Samstag, 26. April 2014

Oe tarontu lu / Ich bin die gejagte

Ikranil lefnagp sì palulukanil taron oet.  Hivifwängo zene oe...
(Ein Metallikran und ein Palulukan verfolgen mich. Ich muss leider fliehen...)

Noch immer hallen Korlans Worte in mir nach, als ich eben aufwache: "Syamaw fo tstxor ngeyä, ma Kxìrya..." ("Sie nannten Deinen Namen, Kxìrya...")  Ne'wey liegt, immer noch in tiefen Schlaf versunken, neben mir auf ihrem Lager, doch bin ich zuversichtlich, dass sie bald wieder ganz gesund werden wird. Eine Zeit lang sitze ich noch neben ihr, beobachte sie, doch ich kann nichts weiter tun, als abzuwarten. Daher mache ich mich irgendwann auf den Weg. Wieder zieht es mich zum vitra utral (Baum der Seelen) und wieder einmal will ich versuchen, dort etwas bestimmtes oder jemand bestimmtes zu hören: Sempul (Vater)...

Wie immer führt mich mein Weg entlang am Ufer des Flusses. Unzählige Geräusche und Stimmen des Waldes dringen in meine Ohren und es erfüllt mich mit Freude, dass unser Land immer lebhafter, aber zugleich auch gefährlicher wird. Wie gefährlich, soll ich erst viel später am eigenen Leibe spüren. Doch davon ahne ich jetzt natürlich noch nichts. Als die eine unserer Sonnen hinter dem Horizont versinkt, erreiche ich den heiligsten Ort in unserem Land.

Ich mag dieses Gefühl, vor den großen Wurzeln dieses riesigen Baumes zu stehen, in seine Krone hinauf zu sehen und zu spüren, wie klein ich doch gegen ihn bin. Doch ist es auch das Gefühl der Verbundenheit, des Zusammengehörens, der Geborgenheit und Wärme, das mich immer wieder hier hin treibt. Bevor ich mich mit seinen Tentakeln verbinde, begrüße ich unsere Große Mutter wie jemand, der leibhaftig vor mir stehen würde, mit der Begrüßungsgeste. Erst dann ergreife ich das Ende meines Zopfes und schaue zu, wie sich die aus ihm herausragenden Nervenenden mit den Tentakeln des vitra utral (Baumes der Seelen) ineinander verschlingen.

Lange muss ich nicht warten, ehe sich die Farbschleier vor meinem inneren Auge zu Bildern formen und die anfänglich dumpfen und weit entfernten Laute klarer und schließlich verständlich werden. Dann ist sie plötzlich wieder da, die singende Stimme meines sempu (Vatis). Er singt wieder dieses Lied, unser Lied. Lange höre ich ihm zu und bemerke dann, dass ich müde werde und dass Bilder mehr und mehr verschwimmen. Da ich mich hier sicher fühle, ist es mir egal, ob ich hier, mit der großen Mutter verbunden, einschlafe.


Ein greller Blitz lässt mich jäh aufwachen. im ersten Moment denke ich an ein großes Feuer, bemerke dann aber, dass dies wohl eine Warnung Eywas war. Sie wollte mich offenbar aufwecken und im nächsten Moment begreife ich auch den Grund dafür. In großer Entfernung höre ich ein Geräusch, das ich sofort identifizieren kann. Es ist ein ikran lefngap (Metallikran) der sawtute (Himmelsmenschen). Er kommt rasch näher. Ich nahme meinen Bogen, löse die Verbindung vom vitra utral (Baum der Seelen) und beeile mich, zum Lager zurück zu laufen, um die anderen zu warnen.

Sehr weit komme ich jedoch nicht, denn überall um mich herum sehe ich in wilder Hektik Tiere flüchten. Vögel suchen Schutz, indem sie hoch hinaus fliegen, Yeriks rennen, als ginge es um ihr Leben. Ich versuche, mich auf die andere Seite des Flusses durchzuschlagen, doch meine Flucht endet, ich ein brüllen höre, das ich nur zu gut kenne und das sich mir schon vor langer Zeit tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Ein Palulukan (Thanator) hat meine Fährte aufgenommen und verfolgt mich. Die einzige Möglichkeit, ihm zu entkommen, besteht für mich darin, in den Fluss zu springen und unterzutauchen.

