Sonntag, 9. März 2014

Hey amip / Neue Gesichter

Mipa sìn taluna olo' ayoeyä tsawl slu.
(Neue Aufgaben, denn unser Clan wächst.)

An manchem der vergangenen Tage wache ich morgens auf und fühle mich leer und irgendwie abgespannt und beinahe jeden Tag wird mir auch bewusster, weshalb dies so ist. So auch gerade wieder. Es ist noch dunkel und die entfernten Stimmen der Nachttiere werden durch den langsam anbrechenden Tag durch die Stimmen der tagaktiven Tiere abgelöst. Ich höre Maytame auf dem Platz neben mir leise schnurren. Sie scheint etwas zu träumen. Das noch schwach in unsere Höhle einfallende Licht lässt nur wenige Einzelheiten erkennen, aber ich höre einige von uns deutlich atmen. Ein Gedanke an diesen tawtute (Himmelsmenschen), den Tsaro zu uns brachte und der sich Neo nennt, kommt mir in den Sinn. Wird er uns helfen können, diese metallenen Gebilde, die aus dem Feuerberg heraus ragen und weit über dem Meer im Himmel verschwinden zu scheinen, zu beseitigen?

Txällän und er haben sich beraten, da sie die Technik der Menschen am besten verstehen. Ich glaube nicht nur ich bin froh darüber, dass die beiden sich nicht gleich bei ihrer ersten Begegnung bekämpft haben. Neo scheint ein sehr großes Interesse an unserem Volk zu haben, doch obwohl er uns sehr respektvoll und freundlich gegenüber tritt, bin ich immer noch etwas skeptisch. Ob sich dies in Zukunft verändern wird, kann ich noch nicht vorhersagen. Auf alle Fälle scheinen ihm alle dankbar dafür zu sein, dass er die Reise über das Meer auf sich nimmt, um zu sehen, wohin diese, wie er es nennt, Versorgungsleitung, führt und was es damit auf sich hat, dass sie in den Feuerberg und die Menschensiedlung hinein führt.

Sey'syu, die nach ihrer langen Reise nun endlich wieder gesund zu uns zurückgekehrt ist, scheint viel neues dazugelernt zu haben. Das abendliche Gespräch mit ihr, nachdem wir einen sehr arbeitsreichen Tag verlebt haben, ist sehr informativ und sie scheint neben neuen Erfahrungen auch viele neue Ideen mitgebracht zu haben. Obwohl der Rückweg ihr viel Kraft abverlangt hat, macht sie sich, kaum dass sie von allen begrüßt wurde, schon wieder an die Arbeit. So kenne ich sie und so mag ich sie auch. Sie gehört nicht zu der Sorte von Leuten, die still am Feuer sitzen. Mit ihr kann man immer etwas unternehmen und sie ist auch immer sehr interessiert an neuen Dingen.

Ich erwarte schon sehnsüchtig die Heimkehr Ne'weys. Sie wird bestimmt sehr erfreut über diese Neuigkeiten sein. Allerdings wird sie ebenso wahrscheinlich nicht sehr erfreut darüber sein, wenn sie hört, dass in der Menschensiedlung ein neues Gesicht aufgetaucht ist. Ich entdeckte ihn eher zufällig, als ich auf der Suche nach Txällän (Dallan)  zu der kleinen Behausung kam. Durch eine der transparenten Wände entdeckte ich ihn, doch er war nicht alleine. Zunächst sah es aus, als würde der Fremde ihn bedrohen, was mich dazu brachte, meinen Bogen anzulegen und durch diese durchsichtige Wand hindurch auf ihn zu zielen. Niemand greift ungestraft einen Krieger der Re'engya an.

So stehe ich mit gespannter Sehne und ebensolchen Nerven, den Fremden mit meinem Pfeil anvisierend, vor diesem Gebäude. Txällän, der mit dem Rücken zu mir steht, bemerkt mich nicht. Der Fremde ist dafür dafür umso erschrockener. Als Txällän dann auf mich aufmerksam wird, deute ich ihm mit einer Geste an, den tawtute (Himmelsmenschen) zu mir heraus zu bringen. Nicht ohne Verwunderung bemerke ich dann, dass Txällän ihm die Hände auf dem Rücken fesselt. Also scheint der Besuch dieses tawtute (Himmelsmenschen) doch von ernsterer Natur zu sein...?

