Freitag, 13. September 2013

Set Ari'lana Eywaro / Jetzt ist Ari'lana bei Eywa

Zamunge txokxit Ari'lanayä oel nehelku. 'efu keftxo nìtxan.
(.Ich bringe Ari'lanas Körper nach Hause. Ich bin sehr traurig.)

Alle schlafen noch, als ich aufwache. Der neue Tag ist noch nicht ganz angebrochen. Maytame liegt, ebenfalls noch in tiefem Schlaf, eng an mich gekuschelt. Ich trage sie zu Ne'weys Lager, lege sie sehr vorsichtig in ihre Arme und küsse sie zum Abschied sanft auf die Stirn. Ne'wey lächelt mir nur kurz zu. Sie weiß, welch schweren und möglicherweise auch langen Weg ich vor mir haben werde. Ich lege ihr schnell noch einige Sachen für die Kleine neben ihren Schlafplatz, die sie vielleicht brauchen wird, darunter natürlich auch Maytames Rassel, mit der sie so gerne spielt. Ich werde sie sehr vermissen, doch diese Reise... Es muss seinfach sein...


Erst weit draußen, kurz vor dem See, rufe ich nach Ya'rrì, meinem Ikran (Banshee) um niemanden von den anderen aufzuwecken. Nur zu gut weiß ich, mit welch lautem Gekrächze er gerne angebraust kommt. Zur Begrüßung streichle ich ihm über seinen Kopf: "Kaltxì, ma oeyä 'eylan a tsun tswivayon." ("Hallo, mein fliegender Freund."), sage ich: "Wir werden heute etwas tun müssen, das vielleicht sehr anstrengend ist und das uns beide viel Kraft kosten wird."  Seine Augen funkeln mich beinahe tatendurstig an und ich reiche ihm ein Stück Trockenfleisch, das er nur zu gerne gierig mit einem Happen verschlingt. Noch einmal blicke ich dann für einen Wimpernschlag zurück, dann verbinde ich mich mit ihm und wir fliegen in einen Tag hinein, dessen Ausgang für uns beide jetzt noch vollkommen unbestimmt ist. Doch ich bin zuversichtlich, dass mich die große Mutter führen und mir den richtigen Weg zeigen wird.


Unser Flug führt uns, weit hinter unserem Tal, über eine weite, sehr übersichtliche  Ebene, die nur sehr spärlich von Pflanzen bewachsen ist. Nur ein Fluss, eigentlich ist es eher ein schmales Rinnsal, durchzieht das Land an dieser Stelle wie eine feine, tiefgrüne Ader. Wir landen, um eine Rast einzulegen und unseren Durst an dem Flüsschen zu stillen. Doch ich bin viel zu ruhelos, um länger hier an diesem Ort verweilen zu können, daher steigen wir bereits nach kurzer Zeit wieder in den nahezu wolkenlosen Himmel hinauf, um unsere Suche fortzusetzen. Ich sehe die aufsteigende Sonne, die langsam hinter dem Horizont als gelbroter Glutball den neuen Tag anbrechen lässt. In unserem Lager werden bald alle nacheinander aufwachen, kommt es mir in den Sinn. Obwohl ich weiß, dass Ne'wey sich um Maytame kümmern und sie beschützen wird, denke ich dennoch an mein Kind. Doch ich muss weiter ziehen...

Am Fuß eines recht langen und hohen Gebirges beginne ich dann meine eigentliche Suche. Doch ich komme sehr schnell zu dem Schluss, dass Ari'lana dieses Gebirge niemals alleine erklommen haben wird. Daher folge ich einer Schlucht, die sich wie ein verwundener Weg durch die Berge hindurch zieht. Rechts und links erheben sich die mächtigen Felsen neben mir und ich entlasse meinen Ikran (Banshee) daher zunächst, da er es über das Gebirge hinweg leichter hat als ich. Ich weiß, dass er jederzeit kommt, wenn ich nach ihm rufen werde.

Der Tag ist nun erwacht und ich beobachte einen Schwarm Ikrane, wie sie über mich hinweg ziehen. Es sind noch recht junge Tiere, denen ich einige kurze Momente nachschaue. Der Weg zieht sich etwas, doch ich folge ihm unermüdlich. Ari'lana ist mein einziger Gedanke, der mich jeden Schritt vorwärts gehen lässt.


