Samstag, 17. August 2013

Aungia ahì'i / Ein kleines Zeichen

Ma nawma Eywa rutxe tìng oer aungia ahì'i fwa tsun rivun soaia oeyä nìmun.
(Bitte, große Eywa, gib mir ein kleines Zeichen, dass ich meine Familie wieder finden kann)


Die Tage vergehen. Ebenso die manchmal einsamen und mir unzählig vorkommenden Nächte. Maytame, mein über alles geliebtes, kleines Mädchen lernt sehr schnell. Sie macht jeden Tag Fortschritte. Doch auch wenn die Zeiten sehr schwer sind und unser Clan immer noch nicht wieder vollzählig vereint ist, werde ich niemals aufgeben, ihr all das beizubringen, was sie mich einst gelehrt haben. Doch ohne meinen yawntu (Liebsten) ist es oft sehr schwer. Oft liege ich nachts wach und weine. Ich bete jeden Tag zu unserer großen Mutter, dass sie unseren Clan wieder zusammen führen möge. Möge Eywa mir ein kleines Zeichen geben, das mir wenigstens ein klein wenig Klarheit bringt...

Auch heute wache ich wieder etwas übermüdet auf und mein erster Blick gilt ihr, Maytame, die mich lächelnd anschaut. Liebevoll streichle ich ihr über ihren kleinen Kopf und begrüße sie: "Txon rewon ma tanhìtsxìp oeyä. Nga holahaw nìmwey srak?" ("Guten Morgen mein Sternchen. Hast Du gut geschlafen?")  Sie brabbelt einige undefinierte Laute vor sich hin, doch ich weiß genau, was sie mir sagen will. Sanft lege ich sie an meine Brust an, um ihren Hunger zu stillen. Die kleine Holzrassel, die Nìm'wey für sie gemacht hat, ist inzwischen ihr Lieblingsspielzeug geworden. Leise klappern die kleinen Holzkugeln gegen die kleine, mit dünnem Yerikfell (hirschähnliches Tier) bespannte Trommel. Als sie dann satt ist, lege ich sie in ihren Tragekorb. Hatte ich anfangs noch etwas Bedenken, ihn über den Rücken zu hängen, macht Maytame es mittlerweile offenbar Freude, sich unter meinem langen Haar zu verstecken. So machen wir uns auf den Weg durch den Wald, um vielleicht heute eine Spur der anderen zu finden...

Sey, Kee'lanee, Txuratxan, Winataron, Ma'wey, Ari'lana, Tsìlpey und wie sie alle heißen. Ich werde nicht aufgeben, irgendeine Spur von ihnen zu finden. An einem Fluss machen wir kurz Halt, damit ich meine Wasservorräte auffüllen und mir für den Weg einige Früchte zusammen sammeln kann. Ich nehme mir etwas Zeit, um mit der Kleinen kurz ein kleines Bad im seichten Wasser des flach auslaufenden Flussufers zu nehmen. Maytame quiekt vergnügt, als ich sie zuerst mit den Füßchen, dann nach und nach etwas mehr ins Wasser halte. Meine Frage: "Srake ngar sunu fwa slele nì'it?" ("Magst Du ein wenig schwimmen?") beantwortet sie mir mit einem beinahe schrillen Lachen. So nehme ich mir etwas Zeit, eine Weile mit ihr im Wasser zu verbringen.

Doch dann geht es weiter, nachdem ich sie und mich getrocknet und wir beide uns noch etwas gestärkt haben. Der Weg soll uns heute an den Rand des dichten Waldes führen, um dort vielleicht interessante Dinge oder Spuren zu finden. Dass auch meine heutige Suche erfolglos bleiben wird, ahne ich natürlich jetzt noch nicht, doch es ist die Zuversicht und das Wissen, dass Eywa für uns alle sorgt, die mich einen Fuß vor den anderen setzen lassen.

Der Wald ist sehr groß und zudem sehr dicht bewachsen. Hier gibt es Geräusche, die ich schon sehr lange nicht mehr vernommen habe, die mir aber dennoch sehr vertraut sind. Ich nehme Maytames Tragekorb nach vorn, damit die Kleine besser sehen kann, was um sie herum geschieht. Ihre großen, dunklen Augen schauen sich neugierig nach allen Seiten hin um. Wann immer die Zeit ist, erkläre ich ihr einige Dinge. Auch wenn ich natürlich weiß, dass sie das noch nicht verstehen kann und wird, soll sie spüren, dass ich bei ihr bin.

