Montag, 16. September 2013

Tsmukan Ne'weyyä / Ne'weys Bruder

Ne'wey sìlpey tsnì tsìyevun ultxa sivi tsmukanhu sneyä.
(Ne'wey hofft sehr, ihn einmal wiedersehen zu können.)

Schon als ich eben aufwache, kommt mir der Gedanke, einen neuen Kopfschmuck für Ne'wey zu machen. Meine kleine Jägerin hatte ihr den schönes Stirnring ja kaputt gemacht und so sehe ich es, wenn auch nicht als meine Pflicht, wohl aber als freundliche Geste Ne'wey gegenüber an, ihr ein neues Schmuckstück anzufertigen. Sie hatte es zwar zuerst mit den Worten: "Es ist nicht so schlimm, ma Kxìrya. Kinder machen auch mal etwas kaputt und die Kleine ist nun einmal neugierig und entdeckt jeden Tag neue Dinge." abgelehnt, hatte dann aber doch meinem Wunsch nachgegeben. So nehme ich  einige Dinge, die mir hierfür nützlich erscheinen, gehe nach draußen zu unserem Feuer und stelle meinen kleinen Stern in ihrem Korb neben mir ab.

Während der Arbeit erzähle ich ihr eine Geschichte, die ich vor langer Zeit einmal erlebt habe, als ich noch lange nicht an sie oder ihren sempul (Vater) dachte. Sie hört mir anscheinend sehr interessiert zu und beobachtet dabei die von dem Feuer aufsteigenden Funken. Nur leise brabbelt und quiekt sie vor sich hin. Ich versuche, den Stirnring mit einem kleinen Stein sehr glatt zu schleifen, um ihn danach mit Perlen und Federn zu verzieren. Allerdings habe ich keine Ahnung, ob die Größe für Ne'wey passend ist. Ich denke aber, dass es ungefähr stimmen sollte...

Meine Arbeit zieht sich über eine ganze Weile und ich unterbreche sie kurz, um Maytame zu füttern und sie für eine Weile auf die Arme zu nehmen. Als ich dann fertig bin, lege ich mein Kind in ihren Korb, zurück, hänge ihn mir um und gehe, um mir das Harz von den Fingern zu waschen, zum See hinunter, wo ich auf Nìm'wey treffe. Wie immer ist unsere Begrüßung sehr herzlich und respektvoll und ich finde es auch sehr schön von ihr, dass sie auch Maytame gegenüber mit unserer Begrüßungsgeste so etwas wie Respekt vermittelt. 

Wir unterhalten uns dann eine Weile und kommen auch noch einmal auf Ari'lana und das Ritual zu sprechen. Ich bedanke mich nochmals bei ihr, denn ohne ihre Unterstützung hätte ich das alleine wohl niemals geschafft. Sie dankt mir ebenfalls noch einmal und ich erfahre dann, weshalb sie bisher eigentlich gar nicht so häufig zu unserer großen Mutter gesprochen hat. Ihre Gründe erscheinen mir durchaus  plausibel und sehr gur nachvollziehbar.

Unser Gespräch vertieft sich für eine Zeit lang und als wir schließlich zu unserem Feuer zurück gehen, schläft Maytame unterwegs ein, sodass ich sie in der Höhe auf unseren Schlafplatz lege. Am Feuer bitte ich Nìm'wey dann, sie möge doch einmal den Kopfschmuck, den ich vorhin gemacht hatte, aufsetzen. Er müsste ihr eigentlich auch passen und ich möchte ganz sicher gehen, dass Ne'wey nachher nicht enttäuscht ist, sollte es ihr passen.

Als ich Nìm'wey jedoch den Ring aufsetze bemerke ich, dass er ihr wie angegossen passt. Aber nicht nur das, Sie sieht für meine Augen ein wenig aus, wie eine Tsahìk (spirituelle Clanführerin). Mich überkommt ein ganz merkwürdiges Gefühl, als ich sie so vor mir sehe. Ein Gefühl, das ich lange nicht mehr gespürt habe und so beschließe ich, Nìm'wey diesen Stirnring zu schenken und für Ne'wey einen neuen zu machen.

Nìm'wey bedankt sich sehr lieb bei mir und bietet sich an, mir bei der Arbeit zu helfen, was ich sehr dankend annehme. Da Ne'wey wohl bald bei uns erscheinen wird, müssen wir uns etwas beeilen, wollen wir noch rechtzeitig fertig werden. Keinen Wimpernschlag zu früh schaffen wir es denn auch gerade noch. Als Ne'wey zu uns ans Feuer kommt, muss Nìm'wey unsere Arbeit hastig verstecken, damit unsere Überraschung nicht dahin ist.

