Donnerstag, 10. Oktober 2013

Pxaya ayu lamen / Viele Dinge sind geschehen

Sey tolätxaw slä pxesute alahe holum kifkeyftu ayoeyä.
(Sey kehrt zurück, aber drei andere verlassen unsere Welt.)

Viele Tage sind nun vergangen und es ist viel passiert. Sehr viel sogar...
Ich weiß gar nicht so recht, wo ich anfangen soll.  Jetzt, da Maytame (Kxìryas Tochter) etwas größer [*1] ist und sie beinahe jeden Tag eine neue Dummheit anstellt, muss ich sehr auf sie aufpassen. Aber ich lerne auch von ihr und werde von allen nach Kräften unterstützt. Es mag ein wenig übertrieben klingen, aber vor allem Ne'wey unterstützt mich sehr. Ja vielleicht hat sie ein klein wenig die Rolle des fehlenden sempul (Vaters) übernommen. Winataron... Ich denke sehr oft an ihn und liebe ihn noch immer sehr. Oft ist mir so, als wäre er noch da und ich sehne mich nach dem Moment, da er mit seiner tiefen Stimme laut lachend ins Lager zurück kommt, um mit seiner Tochter herum zu albern und mich liebevoll in den Arm zu nehmen. Inzwischen weiß ich aber, dass all dies in diesem Leben nie mehr  geschehen kann und wird...  "Nawma sa'nok lrrtok siyevi, ma muntxatan ayawne oeyä. Nga yawne lu oer nìtxan." ("Möge Dir die große Mutter immer zulächlen, mein gliebter  Mann. Ich liebe Dich so sehr.")


Doch nun sitze ich hier, pflege Ne'wey, die von einem sawtute (Himmelsmenschen) angegriffen und am Arm verletzt wurde und mir fällt gar nicht auf, wie schnell die Zeit vergeht. Obwohl nicht sehr schwer verletzt, ging es ihr in den letzten Tagen sehr schlecht. Um mein Leben und das meines Kindes zu schützen, hatte sie eingegriffen und nun ist es an mir, ihr Leben zu bewahren. Der Streifschuss hatte sich noch am selben Abend stark entzündet und Ne'wey bekam nur wenig später hohes Fieber. Bis zu unserem Lager hielt sie sich noch tapfer auf den Beinen, dann sackte sie jedoch kraftlos in sich zusammen.

Sie war so glücklich, als ich sie nur einen Tag zuvor in den Clan der Rey'engya aufnahm. Einen Tag bevor auch Sey, unser Olo'eyktan (Clanführer), nach so langer Zeit wieder zu uns zurück kehrte - allerdings alleine. Einige seiner Aufgaben hatte ich ja während seiner Abwesenheit übernommen, habe Entscheidungen getroffen, Gespräche geführt, mich um unsere neuen Clanmitglieder gekümmert und ähnliche Dinge. Manches davon fällt mir oft schwer, weil ich immer glaube Sey und seine Frau damit irgendwie zu übergehen. Wer aber sonst soll Entscheidungen treffen, die nicht aufgeschoben werden können?

Auch wenn nicht ganz so feierlich wie an sich bei uns üblich, bereite ich an jenem Tag dennoch etwas zum Essen vor und einen besonders aromatichen Tee. Ich mag Ne'wey nicht einfach am Feuer hockend sagen: "Zola'u nìprrte' Olo'mì Rey'engyayä, ma tsmuke." ("Herzlich Willkommen im Clan der Rey'engya, Schwester.")  So lege ich mein weißes, feierliches Gewand an und bereite alles vor. Als Ne'wey dann ins Lager kommt,  bestaunt mein Gewand und vielleicht wundert sie sich darüber auch etwas. Seit meiner Verbindungszeremonie mit Winataron hatte ich es bisher nur noch ein einziges mal angelegt.

Umso erfreuter ist sie daher, als ich ihr dann sage, dass es uns, den Rey'engya, eine große Ehre wäre, wenn sie ab sofort unseren Namen tragen würde. Da ich es nicht anders erwartet hatte, überrascht es mich nicht, dass sie einwilligt. "Sey wird...", so erkläre ich ihr: "sobald er wieder zurück ist, sicherlich zu einem großen Fest aufrufen, ma tsmuke (Schwester)". Dass Sey schon am darauf folgenden Tag plötzlich mitten im Wald dann vor uns stehen wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt natürlich noch niemand. Ebensowenig können wir voraussehen, dass sich schon bald die Ereignisse überschlagen werden...