Zug um Zug tauche ich, merke aber, dass ich nicht weit genug voran kommen werde, um meinem Verfolger zu entkommen. Dann durchzuckt mich ein Gedanke. Sey'syu hatte vor langer Zeit einmal, wir belächelten es zunächst, aus einem hohlen Ast etwas gebaut, mit dessen Hilfe sie unter Wasser atmen konnte. Ich weiß, ich habe nur einen Versuch. Neben einem großen Gebüsch ziehe ich mich, flach an den Boden gedrückt, aus dem Wasser an Land um dann in diesem Busch ein Versteck zu finden.  Ich lausche und bemerke, dass der Abstand zu meinem Verfolger größer,  geworden ist. Außer Gefahr bin ich jedoch bei weitem noch nicht.

Hastig, aber dennoch lautlos suche ich nach einem geeigneten hohlen Ast. Zeit, um ihn zu bearbeiten, habe ich nicht, daher prüfe ich nur kurz, ob ich durch ihn atmen kann, dann lasse ich mich wieder ins Wasser gleiten. Dicht am Ufer entlang hangel ich mich mit Hilfe von Wurzeln und Lianen weiter und weiter. Da ich mit einer Hand den Ast halten muss, komme ich nur langsam vorwärts. Doch es scheint zu funktionieren.

Helle Blitze, die ich von hier unten durch die Wasseroberfläche erkennen kann,  erwecken mein Interesse und lösen zugleich auch Sorge in mir aus. Was ist das?  Vorsichtshalber verweile ich unter einigen dickeren Wurzeln und atme Zug um Zug durch meinen Ast. Dann erschrecke ich. Dicht neben mir fällt etwas ins Wasser. Es ist ein gelblich rotes Feuer, das zu meinem Erstaunen auch unter Wasser weiter brennt. Wieder flüchte ich, denn ich weiß von Dallan, dass dies eine Waffe der sawtute (Himmelsmenschen) sein muss. Nun werde ich von zwei Seiten aus gejagt. Sind wieder neue sawtute (Himmelsmenschen) in unser Land gekommen?  Wieso aber jagen sie mich?

Ich spüre durch leichte Vibrationen des Wald- und Uferbodens, dass der Palulukan (Thanator) ebenfalls darauf aufmerksam geworden sein muss. Dumpf höre ich sein wütendes Brüllen. Dann höre ich die Geräusche des inzwischen deutlich näher gekommenen ikran lefngap (Metallikrans). Beide Geräusche kommen von vorn, weshalb ich mich zum Rückzug nach hinten entschließe. Das Atmen fällt mir jedoch immer schwerer, denn mein Ast lässt nicht genug Luft hindurch. Sobald ich mich anstrengen muss, fühlt es sich an, als hielte mir jemand die Kehle zu.

Die Geräusche werden etwas leiser, als ich dann abgekämpft an Land krieche. Nur ein eintiger Gedanke beherrscht mich: Zurück ins Lager. Ich nehme einen Umweg in Kauf, da mich der direkte Weg wieder zu meinen Angreifern bringen würde. Doch ich höre, dass die beiden offenbar gegeneinander kämpfen. Sollte der Palulukan (Thanator) den tawtute (Himmelsmenschen) angreifen?  Doch es ist keine Zeit zum Denken und ich haste so lautlos, wie es mir möglich ist, in Richtung Sicherheit. Allerdings spüre ich, dass ich offenbar, seit ich aus dem Wasser kam, meinen Bogen verloren haben muss. Aber auch dafür ist jetzt keine Zeit...

Ich erreiche das Lager und bemerke, dass niemand außer mir anwesend ist. Nur Ne'wey dürfte in der Höhle sein und immer noch tief schlafen. Sie wird von alldem nichts mitbekommen. Um meine nasse Kleidung zu trocknen, ziehe ich sie aus und lege sie zum Trocknen ans Feuer. Ich habe Hunger, Durst und auch Angst. Angst vor dem, was wieder einmal auf uns zukommen könnte. Doch im Augenblick überwiegt die Müdigkeit und schließlich gewinnt der Schlaf diesen Kampf...

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