Am Ende der Schlucht wird der Weg etwas breiter und ich erblicke in einiger Entfernung einen sehr dicht aussehenden Wald. Ich weiß, es ist nur ein Versuch, ein Wunsch, daher beschließe ich, mir diesen Wald näher anzusehen. Doch ich weiß auch, dass ich sehr vorsichtig sein muss. Mir kommen Erinnerungen an das Zusammentreffen mit einem Palulukan (Thanator) ins Gedächtnis...
Schritt für Schritt gehe ich in den unbekannten und sehr dichten Wald hinein. Die Strahlen der inzwischen aufgegangenen Sonne können den Boden stellenweise nur mäßig erhellen, doch es reicht gerade noch aus, um die Umgebung beobachten zu können. Auf einer Anhöhe mache ich erneut eine kleine Rast und als ich mich gerade wieder auf den Weg machen will, fallen mir Spuren im Boden auf. Ich muss nicht lange raten, um zu erkennen, dass es sich um die Fährten einiger Nantangs (Natterwölfe) handelt, die aber allesamt schon recht alt sind.


Ich folge den Spuren,  wissend, dass sie mir jederzeit auflauern können. Daher werde ich noch vorsichtiger, aber auch langsamer. Ich bewege mich lautlos und etwas gehockt Stück für Stück vorwärts und halte inne, als mein Blick dann auf einige größere Felsbrocken trifft, zwischen denen ich etwas zu erkennen glaube. Mit allem rechnend schleiche ich auf diese Stelle zu. Mein Herz beginnt zu pochen, sodass ich jeden einzelnen Schlag bis hinauf in den Kopf spüre.
Meine Schritte werden kürzer und langsamer, als ich dann sehe, dass es kein Tier ist, das dort zwischen den Steinen liegt. Ich erblicke etwas blaues und mein Atem beginnt zu stocken. Noch näher heran gehend wird meine Vermutung dann zur Gewissheit. Ich habe sie wirklich gefunden. Inmitten der Felsen liegt, ich mag zuerst nicht hinsehen und würde sogar am liebsten gleich wieder davon laufen, Ari'lanas lebloser Körper.

Einerseits froh, den Wunsch verwirklicht zu haben und sie endlich zu uns nach Hause holen zu können, andererseits aber auch das Verlangen, diese Reise wohl besser niemals angetreten zu haben, sitze ich dann neben ihr. Sie muss schon ein wenig länger hier liegen. Die blutigen  Spuren der Nantangs (Natterwölfe) sind bereits vertrocknet und ihr Körper ist stellenweise von der Erde fleckig braun geworden. Diesen Anblick möchte ich Nìm'wey und den anderen ersparen. Aber ich wage es zunächst nicht, sie zu berühren, daher nehme ich zunächst nur ihren Bogen an mich und betrachte ihn eine Weile lang. Sie hatte sich so gefreut, als wir ihn gemeinsam bauten. Mir ist, als könnte ich das Surren ihrer Übungspfeile deutlich hören und sehen, wie sie dicht neben mir im Gras stecken bleiben. Die scharfen Pfeile, die ich ihr einst gab, finde ich jedoch nicht. Sie wird sie bei ihrem Kampf allesamt verschossen haben. Ich hoffe, für sie, dass es ein kurzer Kampf war, denn ich weiß, gegen mehrere Nantangs (Natterwölfe) war sie chancenlos.


Doch ich habe etwas begonnen und ich werde es auch zu ende bringen. So nehme ich sie sachte auf meine Arme, nachdem ich mir ihren Bogen über die Schulter gehängt habe. Einen Ort suchend, an dem Ya'rrì genug Platz zum Landen hat, erreiche ich irgendwann eine Lichtung. Die Sonne steht schon sehr hoch und ich weiß, ich muss mich ein wenig beeilen, will ich vor Einbruch der Nacht zu Hause sein bei den anderen und bei meiner Tochter.
Es ist kein Wasser in der Nähe zu finden, mit dem ich Ari'lanas sterbliche Hülle reinigen könnte, daher nehme ich ein Büschel schilfartigen Grases und beginne ihre vertrockneten Wunden mit dem Wasser meines Wasserbeutels zu reinigen. Mir ist, als würde sie jeden Moment ihre Augen öffnen, mich laut anlachen und mir sagen, das dies alles nur wieder einer ihrer Späße war, die sie immer mit mir getrieben hat. Doch ich weiß, seit Eywa sie uns zeigte, dass dies wieder geschehen wird.

"Ma Ari'lana..." spreche ich beinahe unhörbar leise: "Oel ngat zìyamunge nehelku." ("Ari'lana, ich werde Dich nach Hause bringen.") und ich spüre, wie meine Knie unter mir einknicken wollen. Doch ich zwinge mich, zu ende zu bringen, was ich begonnen habe. Ich danke Eywa, der großen Mutter innerlich sehr dafür, dass sie mich zu diesem Ort geführt hat. So rufe ich nach meinem Ikran (Banshee) und schnalle Ari'lanas Körper auf ihm fest. Um ihre Verletzungen nicht noch schlimmer zu machen, als sie es ohnehin schon sind, lege ich einige Stoffstücke unter die Riemen, um ein Scheuern auf ihrer Haut zu verhindern.