Der nächste Tag bringt uns zunächst einmal eine schlechte Nachricht von Dallan. Er berichtet von einem Traum, den er in der Nacht hatte, in dem er dunkle Wolken sah und so etwas wie einen niemals enden wollenden Regen. Als er so davon erzählt bemerke ich, dass Nìm'wey etwas heller im Gesicht und sehr still wird. Meine darauf deutende  Frage beantwortet sie dann sehr zögernd und nachdenklich, indem sie beinahe Wort für Wort Dallans Traumgeschichte wiederholt und eigentlich nur hinzufügt. "Das, ma smuktu (Geschwister) , war mein Traum der letzten Nacht."  Ratlos, wie auch überrascht und auch mit leichtem Schrecken im Ausdruck schauen wir uns gegenseitig an. Selbst für Dallan scheint es beinahe unmöglich zu sein, dass zwei an sich so verschiedene Lebewesen wie er und Nìm'wey exakt das gleiche träumen. Auch ich finde das sehr merkwürdig, weshalb ich beschließe, mit den beiden zum Baum der Seelen zu gehen, um unsere große Mutter zu befragen.

Ich bitte Nìm'wey allerdings, mich dabei zu unterstützen, so gut sie es kann, da ich es mir nicht alleine zutraue, Eywas mögliche Antworten alleine richtig zu deuten. Es erleichtert mich ein wenig, als sie mir zusagt. Ist schon der Gang zum vitrautral (Baum der Seelen) alles andere als leicht für mich, ist die, ja ich nenne es so, da es beinahe etwas ähnliches ist, Zeremonie dies noch viel mehr. Die große Mutter zeigt uns grauenhafte Bilder, deren Sinn  und Ausmaß wir jedoch erst am nächsten Tag erahnen können. Wir sehen das, was Dallan und Nìm'wey von ihren Träumen berichteten. Starker Regen, der niemals aufzuhören scheint und einen Fluss, dessen normalerweise nur leichte Wellen wie eine große Herde aufgebrachter salioang (Sturmbestien) auf unser Land zugeeilt kommen, um es unter sich zu begraben.

Als wir, noch ganz in Gedanken und mit diesen Bildern im Kopf, den Baum der Seelen verlassen, um zu unserem Lager zurück zu gehen, passiert es dann. Eine Witterung steigt mir in die Nase, die ich zunächst nicht genau deuten kann, die mir jedoch irgendwie sehr bekannt vorkommt. Es dauert einige lange Momente, bis ich sie dann erkenne und mich daran erinnere. Es ist ein einziges Wort, dass meinen Kopf für einen Augenschlag lang durchzuckt: "Sey!"

Unweit von uns hockt er auf dem Boden. Obwohl ich ihn äußerlich gleich erkenne, überkommt mich ein beklemmendes Gefühl. Wir sehen Sey, aber er wirkt so verändert auf uns. Seine ansonsten so kräftigen Beine zittern, er schaut uns an, aber seine Blicke scheinen uns zu durchdringen, als wären wir gar nicht da. Der Pfeil, mit dem er kurz zuvor wohl noch auf mich zielte, liegt ein Stück neben ihn am Boden, da ihm offenbar die Kraft fehlte, die Sehne länger gespannt halten zu können. Unverständlich leise murmelt er irgendetwas und ich stelle mir unweigerlich die Frage, ob dieser Sey noch der ist, den ich meinmal kannte?  Ist dies unser Olo'eykten (Clanführer), unser 'eylan (Freund), unser tsmukan (Bruder) und unser sempu (Vati)?

