Dienstag, 14. April 2020

Sweylu txo liyevu oe sempul srak - Hapxì apxeyve | Soll ich Vater werden? - Teil 3



Neyri und ich liegen immer noch am Ufer des seichten Flusses, der mitten durch unser Sumpfgebiet führt und wir sind immer noch unbekleidet. Sie ist eine sehr hübsche Frau und ich beneide Tsahìk (spirituelle Clanführerin) schon ein wenig, dass sie mit Neyri vor Eywa vereint ist. Doch es war und ist Eywas Plan und ich akzeptiere ihn. Ich bin dennoch froh und auch stolz darauf, dass sie meine Lehrerin ist, dass sie mir meine Bitte erfüllt, all das von ihr zu lernen, was ich bisher im Leben nicht haben lernen können.

Neyri ist sehr geduldig mit mir und so manches Mal glaube ich ihr anmerken zu können, dass sie mir Dinge durchgehen lässt, mir nicht sagt, dass ich etwas falsch mache, weil sie weiß, dass in meinem bisherigen Leben noch nie ein Mädchen, eine Frau gab. Wie hätte ich viele Dinge also lernen sollen, wenn nicht jetzt von ihr?

Es wird bald dunkel und ich höre die ersten Rufe der nachtaktiven Tiere. Wir sollten uns nun besser einen sicheren Schlafplatz suchen, geht es mir durch den Kopf, doch möchte ich ihre Nähe noch nicht aufgeben. Tsahìk (spirituelle Clanführerin) sagte, wir sollen miteinander sprechen, uns kennen lernen und voneinander lernen, denn nur so würden wir entscheiden können, ob der von uns gewählte Weg, dass Neyri einmal ein Kind von mir bekommen wird, der richtige Weg ist.

So höre ich ihr zu, wenn ihr etwas einfällt, das gewiss nicht jeder im Clan erfahren muss, vielleicht nicht einmal ich?  Doch ich unterbreche sie nicht. Ich bin sicher, sie wird mir auch einige Dinge nicht erzählen, Dinge die vielleicht noch grausamer sind, als das, was sie mir bereits offenbart hat. Sie ist mutig, finde ich, denn es gehört sicher viel Vertrauen dazu, jemandem, von dem sie noch bis gestern so gut wie nichts wusste, solche Dinge zu erzählen. Sie tut mir sehr Leid und ich weiß, ich kann nicht einmal ansatzweise nachvollziehen, was die sawtute (Himmelsmenschen) ihr angetan haben. Aber ich weiß, ich werde, wenn nötig, kämpfen - Auch für sie.

Inzwischen ist es nun aber so dunkel, dass ich sie auffordern muss, mit mir zu gehen, um ein Nachtlager zu suchen. In der Ferne höre ich Nantangs (Natterwölfe) heulen. Sie sind auf der Jagd. Ich bin sicher, dass auch Neyri sie hört, aber sie scheint sie überhören zu wollen. Vielleicht will sie, ebenso wie ich, einfach hier an diesem Ort bleiben, mir von sich erzählen und auch von mir immer neue Dinge erfahren?

Manchmal ist sie beinahe wie ein Kind. Sie lacht, sie kichert und ich mag dieses verspielte Kichern. Dann aber ist sie von einem zum anderen Moment ernst, ja sie wirkt manchmal sogar traurig, wenn sie mir von den schlimmen Dingen ihrer Jugend erzählt. Aber sie weint nicht. Man hat ihr vieles genommen, sehr vieles, bemerke ich mehr und mehr, doch eines haben die sawtute (Himmelsmenschen), wie ich feststelle, ihr niemals nehmen können: Ihr unglaublich schönes Lachen. Immer wieder wundere ich mich, dass sie überhaupt noch lachen kann nach allem, was sie ihr angetan haben.

Wir beschließen, meinen Bogen zu holen, den ich auf der Baumwurzel hatte liegen lassen, bevor wir diese verließen, um zu schwimmen. Merkwürdig, ich habe meinen Bogen noch niemals irgendwo liegen lassen?  Ob Neyri vielleicht etwas damit zu tun hat?  Ich weiß es nicht. Ich führe sie durch das Sumpfgebiet und kurz bevor wir den Ort erreichen, den ich als Nachtlager gewählt habe, weil wir dort sicher sind, geschieht etwas, für das ich mich zwar nicht schäme, das ich jedoch lieber für mich behalte. Nur Neyri und ich wissen es und sie wird, nein, sie soll es Tsahìk (spirituelle Clanführerin) erzählen, denn die sollte es erfahren.

Neyri schlägt mir dann jedoch vor, stattdessen zurück in unser Lager zu gehen und ich verstehe ihre Begründung sehr gut. Sie möchte sich Kxìryas Wunde ansehen. Tsahìk (spirituelle Clanführerin) ist wohl schon seit einigen Tagen ungeduldig, wann sie ihre Beinschiene, die sie noch tragen muss, denn endlich entfernen kann. Auch führt Neyri an, dass Maytame und Ryatxì (Kxìryas und Neyris Kinder) sich sorgen könnten und bestimmt bereits Fragen stellen, wo Neyi denn so lange bleibt?

Wir durchqueren den Wald und erreichen dann den See, der unterhalb unseres Clanlagers liegt. Bevor wir dieses betreten, halte ich Neyri an ihrer Hand fest und bitte sie, kurz zu warten. Ich spüre, dass ich in ihrer Gegenwart nun schon deutlich sicherer bin, als noch zuvor und umarme sie spontan. Sie wehrt sich nicht, als ich sie einfach küsse, um ihr zu danken und ihr zu zeigen, dass ich sie liebe auch wenn ich weiß, dass sie Kxìryas muntxate (Ehefrau) ist. Ich spüre, dass sie sich auch jetzt nicht wehrt und auf diesen Kuss eingeht.

Noch einmal bitte ich Neyri inständig, sie möge Tsahìk (spitituelle Clanfüherin) nichts von dem, was zwischen ihr und mir geschah, verschweigen. Sie soll ihr von allem berichten, was sie mich lehrte und auch, was sie von mir vielleicht gelernt hat. Ich bitte sie, mich in den nächsten Tagen nicht aufzusuchen, denn ich möchte zuerst noch einmal über alles nachdenken. Ich möchte alles, was sie mich lehrte, mir erzählte und was wir erlebten, noch einmal in meinen Träumen sehen - Auch ihren Gesang. Außerdem möchte ich, dass sie die Möglichkeit bekommt, wieder mehr Zeit mit den Kindern und auch mit Kxìrya zu verbringen, denn Neyri leistet in letzter Zeit sehr viel und hat daher nur sehr wenig Zeit für sich selbst.

Neyri respektiert meinen Wunsch und als wir das Lager erreichen, kreuzen sich unsere Blicke ein letztes Mal für heute. Ich bin sicher, dass ich weiß, an was sie gerade denkt, sage ihr aber nichts dazu. So lasse ich sie ins Lager zurück gehen, während ich selber zunächst an unserem Torbogen bleibe, denn meine Aufgabe ist es, das Lager zu bewachen. Bei aller Aufmerksamkeit, die ich dieser Aufgabe zuwende vergesse ich jedoch nicht Neyris Lied, dass sie für mich sang. Ich bin sicher, dass ich bereit sein werde, ihren Wunsch zu erfüllen und sempul (Vater) eines Kindes zu werden, dessen sa'mok (Mutter) Neyri sein wird.

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