Montag, 28. Oktober 2013

Ayskxir apxa / Große Wunden

Run ayoel stxonga Na'vit a tìsraw si. Kempe lamen?
(Wir finden einen unbekannten, verletzten Na'vi. Was ist geschehen?)

Der Tag beginnt für mich mit einem sanften Stupser meiner Tochter: "Ma sa'nu, ich habe Hunger."  Zwei große, dunkle Augen schauen mich an und wieder einmal sehe ich ihn, Winataron, in ihnen. Dabei fällt mir auf, dass ich, seit Sey von seinem Tod berichtete, nicht mehr bei Eywa war, um zu ihr zu sprechen und um wenigstens Winas Stimme vielleicht einmal wieder zu hören. Es ist einfach zu wenig Zeit im Augenblick. Oft ist nicht einmal genügend Zeit, um mich den Fragen, Sorgen und Wünschen meiner kleinen Tochter zu widmen. Immer wieder halte ich Versprechen nicht ein, weil etwas wichtigeres dazwischen kommt, dabei ist sie eigentlich das Wichtigste in meinem Leben.

Genau aus diesem Grund beschließe ich, ihr heute einen ganzen Tag alleine mit ihrer sa'nu (Mama) zu schenken. Ich möchte mit ihr spielen, herumtollen und, ja auch ich sehne mich etwas danach, mit ihr zusammen lachen und Spaß haben. Einfach mal einen ganzen Tag lang die Sorgen vergessen, alle Fragen und Probleme hinter mir lassen, die mich und uns in der letzten Zeit sehr beschäftigen. Dass daraus jedoch wieder einmal nichts wird, weiß nur unsere große Mutter...

Zunächst gehen wir zum See hinunter. Ich möchte ihr die fa'li (Schreckenspferde) einmal aus der Nähe zeigen. Anfangs ist Maytame noch etwas ängstlich. Verständlich, denn aus der Ferne betrachtet sehen sie gar nicht so groß aus, als wenn man direkt vor ihnen steht. Ich erkläre ihr alles genau und versuche dabei gleichzeitig, eines der Tiere durch sanftes und beruhigendes Zureden dazu zu bewegen, sich möglichst ruhig zu verhalten. Während ich dem pa'li (Schreckenspferd) mit der einen Hand über seinen Hals streichle, halte ich meine Tochter an der anderen Hand: "Siehst Du..." erkläre ich ihr: "Es hat nicht einmal Angst vor uns."  Dann hebe ich die Kleine hoch und setze sie auf den Rücken der tsmuke (Schwester), um mich dann selber hinter mein Sternchen zu setzen. 

Maytams schaut mich, zwischen meinen Beinen sitzend,  mit funkelnden Augen an, während ich die Nervenenden meines Zopfes mit denen des pa'li (Schreckenspferdes) verbinde. Dann gebe ich dem Tier das Kommando, sich in ganz langsamem Schritt in Bewegung zu setzen. Offenbar habe ich ein gutmütiges Exemplar dieser Gattung erwischt, denn es folgt sehr bereitwillig meinem Denken. Vielleicht spürt es aber auch, dass Maytame noch sehr jung ist. Wir reiten, es ist eigentlich eher ein langsames Gehen, dann einige Male am Ufer des Sees auf und ab und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass dies genau den Nerv meiner Tochter trifft. "Heeeyaaa... Das wackelt aber, ma sa'nu (Mami)!", lacht sie und ist fast außer sich vor Freude. Als ich jedoch dann Sey erblicke, bleibe ich mit dem pa'li (Schreckenspferd) dicht bei ihm stehen. Wir begrüßen uns mit dem Zeichen Eywas und Sey schaut Maytame mit etwas ähnlichem wie Stolz in seinem Blick an. Ich glaube, sie gibt ihm, wie auch mir, ohne dass sie es bewusst wahrnimmt, sehr viel Halt und einen Blick auf unsere gemeinsame Zukunft...

Das Schlagen kräftiger Flügel lässt uns dann aufblicken und wir sehen, dass Ne'wey sich mit Tutean, ihrem Ikran (Banshee), dem Seeufer nähert. Da das pa'li (Schreckenspferd) ein wenig nervös wird, versuche ich es zu beruhigen. Als kurze Zeit später dann Tsaro ebenfalls zu uns stößt, steige ich von dem Tier ab, lasse Maytame in meine Arme rutschen und entlasse das Tier dann, jedoch nicht ohne mich bei ihm zu bedanken, zu seinen Freunden.

