Freitag, 13. September 2013

Mehey amip / Zwei neue Gesichter

Tsmuke amip  a lu Mei ulte mipa tsmukan alu Tsaro.
(Eine neue Schwester Namens Mei und ein neuer Bruder, genannt Tsaro.)


Mein erster Gedanke, als ich von Maytame, die mich mit ihrem Schweif am Bauch kitzelt, aufgeweckt werde, gilt dem gestrigen Ereignis. Nur selten habe ich eine solch große und zugleich wunderschöne  Zusammenkunft erleben dürfen wie an diesem Tag. Auch wenn der Anlass eigentlich eher traurig und ergreifend war, hat es doch wieder einmal gezeigt, dass die Rey'engya ein starker Clan sind, dem  Zusammenhalt eine wichtige Rolle spielt. Noch ein wenig müde bleibe ich liegen, während ich meine Kleine füttere. Ich genieße ihre Nähe und danke Eywa zugleich dafür, dass wir beide wieder gemeinsam einen neuen Tag mit den anderen des Clans zusammen erleben dürfen. Von irgendwoher höre ich Geräusche, doch es sind keine vertrauten Stimmen, sondern es sind Geräusche, die von irgendwo her aus den Bäumen hinab bis zu mir herunter dringen.

Alle aysmuktu (Geschwister) sind anscheinend unterwegs und ich beschließe nach einem kleinen Frühstück, Maytame auch den Ort zu zeigen, an dem wir so respektvoll Ari'lanas sterbliche Hülle niedergelegt haben. Unterwegs erzähle ich ihr von der tsmuke (Schwester), dass sie Maytame immer sehr lieb gehabt und sich sehr darauf gefreut hat, eines Tages mit ihr spielen zu können. Doch ich verweile nicht sehr lange an diesem Ort. Ich sage mir, dass etwas Zeit verstreichen soll, denn auch ich muss das Erlebte erst einmal verarbeiten.

Mein Heimweg führt mich dann über den See und ich entdecke Ne'wey. Sie hockt auf einem Felsen, der mitten im Wasser liegt und begrüßt uns beide freundlich. Unser Gespräch ist jedoch dann nicht von langer Dauer, denn wir vernehmen Geräusche und erkennen schließlich eine fremde Na'vi, sie sich uns nähert. Da ich gerade mit Maytame beschäftigt bin und Ne'wey außerdem ihren Bogen griffbereit hat, bitte ich sie einmal nachzuschauen, wer denn da zu uns gekommen ist.

Eine Weile lang höre ich dann nur undeutliches Gerede und als ich meine kleine Tochter dann in ihren Korb gelegt habe, gehe ich ebenfalls zu Ne'wey und der Fremden hinüber. Wie es in unserem Clan üblich ist, begrüße ich die Fremde mit der Begrüßungsgeste, die sie erwidert. Sie stellt sich dann mit dem Namen Mei vor. Sie scheint noch sehr jung zu sein.

Ne'wey gibt mir jedoch zu verstehen, dass sie heute unter allen Umständen mit mir jagen gehen will, was ich ihr ja auch erst vor einigen Tagen fest versprochen hatte. Daher laden wir Mei ein, es sich in unserer Höhle am Feuer bequem zu machen, bis wir wieder zurück sind. Das Angebot, uns zur Jagd zu begleiten, lehnt sie mit dem plausiblen Argument: "Irayo mangar (danke Euch), aber ich hatte eine sehr lange und auch anstrengende Reise und würde mich gerne etwas ausruhen." ab. Und so gehen Ne'wey und ich dann, nachdem ich Maytame zu den anderen in die Höhle hinein bringe, in Richtung des Waldes los. Dabei überlasse ich Ne'wey die Führung der Jagd, denn ich möchte mir ihr Vorgehen einmal näher anschauen. Bisher gab es dazu noch keine Gelegenheit.

Ne'wey, stelle ich schon sehr bald fest, hat von ihrem alten Clan sehr viel und sehr gut gelernt, denn sie bewegt sich ebenso lautlos und wachsam, dabei immerzu witternd, durch den Wald, wie wir es auch tun. Sie steht uns in nichts nach. So dauert auch gar nicht lange, bis sie eine Fährte aufgenommen hat, die wir verfolgen und die uns schließlich zu einer kleinen Yerikherde (hirschähnliche Tiere) führt. Wir sind beide sehr konzentriert und bewegen uns, wenn überhaupt, dann absolut lautlos.
Ne'wey beweist mir dann mit einem sehr gekonnten Schuss, dass sie auch den Umgang mit ihrem Bogen mehr als nur gut beherrscht, denn sie tötet eines der Tier mit nur einem einzigen Pfeil, der sein Ziel perfekt trifft. Gemeinsam knien wir neben unserer Beute nieder und sprechen ein Gebet, um Eywa für dieses Geschenk zu danken und sie zu bitten, die Seele des tsmukan (Bruders) in sich aufzunehmen. Auch dabei fällt mir Ne'weys Verhalten sehr positiv auf. Sie ist wirklich eine gute und erfahrene Jägerin.

Dann allerdings müssen wir uns beeilen, da getötete Tiere eine ganz typische Fährte für andere mögliche Angreifer, wie etwa auch Nantangs (Natterwölfe) verbreiten, was uns zu einem nicht gerade schweren Ziel macht. Besonders Ne'wey, die ihre Beute über der Schulter trägt, hat es recht schwer und könnte allenfalls langsam flüchten, wollte sie ihre Beute nicht im Falle eines Falles aufgeben müssen. Doch es geht alles gut und wir kommen recht zügig voran und wir erreichen recht schnell unsere Höhle und machen uns daran, das Yerik (hirschähnliches Tier) zu bearbeiten, damit es bis zum morgigen Tag ausbluten kann.

