Sonntag, 8. September 2013

Plltxe nì'it nì'aw / Nur etwas reden

'efu meyp oe ulte fra'ul veykrr`n oet . 
(Ich fühle mich schwach und  mir ist alles zu viel.)

Schon als ich aufwache, spüre ich ein Gefühl von Gleichgültigkeit in mir. Nein, es ist nicht Gleichgültigkeit alleine. Ich empfinde auch ein Gefühl von Hass und Wut, das ich aber nicht genau zu beschreiben vermag. Jedenfalls bin ich froh, als Maytame (Kxìryas Tochter) satt ist und müde wird, sodass ich sie hinlegen kann. Auch wenn ich sie über alles liebe, muss ich heute einfach mal etwas Zeit für mich alleine haben. Ich muss über einige Dinge nachdenken. Dinge, die mich betreffen, meine Familie und vielleicht letztlich auch den ganzen Clan.

Bewaffnet mit meinem Bogen verlasse ich dann ziellos unsere Höhle, marschiere in Richtung des Sees. wo ich zunächst etwas verweile. Doch es zieht mich weiter und ich gehe entlang am Flussufer, vorbei am Waldrand und halte nur kurz an, um etwas zu trinken. Eigentlich ist heute ein schöner Tag, doch wirkliche Freude kann ich darüber irgendwie nicht empfinden.

Seit mich Nìm'wey nach Ari'lana fragte, beschäftigen mich Gedanken an sie, meinen muntxatan (Ehemann), an Sey, Kee'lanee und all die anderen  und ich frage mich, ob all dies wieder einmal nur eine Art von Prüfung ist, die die große Mutter mir auferlegt. Will Eywa vielleicht, dass ich nach ihnen suche?  Aber wie soll ich das anstellen?  Maytame ist noch viel zu klein, um solch weite und gefährliche Wege zurückzulegen. Ich kann, will und werde sie nicht unnötig solchen Gefahren aussetzen.

Völlig in meine Gedanken versunken, bemerke ich nicht, dass ich etwas von meinem Weg abkomme und realisiere es erst, als ich bemerke, dass das Licht der Sonne die dichten Baumkronen nicht mehr vollständig zu durchdringen vermag. Ich bin unvorsichtig, was mich zusätzlich ärgert. Also orientiere ich mich zunächst einmal. Ich habe Hunger. Daher sammle ich auf meinem Weg einige Früchte ein, bevor ich dann nach einem Platz suche, an dem ich mich etwas ausruhen und nachdenken kann.

Ein hoher Baum ist dann schließlich mein Ziel und ich klettere hinauf, um mich auf einen dicken Ast zu hocken. Mein Blick fällt auf die Menschensiedlung. Sie ist zwar weit entfernt, aber sie ist von hier oben doch deutlich zu erkennen. Ich erinnere mich daran, dass mir einer der sawtute (Himmelsmenschen) einmal das Leben gerettet hat, als unser alter Clan von einer heimtückischen Krankheit befallen war. Ich habe ihn seither nie wieder gesehen...

Plötzlich habe ich ein Gesicht vor meinem geistigen Auge, das Gesicht meines kleinen Mädchens, die mich mit ihren großen, dunklen Augen anstrahlt. Wieder überkommt mich ein Gefühl von Wut, denn ich empfinde es in diesem Moment wie eine Art Strafe, dass Maytame beinahe die selben Augen hat, wie ihr sempul (Vater). Mir die Frage stellend: "Ma Wina, pesengit tok ngal?" ("Wo bist Du, Wina?") schleudere ich mit viel Kraft meine angebissene Frucht in den Wald hinein und fange an zu weinen. Dabei rufe ich, und ich spreche dabei die große Mutter direkt an: "Ma nawma sa'nok, pelun nga fmetok oer nì'ul'ul?" ("Große Mutter, warum prüfst Du mich wieder und wieder?")

Doch dann höre ich ein Geräusch und schrecke ein wenig aus meinen Gedanken hoch. Ich bemerke, dass jemand zu mir hinauf klettert. Es ist Ne'wey. die offenbar im Wald unterwegs war und nun auf dem Heimweg ist. Sie fragt, nachdem wir uns begrüßt haben, ob sie mir Gesellschaft leisten darf. Auch wenn mir im ersten Moment nicht nach Gesellschaft zumute ist, mag ich sie dennoch nicht wegschicken. Eine gute Entscheidung, wie sich viel später erst herausstellen soll.