Zunächst fällt mir dann auf, als die beiden vor mir stehen, dass dieser John, wie er sich mir vorstellt, noch etwas kleiner als Txällän ist. Aber ich versuche die leichte in mir aufkommende Heiterkeit darüber zu unterdrücken. John gibt vor, ein Forscher zu sein und er behauptet, dass er von unserem Volk lernen möchte. Doch ich traue ihm nicht. Ich merke ihm seine Angst mehr als deutlich an. Er würde jede List anwenden, um mich zu täuschen. Diese Angst an ihm ist es, die mich skeptisch und auf Distanz zu ihm bleiben lässt. Mir wird viel wohler, als Txällän ihn dann wieder in die Behausung führt. Es hat gut getan, meinen 'itan (Sohn) nach längerer Zeit einmal wieder zu sehen und auch mit ihm zu reden. Es erleichtert mich etwas, zu sehen, dass es ihm gut geht.

Maytame scheint sich ebenfalls sehr über Sey'syus Rückkehr zu freuen. Auch mit Tsaro ist sie gern zusammen. Ich glaube, sie vermisst manchmal einen Spielkameraden, mit dem sie am See oder in und vor dem Lager ihre Späßchen machen kann. Auch wenn sie Txällän als ihren tsmukan (Bruder) akzeptiert und er so manche Blödelei durchgehen lässt, wäre ein Mädchen oder ein Junge in ihrem Alter sicher nicht von Nachteil für ihre Entwicklung. Doch es ist Eywas Plan und ihr Wille, dass dem nicht so ist und dass sie nur unter Erwachsenen aufwächst.

Zu Tey, Leyona und Mìngyu, den drei neuen, denen Eywa nach ihrer langen Reise den Weg zu uns zeigte, ist ihr Verhältnis noch ein wenig zurückhaltend. Aber dies ist nur verständlich, da auch die drei sich erst einmal bei uns zurechtfinden müssen. Auch haben sie, wie sie berichteten,  einige Erlebnisse hinter sich, die sie nach und nach erst einmal verarbeiten müssen. Sey begrüßte sie, wie ich ihn nicht anders kenne, sehr freundlich. Doch er wird bald eine Entscheidung treffen müssen, denn sowohl Leyonas, als auch Mìngyus Weg scheint der des Heilens zu sein, während Teys Wunsch es ist, zu einem Jäger ausgebildet zu werden. Ob Ne'wey neben Sey'syu nun noch einen zweiten Schüler dazu bekommt...?  Oder Tsaro?  Er wäre bestimmt auch ein guter und vor allem geduldiger und besonnener Lehrer, auch wenn er selber die nicht so sieht, was ich jedoch nachvollziehen kann. Tsaro erzählte mir einmal, weshalb er Bedenken hat, jemanden auszubilden. Bei unserem ersten Gespräch, das ich mit Sey darüber führte, konnte er natürlich noch keine konkrete Entscheidung fällen. So müssen und werden wir geduldig abwarten, bis er uns seine Ansichten mitgeteilt hat. 

Und ich sprach mit dem Olo'eyktan (Clanführer) über noch ein Thema, das mich, insbesondere in letzter Zeit, sehr beschäftigt. Immer wieder ergeben sich Situationen, in denen ich seine zum Teil merkwürdigen Blicke bemerke, die er mir zu wirft. Erst kürzlich, als Ne'wey ihre lange Reise antrat und ich sie mit einem kleinen Ritual verabschiedete, passierte es wieder. Sey schaut mich immer an, wenn er glaubt, dass ich es nicht bemerke. Doch ich spüre, wie mich seine Blicke oft mustern. Als ich ihn vor einiger Zeit darauf anspreche, antwortet er mir zunächst etwas ausweichend. Doch schließlich spricht er offen und in seinen Worten liegt so etwas wie Sehnsucht, als er mir seine Gedanken offenbart. Er vermutet, dass meine Aufgaben im Clan als taronyu (Jägerin) und insbesondere als zeykoyu (Heilerin) sich zukünftig verändern könnten.