Im Hohen Gras entdecke ich einige ayfwäki (Gottesanbeterinnen), die auf der Jagd nach ayhì'ang (Insekten) zu sein scheinen. Ich nehme Maytame langsam und leise aus dem Korb und hocke mich mit ihr in ausreichender Entfernung ins Gras, um die Tiere ein wenig zu beobachten. Maytames Schwänzchen zappelt etwas und patscht mir immer wieder aufgeregt gegen den Bauch, als sie die Tiere beobachtet. Als eine recht große fwäki (Gottesanbeterin)  mit einem gezielten Fangschlag dann ein Beutetier erwischt, zuckt die Kleine leicht zusammen, doch Angst scheint sie nicht zu haben. "Tìng nari.", erkläre ich ihr flüsternd: "Fìfwäkil tolaron hì'angit taluna 'efu ohakx." ("Schau. Diese Gottesanbeterin hat ein Insekt gehajgt, weil sie Hunger hat.")

Maytame verharrt einige Augenblicke ganz still und steif in meinen Armen und beobachtet das interessante Schauspiel, als das Tier seine Beute frisst. "Po lu taronyu asìltsan nìtxan." ("Sie ist eine sehr gute Jägerin."), führe ich weiter aus. Mein Mädchen klammert sich ein wenig an meinem Hals fest und so lege ich sie wieder in den Korb, um meinen Weg fortzusetzen.

Schließlich erreichen wir den Waldrand und ich kann in einiger Entfernung den großen Ozean sehen. Die niedrigen Wellen glitzern im Licht der sich bereits langsam senkenden Sonne. Ein schöner Anblick. Ich denke, ich werde, sobald Maytame etwas größer ist, dort einmal mit ihr hin gehen, um ihr auch dies zu zeigen und ihr alle Fragen, die sie mir dann hoffentlich stellen wird, so gut es geht zu beantworten.

Dann mache ich mich auf den Heimweg. Heimweg. Dieses Wort hat in der letzten Zeit eine ganz besondere Bedeutung für mich bekommen. Denn obwohl das Land, das wir entdeckt haben, wunderschön ist und es hier mehr als genug Nahrung gibt, fühle ich mich hier doch immer noch nicht so ganz zu Hause. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis ich sagen kann, dass dies nun mein, oder besser unser Zu hause ist.

Ein Geräusch lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken und ich schaue mich um. Dann entdecke ich einen kali'weya (giftige, skorpionähnliche Spinnenart), der gerade an einem Baumstamm empor klettert. Unweigerlich weiche ich einige Schritte zurück und gehe dann in einem großen Bogen um diesen Baum herum weiter. "Eltu si!" ("Pass auf!"), sage ich leise zu mir selber. Doch das Tier hat uns nicht bemerkt und setzt unbeirrt seinen Weg fort.

Maytame ist inzwischen eingeschlafen, doch ich bin sicher, sie wird gleich wieder aufwachen, wenn wir zurückgekehrt sind. Keinen Moment zu früh erwacht sie dann auch wieder und fängt an etwas herum zu quängeln, da sie wieder einmal Hunger hat. Eine Weile setze ich mich mit ihr an unser Feuer, füttere sie und singe ihr dabei leise ein Lied, dass ich längst vergessen zu haben glaubte und an das ich erst durch Nìm'wey vor einiger Zeit wieder erinnert wurde. Ich mag dieses Kinderlied sehr und die Kleine offenbar auch, denn sie schaut mich mit ihren großen, dunklen Augen an.

Sie hat die Augen ihres sempul (Vaters)  und jedes mal, wenn sie mich so anschaut kämpfe ich gegen die in mir aufsteigenden Tränen an. Nicht immer jedoch gewinne ich diesen Kampf, wie auch jetzt. Wo ist mein muntxatan (Ehemann) jetzt?  Geht es ihm gut?  Wird er eines Tages zurück kehren?  Oder ist er vielleicht...?  Ich unterdrücke diese Frage, noch bevor ich sie zu ende gedacht habe, denn ich gebe die Hoffnung nicht auf ihn und den Rest meines Clans, meine Familie, wiederzusehen - irgendwann...

Ich wische meine Tränen weg und lege Maytame sanft auf unser Lager, um mich dann neben sie zu legen und sie in meine Arme zu schließen, ist sie doch meine Zukunft und der Teil meines Lebens, der mich nach vorm blicken lässt. "Tìng mikyun, ma nawma Eywa." spreche ich leise ein Gebet zu mir: "Rutxe tìng aungia ahì'i oer fwa tsun rivun nìmun soaia oeyä ulte hawnu si for." ("Bitte erhöre mich, ehrwürdige Eywa. Gib mir bitte ein kleines Zeichen, das mich meine Familie wieder finden lässt und beschütze sie alle.")



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