Ein Geräusch unterbricht dann jedoch unsere Arbeit und ich gehe nachschauen, was los ist. Es scheint, als habe sich ein Tier oder etwas anderes bis hinauf zu unserer Höhle verirrt. Ne'wey bleibt erst einmal zurück, aber ich weiß, sie würde mich verteidigen, würde es möglicherweise zu einem Kampf kommen. Doch ich muss bereits nach kurzer Zeit feststellen, dass es kein verirrtes Tier ist, sondern ein fremder Na'vi, der sich freundlich als Tsaro vorstellt. Als ich aus der Nähe seine Witterung aufnehme, erinnere ich mich daran, dass ich, diese schon einmal, wenn auch nur sehr schwach, wahrgenommen hatte. Es war vorhin, als ich mit Ne'wey jagen war, genauer gesagt, während unseres Heimweges. Daher nehme ich an, dass Tsaro ebenfalls durch den Wald bis zu unserer Höhle gekommen sein muss.

Auch Nìm'wey, die soeben zu uns zurückgekehrt ist, begrüßt den tsmukan (Bruder) respektvoll und freundlich und wir laden ihn ein, sich mit uns ans Feuer zu setzen. Tsaro begleitet uns und ist zunächst mit einem großen Becher Wasser, den ihm Ne'wey anbietet, zufrieden. Ein wenig zögernd kommen wir ins Gespräch und Tsaro berichtet dann von seiner Reise. Seine Erzählung ist überaus interessant und dies steigert sich noch einmal, als er den Clan erwähnt, von dem er stammt. Er gibt an, ein Jäger der Tipani zu sein, jenes Clans in dem ich selber, ebenso wie Ne'wey, Nìm'wey und sogar unser Olo'eyktan Sey einst lebten und die auch dort ausgebildet wurden.

An den Gesichtern Nìm'weys und Ne'weys lese ich nur zu deutlich ab, was sie gerade empfinden mögen. Ich bemerke, dass Ne'weys Gesichtsfarbe sich nach und nach zu einem tief violetten Ton ändert und sie sehr still wird, während ich Tsaro viele Fragen zu seinem Clan stelle, die er allesamt bereitwillig beantwortet. Schließlich ist dann sicher, dass wir wirklich von ein und dem selben Clan, den Tipani, sprechen. Allerdings scheint es ein Missverständnis zu geben, denn eine Li'u, die Tsahìk gewesen sein soll, kennt von uns niemand und als ich Ayn'ats Namen erwähne, spricht Tsaro von einer sehr jungen Na'vi, die diesen Namen wohl trägt, die aber offenbar niemals Tsahìk (spirituelle Führerin) der Tipani war. Na, wir werden wohl noch genügend Gelegenheiten finden, uns mit ihm zu unterhalten...

Tsaro fragt uns dann, ob es wohl möglich wäre, dass er für einige Zeit lang bei uns leben könnte, worauf wir drei selbstverständlich nur eine Antwort geben können. Mit einem klaren: "Zola'u nìprrte' ma Tsaro olo'mì ta Rey'engya." ("Herzlich Willkommen im Clan der Rey'engya, Tsaro.") laden wir ihn dann ein, so lange bei uns zu verweilen, wie er es möchte. Müde von seiner langen Reise bittet er uns dann, ihm einen Schlafplatz zu zeigen und so schicke ich Ne'wey, die mir aus irgendeinem Grund Tsaro gegenüber sehr schüchtern erscheint, ihm alles zu zeigen. Doch ich begleite sie, denn Maytame wird bestimmt bald wieder Hunger bekommen und nach ihrer sa'nu (Mama) suchen.

Tsaro ist dann auch sehr schnell in tiefen Schlaf versunken und als ich mit der kleinen zu Ne'wey und Nìm'wey zurück kehre, verabschiedet sich letztere dann ebenfalls. Zurück bleiben Ne'wey und ich mit meiner Tochter. Meine Frage, weshalb Ne'wey meiner Meinung nach ein wenig schüchtern gegenüber Tsaro war, bleibt jedoch zunächst noch unbeantwortet. Ich will aber heute auch gar nicht weiter darauf eingehen, denn unser ruhiges Zusammensitzen ist dahin, als Maytame plötzlich putzmunter wird und zu Ne'wey will.

Ich lasse sie ein paar mal wie einen Ikran (Banshee) fliegen, indem ich sie hoch halte und mich dabei um mich selber drehe, dann reiche ich mein Sternchen an Ne'wey, die offensichtlich sehr gern mit ihr spielt. Nur als Maytame sie an ihrem nach vorn herunter hängenden Zopf zieht, quiekt diese einmal kurz auf. Aber ihr Umgang mit der Kleinen fasziniert mich doch sehr. Sie geht sehr gut auf die Kleine ein und ich habe das Gefühl, Maytame ist bei ihr in guten Händen.

So spielen wir eine Zeit lang mit der Kleinen an unserer Feuerstelle, bis sie dann müde wird und ihr schließlich die Augen zu fallen. Wir gehen nun ebenfalls schlafen und ich lege mein Mädchen sanft an mein Herz. Wie jede Nacht, spreche ich ein Gebet zu unserer großen Mutter, damit sie alle beschützt, die im Moment nicht bei uns sein können...

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