Tsaro ist sehr aufmerksam, denn als ich glaube, ein ungewöhnliches Geräusch aus Richtung des Waldes wahrzunehmen, bemerke ich, dass auch er es offensichtlich vernommen hat. Daher schicke ich Maytame sicherheitshalber hinauf zur Höhle, weiß ich sie dort doch in Sicherheit. Wir beschließen gemeinsam in den Wald zu gehen, um diesem merkwürdigen Geräusch einiger aysyaksyuk (Affen)  auf den Grund zu gehen. Sie scheinen aus irgendeinem Grund aufgebracht zu sein. Tsaro und Sey gehen voraus und sichern unsere Gruppe vorne, während Ne'wey etwas hinter mir bleibt und ebenso die Umgebung beobachtet. Auch ich wittere und lausche auf verdächtige Fährten und Geräusche, doch im Wald herrscht eine beinahe trügerische Stille.

Nach einiger Zeit ruft uns Tsaro zu sich. Am Flussufer, inmitten einiger dicker Wurzeln hat sich etwas verfangen. Bei näherem Hinsehen erkennen wir dann den leblos wirkenden Körper eines uns unbekannten Na'vi. Er liegt auf dem Bauch, aber auf seinem Rücken und an seinen Beinen sind überall Kratzer und Schürfwunden zu erkennen. Tsaro überquert den Fluss, um uns vom anderen Ufer her zu schützen. Sey hält ein Stück weit neben uns Ausschau und Ne'wey klettert auf einen Baum, um von dort eine bessere Übersicht zu haben, während ich mich um den Verletzten kümmere.

Als ich seinen Puls fühle, bemerke ich, dass er recht schwach ist, aber immerhin lebt der Fremde noch. Ich atme etwas auf und bitte Sey dann mir zu helfen, ihn sehr vorsichtig auf den Rücken umzudrehen. Da wir nichts über seine Verletzungen wissen, drehen wir ihn äußerst behutsam um. Dann erst sehen wir das ganze Ausmaß seiner Verletzungen. Sein Oberkörper ist in der Form, die ähnlich der eines Kreuzes ist, aufgerissen. Er scheint viel Blut verloren zu haben. Sofort ist mir klar, dass ich hier zuerst nur die fwäkìwll (Gottesanbeter Orchidee) anwenden kann, um diese schlimme Blutung zu stoppen. Hastig mache ich mich auf den Weg. Ich renne ein Stück am Ufer entlang den Fluss hinauf und finde dann einige der nun so dringend benötigten Pflanzen.

Ne'wey und Sey bewachen den Fremden, als ich wenig später zu ihnen zurück kehre und ich mache mich gleich daran, die Blütenblätter zu zerkauen, um sie mit Hilfe meines Speichesls zu einem dicken Brei zu zerkauen. Ich komme kaum mit dem Kauen nach, denn für solch große Wunden braucht es sehr viel Speichel, der mir jedoch schon bald auszugehen droht. Daher bitte ich Ne'wey, mir behilflich zu sein. Gemeinsam schaffen wir es dann, dass seine Wunde vollständig mit dem zerkauten Blütenbrei bedeckt ist. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten und bereits nach kurzer Zeit bemerke ich, dass die Blutung immer mehr nachlässt. Schließlich kommt sie dann ganz zum Stillstand. Aber er muss in unser Lager, denn nur dort werde ich ihm seine Wunden weiter behandeln können. Nur wie bekommen wir ihn dort hin?

Unsere Trage steht in der Höhle. Wer hätte sich auch nur im Entferntesten vorstellen können, dass wir sie brauchen werden?  Ein pa'li (Schreckenspferd) kommt auch nicht in Betracht, denn die Erschütterungen wären zu stark für den Fremden. Also kommen wir zu dem Schluss, dass wir ihn zu dritt tragen werden. Ne'wey nimmt ihn bei den Schultern, Tsao packt seine Beine und ich unterstütze die beiden, indem ich den Körper des Fremden in Beckenhöhe abstütze, damit er sich so wenig wie es irgendwie möglich ist bewegt. Es ist ein beschwerlicher Rückweg. Wie lange wir gehen, oder besser schleichen, vermag ich nicht zu sagen.

Im Lager angekommen, legen wir ihn dann zunächst auf die Trage, die wir für solche Fälle vor längerer Zeit einmal gebaut haben. Der Fremde ist immer noch bewusstlos und ich hole schnell alles, was ich auch nur im Entferntesten brauchen könnte, aus der Höhle zusammen. Vor allem Tücher besorge ich in größerer Anzahl, damit ich seine größeren Wunden verbinden kann. Aus allen möglichen Zutaten rühre ich Pasten und flüssige Heilmittel an und reinige die große Brustwunde sehr vorsichtig. Nach einer mir unendlich erscheinenden Zeit ist es dann geschafft. Der Fremde schlägt langsam seine Augen auf, ist aber immer noch sehr schwach. 