Wieder verbinde ich mich mit Ya'rrì und wir treten die Heimreise an. zuvor kontrolliere ich jedoch noch einmal, ob ich Ari'lanas Körper auch gut genug befestigt habe. Ich beschließe, nun keine Rast mehr einzulegen, denn Ya'rrì kennt den Weg und ich sage ihm über unsere Verbindung, dass er so schnell fliegen soll, wie er nur kann. Unter uns ziehen zunächst der dichte Wald und dann einige Zeit später auch die Schlucht vorüber, durch die ich gegangen bin. Das Gebirge hinter uns lassend, jagen wir in Richtung Heimat. Wir überfliegen nochmals die kahle Ebene mit dem grünlich schimmernden Fluss und als ich dann am Horizont endlich die Kronen mir wohl bekannter Bäume erblicke bin ich sehr erleichtert. Ari'lanas letzte Reise ist bald zu ende.


Unweit unseres Sees lande ich, bedanke ich mich ein letztes mal für heute bei Ya`rrì, ohne den all dies niemals möglich gewesen wäre. Doch ich gehe zunächst alleine in Richtung unserer Höhle, um Nìm'wey schonend auf das nun Folgende vorzubereiten. Zu meiner Überraschung erblicke ich neben Seysyu, Ne'wey und Nìm'wey auch noch zwei andere Gesichter, die ich sehr lange nicht gesehen habe. Ich gehe auf die beiden zu, um sie zu begrüßen. Es sind Tac'ìri und Korlan, die Clanführer der Maguyuk (befreundeter Clan).
Die Wiedersehensfreude währt jedoch nicht sehr lange, als die beiden dann erfahren, was ich auf meinem Ikran (Banshee) mitgebracht habe. Allen voran geht Nìm'wey dann zu Ari'lana. Sie erscheint mir aufgewühlt aber trotzdem auch ruhig und gefasst zu sein. Eine ganze Zeit lang steht sie bei dem toten Mädchen und ich gönne ihr jeden Augenblick. Doch irgendwann beschließen wir, uns auf den Weg zum vitrautral (Baum der Seelen) zu machen, um Ari'lana ehrenvoll an Eywa'eveng (Pandora) zurückzugeben.

Nìm'wey ist es dann auch, die die Kleine den ganzen Weg bis hin zur großen Mutter trägt. Sie wählte es, obwohl ich ihr anbot, Ari'lana mit dem Ikran dort hin bringen zu können. Aber ich verstehe sie sehr gut. Ich selber würde wohl auch nicht anders handeln. Als wir dann den heiligen Ort betreten, spüre ich, dass ich unsicher werde. Noch niemals habe ich so etwas gemacht, ebensowenig wie Nìm'wey auch. Daher bin ich froh, dass sie, nachdem sich alle anderen auf den Boden gesetzt und sich mit dem Baum verbunden haben, bei mir und Ari'lana stehen bleibt.


Sie bittet mich, sie bei der nun folgenden Zeremonie zu unterstützen, was ich selbstverständlich nach allen Kräften versuchen werde. So beginne ich ein Lied anzustimmen, nachdem auch ich mich mit dem Baum verbunden habe, wobei ich aber versuche, eine Art freundliche Melodie zu summen. Nach einiger Zeit spüren wir dann, dass Eywa uns sehr glückliche und innerlich wärmende Gefühle sendet. Geborgenheit und Zuversicht strahlt sie aus und nach und nach hören wir Stimmen und Geräusche. Schon bald schenkt die große Mutter uns etwas, für das ich und ich glaube auch Nìm'wey ihr gleichermaßen dankbar sind. Wir sehen Bilder von Ari'lana, wie sie uns, begleitet von ihrem unbeschwerten Lachen mit ihrem Bogen zuwinkt.


Als nach langer Zeit die Geräusche und Bilder nach und nach verblassen, bleiben wir noch eine Weile an diesem Ort. Man kann die Stimmung, die uns alle beherrscht, förmlich greifen. Nìm'wey nimmt das Mädchen dann sehr vorsichtig wieder auf ihre Arme und trägt sie zu einem uns bis dahin noch unbekannten Ort, den sie alleine für die Kleine auserwählt hat. Dallan, der ebenfalls die ganze Zeit über in respektvollem Abstand unserer Zeremonie beigewohnt hat, kommt ebenfalls mit uns und ich bin froh, dass Tac'ìri und Korlan, die ihn ja bis jetzt noch nicht kennen, ihn nicht gleich fort jagen. So bleibt es zunächst nur bei einigen missbilligenden Blicken zwischen ihnen, die ich aber sehr gut nachvollziehen kann. Ich werde ihnen Dallans Geschichte erzählen, wenn die Gelegenheit dazu gekommen ist. 


