Mittwoch, 2. April 2014

Tìtaron Sey'syuyä / Sey'syus Jagd

Numeyu ayoeyä alu Sey'syu kä na'ringnemfa fte tivaron pxoehu 'awsiteng ulte flä.
(Sey'syu, unsere Schülerin, geht mit uns zum jagen in den Wald und ist erfolgreich.)

Wieder bricht ein neuer Tag heran. Ein Tag, an dem ich sehr ausgeruht und auch gut gelaunt erwache. Auch wenn mir die Erlebnisse am vitra utral (Baum der Seelen) nicht aus dem Kopf gehen, werde ich heute, so ist zumindest mein Plan, gemeinsam mit Sey'syu den Tag verbringen. Daher suche ich mir zunächst ein Versteck in der Nähe des Sees. Oberhalb des Wasserfalls werde ich fündig. Die Geräusche des Wasserfalls erlauben es mir sogar, dass ich nicht auf jede kleine Bewegung achten muss, da er meine Geräusche mit Leichtigkeit übertönt. Von hier oben aus kann ich beinahe das ganze Land um den See herum beobachten, ohne dabei selber gesehen zu werden. In der Hoffnung, dass Sey'syu zum See hinunter kommen wird, warte ich hier auf sie, um mir einen kleinen Spaß mit ihr zu erlauben.

Allzu lange muss ich auch nicht warten. Ich beobachte gerade eine kleine Herde fa'li (Schreckenspferde), die am anderen Ufer augenscheinlich mit ihrem jungen spielen, als ich links neben mir Geräusche wahrnehme. Dann sehe ich sie, unsere Schülerin, meine yawntu (Liebste). Mein Herz beginnt etwas zu pochen und als sie am Ufer vor dem See steht, greife ich nach einem kleinen Stein und werfe ihn hinaus in den See in der Hoffnung, dass sie davon so lange abgelenkt wird, dass ich mich von hinten an sie heran schleichen kann. Mein Plan scheint aufzugehen, denn sie schaut, als der Stein in den See platscht, auf das Wasser hinaus. Schnell husche ich aus meinem Versteck, sehe aber dann, dass sie doch nicht auf meine kleine Finte hereinfällt. Stattdessen geht sie in Richtung Wald. Ich folge ihr unauffällig und lautlos und bin gespannt, was sie vor hat.

Es dauert nicht lange, bis ich erkenne, was sie offenbar vor hat. Schon seit einiger Zeit spricht sie davon, noch einmal zu dieser Höhle gehen zu wollen, in der sie einige Tage lang gefangen war, ehe wir sie, mehr zufällig, dort fanden. Meinen Plan, mit Sey'syu einen Spaß zu machen, habe ich längst verworfen, daher begrüße ich sie, als sie vor dem Eingang dieser Höhle steht. Noch ehe sie mir antwortet, ist sie dann in dem dunklen Loch verschwunden, aber sie ruft mir zu und fragt mich, ob ich ihr behilflich sein könne. Ohne lange nachzudenken, klettere ich ebenfalls in das Loch hinein. Die Wände der Höhle sind glitschig, feucht und kalt und es wird sicherlich nicht leicht, sich hier fortzubewegen.

Sehr weit kommen wir allerdings nicht, denn Sey'syu klärt mich plötzlich darüber auf, dass dies offenbar doch die falsche Höhle ist. So hangeln wir uns langsam, Schritt für Schritt, an den Wänden entlang, bis wir dann den Ausgang wieder erreichen. Als wir uns gerade auf den Weg zurück ins Lager machen wollen, bemerken wir Ne'wey, die augenscheinlich aus dem Wald kommt. Einen Moment lang mustere ich sie unauffällig, versuche herauszufinden, ob meine Vermutung stimmt und sie vom vitra utral (Baum der Seelen) kommt. Doch zunächst beschließen wir, gemeinsam ins Lager zurück zu kehren.

