Montag, 16. Dezember 2013

Txällän holum / Dallan hat uns verlassen

Aysefpìl teri Txällän sì 'olo ayoeyä nìteng.
(Gedanken an Dallan und auch an unseren Clan.)


Die letzten Tage waren für mich, meine kleine Tochter und wohl auch für alle anderen Jäger, Krieger und sonstige Mitglieder der Rey'engya sehr anstrengend, brachten glückliche und unglückliche Momente und es gab Gespräche - Viele Gespräche. Doch immer und immer wieder kommen unsere Unterhaltungen auf ihn, den tsmukan sawtuteyä (Menschenbruder). Obwohl es mir sehr schwer fällt, nicht über Txällän zu sprechen oder auch nur an ihn zu denken, mag ich nicht immerzu über Dinge reden, die ihn und uns betreffen. Manchmal glaube ich, es gibt nichts anderes mehr, über das wir im Augenblick noch reden können.

So sind es die, wenn auch manchmal nur kurzen und glücklicheren Momente, an denen ich mich ein wenig festzuhalten versuche. Maytame weinte bitterlich, als ich ihr erklären musste, dass Txällän zumindest in der nächsten Zeit nicht mehr bei uns sein kann. Natürlich stellte sie mir unzählige Fragen, wollte wissen wieso, weshalb, was er denn angestellt habe und dergleichen. Es ist nicht immer leicht, ihr solche Dinge zu erklären, dennoch versuche ich es aber. Denn auch wenn sie noch klein ist, hat sie ein ebensolches Recht es zu erfahren, wie jeder andere von uns. Ich weiß natürlich, dass sie viele Dinge noch nicht verstehen kann, daher erkläre ich es ihr anhand von Beispielen. Aber auch dies ist nicht immer leicht.

Sey konnte und kann man immer noch deutlich anmerken, dass ihm die Entscheidung, Dallan fort zu schicken, mehr als schwer gefallen ist. Oftmals, es sind meist nur kurze Momente, sitzt er wie gedankenlos am Feuer oder tut irgendetwas, um sich scheinbar von diesen Gedanken abzulenken.

Vor einigen Tagen erfüllte Ne'wey mir dann einen schon seit langer Zeit gehegten Wunsch. Da ich sie schon öfter darum bat, auch einmal wieder jagen zu wollen, gingen wir gemeinsam zur Jagd. Auch wenn ich in erster Linie zeykoyu (Heilerin) bin, ist es doch die tayronyu (Jägerin) in mir, die mich immer wieder hinaus in den Wald zieht. Beobachten, wittern, aufmerksam sein, das ist es, was ich ab und zu einfach tun muss. Es war ein wirklich tolles, wenn auch langes Unternehmen und ich hatte sogar das Glück, ein Yerik (hirschähnliches Tier) zu meiner Beute machen zu können. Beinahe wie eine numeyu (Schülerin) fühlte ich mich, als ich das erste Tier, dem wir begegneten, schlicht übersah. Erst als es ängstlich davon rannte, bemerkte ich es. Doch ich behielt die Ruhe, ebenso wie Ne'wey auch, denn selbst dem erfahrensten taronyu (Jäager) entgeht auch einmal etwas. Vielleicht waren es aber auch meine Gedanken, die mich etwas unkonzentrierter sein ließen an jenem Tag.

Nur wenige Tage später musste ich dann mit etwas Unbehagen feststellen, dass Tsaro und Ne'wey ebenfalls jagen gegangen waren. Auch er brachte ein prächtiges Yerik (hirschähnliches Tier) mit zurück ins Lager. Natürlich waren er und Ne'wey sehr stolz auf diese Beute. Ich eigentlich auch, obgleich ich mich fragte, wieso sie es töten mussten?  Meine Beute war noch nicht einmal verarbeitet und es war kaum etwas davon verbraucht. Mir erschien es ein wenig unnütz, einen tsmuken (Bruder) zu töten und ich fragte mich, ob Ne'wey und Tsaro, die ja nun auch beide von den Tipani (Na'vi Clan) ausgebildet wurden, dies übersehen konnten?  Doch ich bin nicht neidisch oder argwöhnisch auf sie. Tsaro hat eine gute Jagd gemacht und da es seine erste Beute ist, seit er zu uns kam, werde ich ihn gerne begleiten, um das Herz seines Beutetieres an einem von ihm gewählten Ort zu vergraben und der großen Mutter dafür zu danken.