Natürlich sieht sie mir an, dass mich etwas bedrückt, doch sie stellt mir keine direkten Fragen dazu. Schließlich erzähle ich ihr von meinen Gedanken und was ich gerade empfinde. Sie hört mir aufmerksam zu und nach und nach spüre ich, dass mich dieses Reden etwas erleichtert. Wir sitzen sehr lange hier oben und auch Ne'wey erzählt mir einiges von dem, was sie erlebte, bevor sie zu uns kam.

Schließlich frage ich sie, mich erinnernd: "Sag mal, ma tsmuke (Schwester), Du sagtest doch, dass Du vom Clan der Tipani kommst, nicht wahr?"  Sie nickt bestätigend und so fahre ich fort ihr zu erzählen, dass auch ich einst in diesem Clan gelebt habe, was sie in Erstaunen versetzt. An ihrer Reaktion bemerke ich jedoch, dass man ihr dort offenbar nie von mir berichtet hat. Auch Sey, Kee und die anderen Namen sind ihr unbekannt, als ich sie danach frage.

Wieder schießen mir Erinnerungen durch den Kopf und ich frage Ne'wey, ob es dem Olo'eyktan (Clanführer) der Tipani gut geht?  Auch interessiert es mich zu erfahren, was aus einigen meiner damaligen smuktu (Geschwister) geworden ist. Etwas Traurig erklärt Ne'wey mir, dass die Frau des Olo'eyktan (Clanführer)  und einstige Tsahìk (spirituelle Clanführerin) vor nicht allzu langer Zeit zu Eywa gegangen sei, was mich auch etwas betrübt. Sie berichtet auch, dass der Clan der Tipani in seiner alten Form nicht mehr existiert und sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut hat.

Als ich sie nach dem Alten Greis, einem damaligen, guten Freund befrage, schaut sie mich verwirrt an und versichert mir, diesen Namen noch niemals gehört zu haben. Ich muss lachen. Klar, denn diesen Spitznamen hatte er von mir bekommen und er hatte es geduldet, dass ich ihn so nenne. Eine sehr lange Geschichte kommt mir zurück in mein Gedächtnis und ich erzähle Ne'wey von dieser heimtückischen Krankheit, die beinahe den Clan der Tipani ausgelöscht hätte. Ich berichte ihr, wie auch ich davon befallen wurde, dass ich mit diesem Freund zusammen unsere damalige Tsahìk (spirituelle Clanführerin) viele Nächte lang gepflegt habe und dass er oftmals nur bei uns beiden blieb, um uns Gesellschaft in dieser schweren Zeit zu leisten.

Ne'wey hört mir gespannt und sehr interessiert zu und ich muss kurz an Maytame denken, die mich mit beinahe dem selben faszinierten Blick ansieht, wenn ich ihr eine Geschichte erzähle. Mir kommt der Gedanke, dass genau dies Eywas Plan gewesen sein könnte und dass sie mich heute hierher geführt hat, um eben genau dieses Gespräch mit Ne'wey zu führen, zu dem es ansonsten wohl niemals gekommen wäre.

Langsam wird es Zeit, zurück zur Höhle zu gehen, denn sicherlich wird mein tanhìtsyìp (Sternchen) bald wieder hungrig aufwachen und nach ihrer sa'nu (Mama) suchen. So beschließen Ne'wey und ich, den Heimweg anzutreten. Keinen Augenblick zu früh sind wir dann auch wieder in unserer Höhle und ich höre schon vom Eingang her meine kleine quieken und mit ihrer Rassel spielen.

Ne'wey ist sehr schnell eingeschlafen, während  ich Maytame füttere und sie dann, in meine Arme schließend, auch in meinen Schweif einrolle. Hoffend, dass der morgige Tag besser verläuft, als der vergangene, bete ich mein tägliches Gebet zu unserer großen Mutter, ehe ich dann ebenfalls einschlafe...

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