Lange dauert es, bis ich es dann wage, ihn anzusprechen. Begleitet von einer Verbeugung und der respektvollen Begrüßungsgeste sage ich etwas zurückhaltend: "Ngati kameie oel, ma Olo'eyktan anawm." ("Großer Clanführer, Ich sehe Dich.". Eine Antwort bekomme ich zunächst nicht. Es ist fast, als bemerke er uns gar nicht. Wieder dauert es viele Momente, ehe den Gruß dann erwidert und zum ersten mal spricht er etwas lauter, doch seine Worte ergeben zunächst keinen Sinn für uns. Mit zittriger Stimme sagt er immer wieder: "Ich war einfach zu langsam." und dann: "Er war einfach zu schnell." und "Ich war einfach zu weit entfernt. Bitte vergebt mir."  Wir entschließen uns, ihn erst einmal in unser Lager zu bringen: "Ma Sey, komm mit uns...", schlage ich ihm vor: "Komm mit nach Hause."

Nach Hause...  Als ich diese Worte so ausspreche, berühren sie mich sehr, denn ich frage mich, ohne dies jedoch offen auszusprechen, wo sind Kee'lanee, ihre Tochter Tsìlpey und wo ist Winataron, mein muntxatan (Ehemann)?  Im Lager ist Sey verständlicherweise zunächst sichtlich etwas durcheinander. Er ist in einem neuen Land, hat seinen Clan wieder gefunden, aber es hat sich einiges verändert. All diese Eindrücke müssen ihn in diesem Augenblick ganz einfach überfordern, glaube ich. Wieder vergehen viele Momente des Schweigens, ehe er dann, immer noch mit zittriger Stimme und starr ins Feuer blickend, beginnt zu berichten. War es bis zu dioesem Moment noch leise in unserer Runde, wird es jetzt still. Niemand spricht und man könnte sogar meinen, der eine oder andere hält den Atem an.

"Ma smuktu..." ("Geschwister..."), beginnt er: "Es war eine sehr lange und gefährliche Reise."  Alle schauen Sey gespannt an und warten auf seine Geschichte. Doch zunächst wiederholt er sehr leise einige Male, was er zuvor schon etliche Male sagte: "Es tut mir so Leid... Ich war einfach zu lagsam... Er war einfach zu schnell. Ich konnte ihnen einfach nicht helfen.... Es tut mir so schrecklich Leid, ma smuktu (Geschwister)."  Als er dabei insbesondere mich dann anschaut, schließe ich unwillkürlich kurz meine Augen. Ich weiß in diesem Moment, was er mir zu sagen hat, aber ich wünsche mir, dass er nicht jetzt aussprechen möge und hoffe auf einen Irrtum.

Doch er tut es und es wird noch stiller am Feuer, als es ohnehin schon war. Man könnte fast meinen, dass selbst die aufteigenden Funken aufhören zu knistern, als er dann berichtet: "Sie sind alle tot, ich konnte es einfach nicht verhindern. Er war einfach viel zu schnell. Kee, meine Frau und unsere Tsahìk (spirituelle Clanführerin), Tsìlpey, mein kleiner Liebling und...", er schaut mich an und mir pocht das Herz bis in den Hals hinauf, als er fortfährt: "Dein muntxatan (Ehemann). Er war so schnell, so tapfer, doch auch er konnte ihnen nicht helfen. Du kannst sehr stolz auf ihn sein, ma Kxìrya."  Hatte ich bisher diesen Gedanken verdrängt, durchbohrt er mein Herz nun wie der Speer eines tsamsiyu (Kriegers). Ich bin Eywa sehr dankbar, dass Maytame gerade nicht bei uns ist und somit nicht mit anhören muss, was uns alle schockiert. Als Sey dann beginnt Einzelheiten zu schildern, will ich es eigentlich gar nicht hören. Zugleich bin ich aber auch froh, dass er es erzählt. So hören wir seinen Ausführungen ergriffen zu. 

Ein Palulukan (Thanator), so berichtet Sey,  hatte seine Frau und deren Tochter mehr als überraschend angegriffen. Die Einzelheiten sind mehr als erschütternd und ich sehe Bilder vor meinem geistigen Auge, wie Kee sich verzweifelt versucht, gegen diese Bestie zu wehren, um das Leben ihrer Tochter zu beschützen. Ich kenne sie genau, kenne ihre Entschlossenheit, ihren Mut und weiß, dass sie jede sich ihr bietende Gelegenheit nutzen würde, um wenigstens den Hauch einer Chance zu bekommen, einen solchen Angriff zu überleben. Doch Sey erklärt mit schwacher Stimme weiter, dass selbst Winataron, mein muntxatan (Ehemann), der tapfer und ebenso entschlossen in den Kampf eingriff, ebenso chancenlos war, wie sie. Er schließt dann mit den Worten, und dabei klingen seine Worte aufrichtig und verbittert zugleich: "Ma smuktu (Geschwister), vergebt mir. Er war einfach zu schnell... Ich war einfach langsam und zu weit weg von ihnen. Ich hatte keine Möglichkeit, sie schnell genug zu erreichen. Es ging einfach alles viel zu schnell."