Tsaro, Sey und auch Ne'wey, ich bekomme es anfangs nur am Rande mit, diskutieren derweil über die Herkunft solch großer Wunden. Sey vermutet, dass sie von Messern oder größeren Schneidewerkzeugen kommen könnten. Ne'wey und Tsaro scheinen diese Meinung nur bedingt zu teilen. Für mich steht aber beinahe fest, wobei es zunächst nur eine Vermutung ist, dass es große Krallen oder etwas ähnliches gewesen sein könnte. Ich erinnere mich an meine eigene Verletzungen nach meinem Palulukan (Thanator) Angriff. An den Rändern der großen Wunde entdecke ich Fransen, die von Krallen oder Felsen stammen könnten. Uns bleibt im Moment jedoch nur ein Weg es herauszufinden. Ich muss den Fremden so weit behandeln, dass er es und erklären kann.

Mitten in meiner Arbeit kommt meine Kleine zu uns gelaufen. Sie ist etwas erschrocken, als sie die große klaffende Wunde des Fremden sieht und stellt mir unzählige Fragen. Ich erkläre ihr, was ich weiß, was aber zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht sehr viel ist. Dennoch versucht sie mich zu unterstützen, indem sie mir Tücher und Schalen mit Heilmitteln an reicht.

Tsaro beschließt dann, Sey um die Erlaubnis zu bitten, das Lager weiträumig mit seinem Ikran (Banshee) zu überfliegen. Sey willigt ein und so macht sich Tsaro auf den Weg, um Ausschau nach weiteren merkwürdigen Dingen zu halten und vielleicht die Herkunft der Verletzungen heraus zu bekommen. Es würde mir  sehr helfen, da ich den Fremden dann möglicherweise noch besser behandeln könnte.

Nachdem dann etwas Ruhe eingekehrt ist und wir allesamt um den Verletzten herum sitzen und miteinander überlegen, woher er kommen könnte, beginnt der Fremde zu sprechen. Das heißt, es ist eigentlich nur der Hauch seiner Stimme, mit der er versucht, Worte zu formen. Es wird still und wir versuchen, den Sinn seiner Worte zu verstehen. Aber er scheint sehr durcheinander zu sein, was uns allerdings nicht sehr verwundert. Während ich dann versuche, dem Verletzten einen schmerzlindernden Tee zu geben, um vielleicht erste Informationen zu bekommen bemerke ich, dass Sey und Ne'wey immer wieder miteinander flüstern. Haben sie eine Vermutung?  Wissen sie vielleicht sogar etwas?  Oder tauschen sie nur Gedanekn miteinander aus?  Ich beschließe jedoch, die beiden nicht drüber zu befragen. Wenn es etwas wichtiges gibt, dass mich oder alle des Clans betrifft, werden sie vermutlich auf uns zu kommen.

Dann entscheidet Sey, dass von nun an in der nächsten Zeit niemand alleine in den Wald geht. Es sollen immer mindestens zwei Jäger oder Krieger zusammen sein, um sich im Falle eines Falles gegenseitig helfen zu können. Ein weiser Entschluss, der in mir jedoch eine Befürchtung aufwirft. Wurde der Fremde vielleicht von den sawtute (Himmelsmenschen) so zugerichtet?  Ne'wey nimmt Maytame zu sich und hat dann die Idee, in den nächsten Tagen, bis es dem Fremden etwas besser geht und er das Schlimmste hinter sich hat, auf sie aufzupassen. Das gefällt meinem kleinen Mädchen natürlich sehr und, ich muss es zugeben, ich bin auch etwas froh darüber.

Am Feuer wird es dann immer ruhiger. Der Fremde ist inzwischen auch wieder eingeschlafen, was ihm nur gut tun kann. Sey schläft dann am Feuer ein, nicht ohne mir jedoch vorher zu versprechen, mich zu holen, sollte es dem Fremden in der Nacht schlechter gehen. Zusammen mit Maytame und Ne'wey gehe ich dann zu unseren Schlafplätzen. Es war ein sehr anstrengender Tag, der wieder einmal völlig anders verlief, als ich es mir vorgenommen hatte und ich befürchte fast, die Nacht wird auch nur sehr kurz für mich werden. Aber ich werde alles in meiner Macht stehende versuchen, um dem Fremden auch weiterhin zu helfen.


Während Maytame sich an mich kuschelt, was ich in diesem Moment sehr genieße, beobachte ich für eine kurze Zeit Ne'wey. Ohne sie würde mir vieles nicht so gelingen, wie es das in letzter Zeit tut. Eywa hat nicht nur mir ein großes Geschenk gemacht, ihren Weg zu uns führen zu lassen...

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