Inmitten eines Feldes aus bunt leuchtenden und duftenden Blumen und im Kreise einiger wunderschöner Bäume legt sie das Mädchen dann in einer Vertiefung im Boden ab. Irgendwie geschieht dies alles mehr instinktiv, als gewollt oder abgesprochen. Beinahe der ganze Clan steht in einem Kreis um Ari'lana herum und wir heben abermals die Hände, um zu Eywa zu sprechen. Nur Nìm'wey kniet neben Ari'lana nieder.
Wie schon vorhin am vitrautral (Baum der Seelen) , trägt jeder seine ganz persönlichen Worte vor. Die Stimmung ist, obwohl sehr ergreifend, auch befreiend. Wir alle wissen, dass nur Ari'lanas sterbliche Hülle von uns gehen wird, während ihr Geist in Eywa und auch in uns weiter leben wird. Ich bin überzeugt, wir werden sie niemals vergessen und auch in unseren Liedern und Geschichten wird sie immer ihren festen Platz haben. Den Platz einer großen Jägerin, die sie bestimmt einmal geworden wäre.


Es wird Zeit, es zu ende zu bringen. So legt jeder von uns noch etwas persönliches zu Ari'lanas Körper, bevor wir dann sehr behutsam mit unseren Händen Erde über ihren Körper schieben. Als nur noch Ai'lanas Gesicht zu sehen ist, tut Korlan etwas, für das wir ihm wohl alle mehr als dankbar sind. Nìm'wey und auch ich bringen es einfach nicht übers Herz, ihren Kopf mit Erde zu bedecken, daher legt er ein kleines Yerikfell über ihr hübsches Gesicht, was es uns sehr erleichtert.
Nach einem kurzen Blick zu dem kleinen Erdhügel gehen wir gemeinsam und still zurück zu unserer Höhle. Nun wird mir bewusst, dass ich so etwas nicht so bald wieder erleben möchte, wobei ich natürlich weiß, dass niemand außer der großen Mutter dies zu steuern vermag. Doch ich weiß auch, dass wir alle auch wieder um eine Erfahrung reicher geworden sind. Niemals war Eywa uns allen so spürbar und beinahe auch greifbar nahe, wie heute.

An unserer Höhle angekommen, verabschieden sich Tac'ìri, Korlan, Seysyu und auch Ne'wey von uns. Ma'wey, die auf sie aufgepasst hatte, bringt mir Maytame, die schon seit einiger Zeit wach und hungrig ist und legt sie mir liebevoll in die Arme. Ich muss daran denken, wie Ari'lana sich einmal wünschte, eines Tages mit ihr spielen zu können, wenn sie einmal etwas älter wäre. Nun, sie werden sich sehen und hören, weiß ich, aber auf einem ganz anderen Weg, wenn Maytame einmal alt genug und auch bereit dafür ist. Ich werde ihr jedoch ganz sicher alle Geschichten von Ari'lana berichten, die wir gemeinsam erlebt haben...


Als sich Nìm'wey schließlich ebenfalls in die Höhle zurückzieht, bleiben Dallan und ich noch eine Weile alleine am Feuer zurück. Ich spreche auch ihm meinen Respekt und Dank aus, weil er den Mut gefasst hat, dieser Zeremonie beizuwohnen, obwohl er als tawtute (Himmelsmensch) viele Dinge nicht tun und erst recht nicht verstehen kann. Wie sollte er sich denn auch mit Eywa verbinden oder all die Dinge tun, die uns von der großen Mutter gegeben sind?  Er wird niemals Bilder von unseren Ahnen sehen oder ihre Stimmen und Gesänge hören können. Dennoch muss ich zugeben, dass ich ihn dafür ein wenig bewundere, wie viel Mühe er sich immer wieder gibt, einer von uns zu sein.

Meine kleine Jägerin ist dann wieder einmal satt. Sie lässt müde ihren Kopf nach hinten sinken und ich spüre, dass es auch für mich nun Zeit wird, mich schlafen zu legen. Es war ein sehr langer Tag, eine lange und kräftezehrende, aber auch erfolgreiche Reise. Aber ich habe es gern getan. Und Nìm'wey?  Sie ist mir, glaube ich, sehr dankbar dafür. Ich danke ihr jedoch ebenso, weil auch sie mich mehr als nur unterstützt hat. Ob sie dies jedoch ahnt, kann ich nicht sagen.
Mit einem sanften Kuss auf ihre Stirn schließe ich mein Kind in die Arme und rolle mich und sie in meinen Schweif ein. Eywa wird uns immer beschützen. Dessen bin ich mir jetzt noch sicherer, als jemals zuvor. Möge sie allen, wo auch imer sie sein mögen, den richtigen Weg zeigen und möge sie zerrissene Familien und Clans eines Tages wieder zusammen führen... Ma Eywa ngengati oel kame!. (Eywa, ich sehe Dich!)



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