Txe'lanyrr, die erst kürzlich zu uns gestoßene Wanderin scheint meine kleine Jägerin sehr zu mögen. Sie baute sehr aufwändig für die kleine einen Ikran (Banshee) aus Holz. An einem langen Stab kann Maytame nun mit ihrem neuen Freund durchs Lager laufen und ihn fliegen lassen. An jenem Tag, als sie ihn bekam, fühlte auch ich mich plötzlich in die Zeit meiner Kindertage zurückversetzt. Es macht einfach Freude zu sehen, wie mein kleines Mädchen immer größer wird, wie sie unbeschwert Spaß hat, spielt und herum tollt. Maytame spielte bis in die tiefe Nacht mit dem Holzspielzeug und ich habe beinahe den Eindruck, ihre Unbeschwertheit lässt auch Ne'wey, Sey, Seysyu und all die anderen die schlimmen Dinge ein wenig vergessen. Erst als sie vor Müdigkeit beinahe um fiel, trug ich sie in unsere Höhle. Ich liebe  sie.
Immer wieder kommen wir aber auf unseren sawtuteyä tsmukan (Menschenbruder) zu sprechen und immer wieder betrübt es mich, darüber nachzudenken. Daher genoss ich jeden Augenblick, den Maytame an diesem Tag mit dem Holzikran herum lief. Ich lief ihr nach, ahmte Ya'rrìs (Kxìryas Ikran) Rufe nach und Maytame erschreckte sich sogar ein wenig darüber. Sie fing jedoch laut an zu lachen als sie feststellte, dass ich diese Geräusche machte.

Als ich an einem der nöchsten Tage fast alleine im Lager war beschloss ich, die Menschensiedlung aufzusuchen. Nìm'wey und Ma'wey passten auf Maytame auf, während ich mir ein pa'li (Schreckenspferd) suchte, um den Weg schneller bewältigen zu können. Mir war es richtig mulmig zumute, als ich an dieser Steinhütte ankam. Überall vermutete ich diese Waffen, die ganz von alleine ihr Ziel suchen und schießen können. Doch es geschah nichts und auch Dallan konnte ich weder irgendwo sehen oder hören, noch konnte ich seine Fährte aufnehmen.

So schlich ich mehrfach um diese Hütte herum und fand schließlich eine Wand, durch die ich ins Innere hinein sehen konnte. Es war ganz ähnlich wie das durchsichtige Teil an Dallans Maske, nur viel größer. Sehr vorsichtig lugte ich mit einem Auge in die Hütte hinein und sah für einen Wimpernschlag mesawtute (zwei Himmelsmenschen). Dallan erkannte ich sofort, aber da war noch jemand bei ihm. Es war eine tute (Frau), aber ich konnte mich nicht erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben.
Soll ich mich bemerkbar machen?  Soll ich an diese durchsichtige Wand klopfen?  Ich war sicher, Dallan oder die andere Person hätten es bemerkt. Da Sey berichtet hatte, dass Dallan sogar seinen Kriegerschmuck vor ihm zu Boden geworfen hatte und auch erklärte, er wolle seinen Bogen zurück geben, wusste ich nicht, wie ich mich nun verhalten sollte. Will er mich, seine sa'nu (Mutti) überhaupt noch sehen?

Einerseits war es mein Verlangen, Dallan wieder zu sehen, ihn nach seinem Wohlbefinden zu fragen und ihm von Maytames neuem Spielzeug zu erzählen, aber andererseits fragte ich mich, ob er das vielleicht gar nicht will?  Schließlich überwand ich mich jedoch und warf ein kleines Stuck Holz gegen die durchsichtige Wand. Doch es tat sich scheinbar nicht. Haben sie es doch nicht gehört?  Nach einiger Zeit hörte ich dann aber Geräusche und zog vorsichtshalber meinen Bogen. Nicht wegen Dallan, denn ich vertraue ihm nach wie vor. Aber da war noch diese andere Person bei ihm...

Fast wie bei der ersten Begegnung zwischen Dallan und mir standen wir uns dann gegenüber und da erst erkannte ich jene Frau. Es war die Forscherin, sie sich Tessy nennt. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als sie auch mich wiedererkannte. Wir unterhielten uns sehr lange, doch die Begegnung schmerzte mich auch. Immer wieder sprach Dallan von dem, wie er es nannte Hausverbot, das er von Sey bekommen hatte. So versuchte ich ihm zu erklären, dass es nicht an seiner karyu (Lehrerin) Ne'wey liegt, sondern daran, dass er ständig die ihm auferlegten Regeln missachtet.

Tessy folgte meinen Erklärungen wohl sehr aufmerksam, denn sie schimpfte mit Dallan, wieso er denn solchen Blödsinn machen würde?  Wir redeten lange hin und her und ich muss zugeben, dass er ein Argument vorbrachte, dem ich nicht viel entgegen zu setzen hatte. Ich werde darüber mit dem Clan, insbesondere aber mit Sey reden müssen. Der Weg von der Menschensieldlung zu unserem Lager ist sehr weit und für Dallan, wenn er denn nur mit dem Bogen bewaffnet ist, auch sehr gefährlich. Daher gilt es eine Lösung für ihn zu finden, wie er zu uns kommen kann, wenn er es denn möchte, um vielleicht wieder zu lernen.