Ne'wey schaut uns beide zunächst etwas skeptisch an, begrüßt uns dann und ich bin etwas verunsichert, ob sie nicht vielleicht doch etwas bemerkt haben könnte. Doch als Nìm'wey mich bittet, ihr unser Geschenk zu überreichen und ich ihr dann den neuen Kopfschmuck vorsichtig aufsetze, ist sie sehr verblüfft. Sie freut ich sichtlich darüber, zumal es sie wirklich sehr hübsch macht. Mir fällt innerlich ein kleiner Stein vom Herzen, denn ich glaube, dass dieser Stirnring noch besser zu Ne'wey passt, als der, den ich Nìm'wey gegeben hatte. Ne'wey läuft eilig zum See hinunter, um sich ihr Spiegelbild im Wasser anzuschauen und ich gehe ihr nach. Nìm'wey beschließt, sich etwas auszuruhen. Sie geht dann in unsere Höhle. 

Am See ist Ne'wey dann tief in den Anblick ihres Spiegelbildes versunken. Ich glaube, sie bemerkt mich im ersten Moment gar nicht. Gemeinsam betrachten wir dann ihr hübsches Gesicht und wie es sich in den leichten Wellen wiederspiegelt. Die sich in den Wellen brechenden Sonnenstrahlen lassen sie noch viel hübscher erscheinen. In unserem Gespräch geht es dann merkwürdigerweise ebenfalls um unsere große Mutter und sie erzählt mir von ihrem Bruder, den sie bereits seit langer Zeit sehr vermisst.

Mir kommt eine Idee und ich bitte sie, mir zu folgen. Am Waldrand entlang bringe ich sie zu einer Stelle, von der aus man den großen Ozean überblicken kann. Ich möchte ihr etwas zeigen. Sie folgt mir und scheint sehr gespannt darauf zu sein. Als wir uns dann inmitten einiger hoher Pflanzen, gut gegen Blicke etwaiger Feinde geschützt, hinsetzen, zeige ich auf das Meer hinaus und frage sie, indem ich ihr einen Arm um ihre Schulter lege: "Siehst Du dort hinten die Berge?"  Sie nickt und so erläutere ich: "Das, ma tsmuke (Schwester), sind die Feuerberge. Dort hinter diesen Bergen lebt die sa'nok (Mutter) unseres Olo'eyktans (Clanführers)." Ich bemerke, dass Ne'wey mir überaus interessiert zuhört, daher erzähle ich ihr, dass ich weit über diese Berge hinaus flog, wobei mir selber Erinnerungen und Bilder in den Kopf schießen. Ich beschließe meine Erzählungen mit: "... Wenn Dein Bruder noch lebt, wovon ich beinahe überzeugt bin, dann wird er irgendwann die Tipani finden, die sehr verstreut überall auf Eywa'eveng (Pandora) leben, den Clan bei den Feuerbergen und schließlich muss er irgendwann auch zu uns kommen, weil man ihm oder er den aderen vielleicht von Dir, von mir oder von irgendjemandem unseres Clans berichtet. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Ein wenig glaube ich in Ne'weys Augen einen besonderen Glanz sehen zu können und sie nickt mir zu, wobei ich aber vermute, dass sie innerlich etwas mit sich kämpft. Einerseits möchte sie um alles in der Welt, dass genau dies alles geschieht, andererseits hat sie jedoch immer noch nicht vollständig ihr Vertrauen zu unserer großen Mutter wiedererlangt. Ich aber bin zuversichtlich und genau dies sage ich ihr auch:  "Ma tsmuke (Schwester), die große Mutter zieht niemanden vor, daher wird sie auch Dich nicht vernachlässigen, weil Du schwere Zeiten durchlebt hast und ein wenig an ihr zweifelst. Frakrr po ngahu livu." ("Sie wird immer mit Dir sein.")

Nach einem letzten Blick auf die mittlerweile untergehende Sonne, die wie eine große Kugel ins Meer zu stürzen und alles um sich herum in glutrotes Licht zu tauchen scheint, gehen wir dann am Waldrand entlang wieder bis zu unserer Höhle zurück. Ein wenig müde legen wir uns nun ebenfalls hin, um uns auszuruhen. Mein kleines Sternchen schläft zu meiner großen Verwunderung immer noch. Nìm'wey hat sie inzwischen zu sich geholt und so lasse ich sie bei ihr liegen.

Doch vor dem Einschlafen spreche ich, wie beinahe jede Nacht ein Gebet an die große Eywa in mich hinein, in dem ich diesmal auch eionzelne Personen aufzähle. Leute, die mir wichtig waren und immer noch sind. Ich bekomme noch mit, dass Nìm'wey etwas zuckt, als Maytame sie mit ihrem kleinen Schweif im Gesicht kitzelt. Ich liebe die Kleine über alles und danke Eywa, dass sie sie mir geschenkt hat.
 

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