Langes Schweigen. Man hört nur die knisternden, in den Himmel aufsteigenden Funken des Feuers. Sey, Ne'wey, Nìm'wey, Dallan und auch ich, wir alle denken glaube ich im Moment das Selbe. Sey scheint sich innerlich Vorwürfe zu machen, dabei trifft ihn keinerlei Schuld. Aber selbst wenn, was würde es ändern?  Ich bin innerlich froh, dass Eywa ihn nicht auch noch in diesen Kampf geschickt und ihn stattdessen nach einem langen und gefährlichen Weg wieder zu uns zurück geführt hat. 

Dass Ari'lana inzwischen ebenfalls verstorben ist, erkläre ich Sey erst, als er mich einige Tage später fragt, was sich während seiner langen Abwesenheit im Clan so alles ereignet hat. Er wirkt etwas gefestigter, obwohl ihm, wie auch mir, noch immer das Geschehene zu schaffen macht. Ich weiß, wie sehr er seine muntxate (Ehefrau) und seine 'ite ahì'i (kleine Tochter) gliebt hat. Mir geht es ja nicht anders. Auch in meinem Herzen werden Wina, Kee und meine kleine Tsìlpey immer ihren Platz haben und weiter leben. Es berührt mich immer, wenn ich seine Blicke sehe, die er meinem kleinen Mädchen zuwirft. Ein wenig sieht er in ihr, könnte ich mir vorstellen, sein eigenes Kind und vielleicht ist es ihre Unbeschwertheit, die ihn seinen großen Verlust wenigstens ein wenig besser ertragen lässt?

Geduldig lässt er sich von Dallan, Nìm'wey, Ne'wey und mir alles erzählen, um sich ein Bild zu verschaffen. Dass es aber schon in wenigen Tagen einen erneuten Schicksalsschlag geben soll, ahnt jetzt noch niemand von uns. Eywa meint es im Augenblick eher weniger gut mit uns und wird uns schon bald erneut vor eine sehr große Aufgabe stellen...

Die Nächte werden für mich wieder einmal sehr oft einsam und sie werden es in Zukunft auch weiterhin bleiben. Manchmal bin ich froh, dass Maytame da ist, damit ich mich ein wenig an ihr festhalten kann. Sie fragte mich neulich erst, als wir miteinander spielten: "Ma sa'nu, so soll sempu (Papi) mich auch einmal kitzeln. Wo ist er eigentlich?"  Ich erklärte ihr offen, wenn auch mit steinernem Herzen, was Sey berichtet hat, denn ich glaube, sie hat ein Recht darauf, alles genau zu erfahren, auch wenn sie einiges vielleicht noch nicht verstehen mag. Ich erzähle ihr viel von der viel zu kurzen Zeit, die Eywa Wina und mir gemeinsam geschenkt hat. Berichte über Jagden, Feiern , wie er einst seinen Ikran bekam und wie ich zu ihm fand und er zu mir. 

Doch auch wenn mich ihre Augen und ihr gesamtes Wesen immer an meinen ihn erinnern werden, ich liebe sie, wie ich ihn auch immer noch liebe. Ich weiß, dass ich ihn eines Tages wiedersehen werde, nur nicht auf dieser Welt, sondern an einem anderen und vielleicht viel schöneren Ort. Ich weiß, dass es ihm und den anderen beiden, abanso wie Ari'lana,  gut geht.

Möge die große Mutter alle Rey'engya, die nie mehr zu uns zurückkehren werden, allzeit beschützen und für sie sorgen...

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*1:
Da Kxìryas Tochter Maytame ab nun von einem echten Spieler mit eigenem SL Account gespielt wird, ist sie jetzt  etwas älter und kein Baby mehr. Dies wurde im Einvernehmen mit allen Spielern der Gruppe abgesprochen, wofür sich Kxìrya und auch Maytame an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken.


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