Mir wurde das Herz etwas schwer, als ich nach diesem langen Gespräch Ya'rrì rufte, um den langen Heimweg anzutreten. Während des Fluges kamen mir wieder und wieder die Gedanken an die vielen Dinge, die wir mit Dallan schon erlebt hatten. Feiern, Kämpfe, Rituale, sein Bogen... Ich wünsche mir sehr für ihn, dass er irgendwann wieder so wird, wie er einst war. Doch ich weiß, es könnte sich alles noch mehr verändern, denn wie er uns berichtete, hat er sich daran gemacht, einen von diesen ayuniltìrantokx (Avataren) für sich herzustellen. Dies würde es ihm ermöglichen, ohne Maske zu uns zu kommen und so mit uns zu leben, wie es alle anderen auch tun. Ob ein starker Wille dazu gehört, in einem solchen Körper zu leben?  Ich kann es nicht sagen. Wenn es aber so ist, wäre dies immerhin vielleicht ein Beweis dafür, dass Dallan auch das auf sich nehmen würde, um einer von uns zu werden.

Bis dahin werden wir uns im Clan um unsere numeyu (Schülerin) kümmern. Seysyu hatte sich aus einem Knochen ein Messer gebaut und ich zeigte ihr erste Kampftechniken damit. Wenn sie sich so bemüht, wie es bisher der Fall zu bemerken ist, könnte aus ihr eine gute tsamsìyu (Kriegerin) oder taronyu (Jägerin) werden. Auch beim Fischen stellt sie sich recht geschickt an, auch wenn neulich Sey, Ne'wey und ich einiges zum Schmunzeln hatten, als wir sie am See dabei beobachteten. Sie wollte mit bloßen Händen einen Fisch fangen, wäre dabei aber jedoch von diesem beinahe in ihre Schweifquaste gezwickt worden. Als sie dann mit Ne'weys Speer tatsächlich einen Fisch fing, der zudem noch überaus giftig war, konnte man ihr aber deutlich und auch zu recht ihren Stolz ansehen. Sie hatte sogar so viel Glück, dass wir den Fisch nachher zubreiten konnten, da ihr Speer nicht die Giftblase des Fisches getroffen hatte. Um sie zu motivieren und auch um ihr zu zeigen, dass wir ihren Einsatz sehr schätzen, gab ich Seysyu einen Speer, den ich vor langer Zeit, als ich noch eine Tipani war, einmal gemacht hatte. Er ist nichts besonderes, aber zum Lernen ist er noch gut geeignet, denke ich.

In solchen Momenten genieße ich Ne'weys und auch Seys freudige und auch mit Stolz erfüllte Blicke. Sie ist eine gute karyu (Lehrerin) und wenn ich noch einmal numeyu (Schülerin) wäre, ich würde mir niemand anderen wünschen, der mir alles beibringt. Doch eines werde ich ihr niemals vergessen: Mein Leben lag in ihrer Hand und sie gab, zusammen mit den anderen, alles, um meinen Tod abzuwenden. Ich weiß aber ebenso, sie würde mich ebenfalls zu Eywa schicken, wenn ich sie einmal darum bitten müsste...

So sitze ich nun, nach vielen Tagen der Unruhe, der schwierigen aber auch der freudigen Momente, der Entscheidungen und der manchmal wechselnden Gefühle auf einem Baum vor unserer Höhle und schaue durch den Torbogen unseres Lagers bis fast hinunter zum See. Die zu mir dringenden Geräusche des Waldes ändern sich langsam weil nach und nach die tagsüber aktiven Tiere den nächtlichen Jägern weichen. Maytame schläft inzwischen, nachdem ich mit ihr noch unser Jägerlied gesungen hatte. Ich lehne mich zurück an den Stamm und denke zurück an meinen muntxatan (Ehemann), der immer ein Teil meines Lebens bleiben wird, ganz gleich ob ich mich jemals mit einem anderen tutan (Mann) verbinden werde oder nicht. Ich weiß, wenn Eywa es für mich geplant hat, werde ich seinen Weg irgendwann kreuzen. "Hivahaw nìmwey, ma hì'ia taronyu fa ayrum." ("Schlaf gut, kleine Kugeljägerin.") flüstere ich mehr zu mir selber, aber an die kleine denkend,nehe ich dann ebenfalls zu unseren Schlafplätzen gehe...



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