Er fragt mich, ob ich denn selber keine Veränderungen an mir bemerkt hätte?  Als ich dies verneine, schildert er mir eines seiner Erlebnisse, die er am vitra utral (Baum der Seelen) hatte. Seine Worte lassen mich nachdenklich werden und in mich hinein horchen. Seine Äußerung klingt beinahe so, als würde er wissen oder zumindest ahnen, dass Eywa mich für eine neue und sehr große Aufgabe auserwählt hat. Doch zunächst werde ich etwas für mich sehr wichtiges tun, indem ich mich meinem zweiten uniltaron (Traumjagd) stellen werde. Vielleicht wird mir dieses Ereignis, sollte ich es überleben, neue Erkenntnisse bringen oder Antworten auf einige meiner Fragen. Angst habe ich davor nicht, auch wenn Eywa mich dabei zu sich holen kann...

Doch bis dahin werden noch viele Tage vergehen, es werden noch viele Gespräche folgen und ich werde im Clan noch viele Dinge zu erledigen haben. May hatte für jeden von uns einen Federschmuck gemacht. Sie wird immer geschickter mit ihren Händen und es macht Freude, mitanzusehen, wie sie jeden Tag neue Dinge dazu lernt. Daher werde ich bei nächster Gelegenheit in die Berge hinauf fliegen, um etwas bestimmtes zu besorgen. Ich werde mir dann die Zeit nehmen, und mit ihr alleine etwas machen, über das sie sich, da bin ganz sicher, sehr freuen wird. 
Für Ne'weys Rückkehr, auch wenn dies noch viele Tage dauern mag, habe ich mir schon jetzt etwas besonderes einfallen lassen. Es wird ein kleines Fest geben, sollte sie gesund zu uns zurück kehren. Ein Fest, das wir zu Ehren Eywas feiern werden, die unseren Clan wieder zusammen geführt hat. Dafür werde ich meiner kleinen taronyu (Jägerin) noch etwas ganz besonderes zeigen, denn ich weiß, wie gerne sie an Feiern teilnimmt und wie sehr sie sich freut, dabei helfen zu können.
Nun sitze ich hier an einem meiner Lieblingsorte am See und betrachte den prasselnden Wasserfall. Neo, der tawtute (Himmelsmensch), den Tsaro zu uns brachte, hatte etwas Sorge, dass mit dem Wasser in unserer Gegend etwas nicht stimmt. Er befürchtete, dass es uns krank machen könnte. Glücklicherweise stellte sich dann aber heraus, dass dem nicht so ist. Auch der kleine Wasserfall in unserem Lager ist nicht davon betroffen, da er, wie Neo es erklärte, aus der selben Quelle sein Wasser bekommt. Darüber erleichtert, mache ich mich auf den Weg zu den ayutral aymokriä (Stimmenbäumen), um Eywa für diese gute Nachricht zu danken. Sie meint es gut mit uns und sorgt jeden Tag aufs Neue dafür, dass es uns an nichts fehlt.

Die Tage kommen, die Tage gehen. An manchem von ihnen gibt es sehr viele Aufgaben zu erledigen und manchmal bleibt auch Zeit, um ein wenig allein zu sein. Ich genieße diese, wenn auch oft kurzen Momente, wenn ich alleine oder auch gemeinsam mit Sey'syu an einen schönen Ort gehen kann. Auch die Zwiegespräche mit Sey bringen mir sehr oft Entspannung, neue Erkenntnisse oder auch Ideen. Ich danke Eywa dafür, dass sie den Clan beschützt, bete aber auch sehr oft zu ihr, dass sie alle die beschützen möge, die nicht bei uns sind und auch die, die nie mehr unter uns weilen können.

Manchmal denke ich dabei auch an Winataron, seine tiefe Stimme und daran, dass er May und mich sehr geliebt hat. Sey'syu bat mich vor einiger Zeit einmal darum, mit ihr zum vitra utral (Baum der Seelen) zu gehen. Sie wünscht sich sehr, ihn dort auch noch einmal hören oder spüren zu können. Gerne hätte sie ihn kennen gelernt, wie sie mir schon oft versicherte. Erst kürzlich sprachen wir sehr lange miteinander und sie betätigte mir mit einer Geste ihres Schweifes, dass sie offenbar den selben Wunsch hegt, wie auch ich...

Die Zukunft wird uns zeigen, welche Pläne die große Mutter mit uns hat...

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