnte. So mischte ich ihr aus einigen Kräutern und Knollen eine Art Salbe zusammen, die ich ihr auf den Rücken auftrug, um sie vorsichtig zu massieren. Als sie später schlafen ging, bat ich sie noch einmal eindringlich, mich aufzuwecken, sobald die ersten Wehen einsetzen würden. Doch Eywa meinte es gut mit ihr und ließ sie eine ruhige Nacht verbringen.

Ich selber war wohl als einzige, die vor Aufregung fast kein Auge zu bekam und so nutzte ich die Zeit, um vor unserer Höhle alles vorzubereiten. Ich suchte große Blätter, stellte eine Vielzahl von Gefäßen mit verschiedenen Hilfmitteln bereit und richtete ein extra für die Geburt vorbereitete Fell her.

Am nächsten Tag dann, wir saßen gerade alle miteinander am Feuer, passiert es. Sie fing an, sich den Bauch zu halten und klagte über starke Schmerzen. Es schien also loszugehen. Ich bat Sey, sich so hinter sie zu setzen, dass er ihren Rücken stützen würde, reichte ihr einen entspannenden Tee und gab Kee ein kleines Stück der Alge aus einer Reheyu  (Schneckenhaus). mahnte sie jedoch dieses erst zu benutzen, wenn die Schmerzen wirklich sehr stark werden. Sey gab ich, für den Fall, dass Kee Nachschub brauchen sollte, ein zweites Stückchen.

Die Wehen kamen in immer schnellerer Folge und schließlich platzte Kees Fruchtblase. Sey war sehr erschrocken, als dies passierte, aber ich konnte ihn beruhigen, dass dies ein völlig natürlicher Vorgang sei und er nichts zu befürchten habe. Um ihn ein wenig abzulenken, bat ich ihn, Kee ein wenig den Rücken zu massieren, was er auch sehr sorgsam tat.

Dann ging plötzlich alles Schlag auf Schlag. innerhalb von drei oder vier Wehenzyklen hatte unser neues Clanmitglied, ein strammes und überaus hübsches Mädchen übrigens, das Licht eywa'evangs  (Pandoras) erblickt. Nun tat ich etwas, das ich auch mehr oder weniger improvisiert hatte, weil mir schlichtweg bisher die Erfahrung damit fehlte. Ich band die Nabelschnur an Kees Unterleib und an dem Bauch des Kindes ab und bat Sey, er möge sie dann durchschneiden.

Sey schaute mich sehr erschrocken an und schien für einen kurzen Moment sehr überfordert damit zu sein. Klar, er hatte Angst, er könne vielleicht etwas falsch machen und Mutter oder Kind verletzen. Aber ich beruhigte ihn und zeigte ihm genau die Stelle, an der er die Nabelschnur durchtrennen sollte. Dies war der bisher einzige Moment, solange ich Sey kenne, an dem ich sein Messer ein wenig zittern sah..

Auch ich war den ganzen Abend innerlich derart aufgeregt, dass ich manchmal Angst hatte, ich könne vor lauter Anspannung etwas falsch machen, versuchte jedoch nach außen hin völlig ruhig zu wirken, um insbesondere Kee nicht zu beunruhigen.

Als ich die Kleine dann auf Kee'lanees Bauch legte, schien alle Anstrengung von ihr ab zu fallen. ich habe nur sehr selten ein glücklicheres Gesicht gesehen, das ich auch wohl mein Leben lag nicht mehr vergessen werde. Auch der stolze sempul (Vater) Sey strahlte nur so und war spätestens in diesem Moment vollkommen mit der Situation überfordert.

Kee lag erschöpft mit ihrem kleinen Töchterchen in ihren Armen auf ihrem Fell, schaute sie und uns immer wieder nacheinander an und ich glaube, ihr selber fehlten die Worte und mir ebenso. Ich habe die Kleine von ersten Moment so fest in mein Herz geschlossen, als wäre es mein eigenes Kind. Sie ist einfach wunderschön und, ja, ich gebe es zu, ich wünsche mir seit diesem Moment fast nichts sehnlicher, als auch einmal eine sa*nu  (Mama) zu werden.

Da Sey und Kee sich aber noch nicht sicher waren, welchen Namen das Kind bekommen sollte, dauerte dies noch ein paar Tage. Zuerst wollten sie, dass der ganze Clan entscheidet, doch ich erklärte Kee, dass dies ihre erste, große Aufgabe als Eltern sein würde. Sie entschieden sich dann für den, wie ich finde, sehr schön klingenden Namen Tsìlpey.

Mittlereile ist sie ein fester Bestandteil des ganzen Clans geworden und manchmal können wir uns gar nicht mehr an die Zeit vor ihrer Geburt zurück erinnern. Es ist, als wäre Tsìlpey schon immer da gewesen, so komisch es auch klingen mag. Häufig sitzen wir am Feuer und jeder von uns bekommt funkelnde Augen, wenn er sie auf dem Arm halten darf.

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