Wir erreichen unsere Feuerstelle und bemerken, dass Sey es sich dort bereits bequem gemacht hat. Nicht nur das, er hat sogar aus den restlichen Stücken des Yerikfleisches (hirschähnliches Tier) einige Fleischspieße gemacht und ist dabei, diese über dem Feuer zu braten. Manchmal glaube ich, dass Sey Gedanken lesen kann, denn ich könnte einen halben Palulukan (Thanator) verdrücken. Nach dem Essen tauschen wir dann schnell einige Neuigkeiten aus, von meinem Erlebnis am vitra utral (Baum der Seelen) erzähle ich jedoch noch nichts...

Ne'weys Wunsch war es ja schon vor einigen Tagen, zusammen mit Sey einmal mit Sey'syu zur Jagd zu gehen, um deren Erfahrungen als angehende taronyu (Jägerin) beurteilen zu können. Doch nach allem, was ich bisher von Sey'syus langer Reise erfahren habe, bin ich zuversichtlich, dass sie, selbst wenn sie keine Beute erlegen sollte, ihre Sache sehr gut machen wird. Als ich dann gefragt werde, ob ich die Gruppe verstärken mag, kann ich einfach nicht anders. In mir schlägt eben auch das Herz einer Jägerin und seitdem Tsaro mit Ne'wey zur Jagd ging, habe ich kein Yerik (hirschähnliches Tier) mehr aus der Nähe gesehen, geschweige denn eines erlegt. Da Maytame bereits die ganze Zeit über in der Höhle mit ihren Federn beschäftigt ist, verabschiede ich mich nur kurz von ihr, damit sie uns nicht vergeblich sucht. Dann geht es los... Endlich...

Ne'wey beschließt, dass Sey'syu die Gruppe anführen soll. Sey und ich folgen der kleinen Gruppe, um der karyu (Lehrerin) und deren numeyu (Schülerin) den Rücken frei zu halten. Eine gute Entscheidung, wie wir später noch herausfinden sollen... So schleicht Sey'syu allen voran vorbei am See bis zu der hängenden Brücke und überquerst diese schließlich. Da ab nun kein Wort mehr gesprochen wird, gebe ich per Geste vor, dass der Wind von schräg rechts vorn kommt. Das andere Ufer erreichen wir lautlos und schnell und entdecken dann einige ältere Fährten. Ich höre Geräusche von oben aus den Kronen der Bäume und es erfüllt mich mit Freude. Der Wald wird wieder lebendiger. Sey hatte vorhin am Feuer sogar etwas von einer Nantang (Natterwolf) Familie erzählt, bei der er mehrere Junge gesehen hat.

Unsere numeyu (Schülerin) ist sehr vorsichtig. Mit Bedacht scheint sie jeden ihrer Schritte sorgsam zu wählen. Wieder bemerke ich, wie erwachsen, wie reif sie doch inzwischen geworden ist. Sie steht Sey, Ne'wey oder mir in nichts nach. Ihr Bewegungen sind so flüssig, dass sie an vielen Stellen unsichtbar und eins mit dem Wald wird. Ich glaube, nicht nur ich bin stolz auf sie. Wir durchstreifen eine Gegend, in der es leicht sumpfig ist wo dichte Nebelschleier uns die Sicht nehmen. Doch Sey'syu führt uns mit sicherem Instinkt.

Ein tiefes und zugleich verärgertes Knurren, lässt uns alle dann beinahe gleichzeitig in eine sehr tiefe Deckung gehen. Aus dem Nebel taucht plötzlich mit leicht polternden und stampfenden Schritten ein riesiger 'angtsìk (Hammerkopf) durch den Nebel hindurch vor uns auf. Er scheint genau zu ahnen, wo wir sind oder sieht er uns etwa?  Sein Verhalten ist alles andere als freundlich. Klar, denn wir haben offenbar sein Jagdrevier betreten. Nun haben wir genau zwei Möglichkeiten. Entweder, wir schleichen weiträumig um das Tier herum, ohne diesem jedoch den Eindruck einer Flucht zu vermitteln, da dies seine Wut nur auf uns lenken und er uns verfolgen würde oder wir greifen ihn an. Für mich ist die einzig richtige Antwort auf diese frage sofort klar, aber wird Sey'syu eben so denken?

Sie entscheidet, obgleich sie bisher noch niemals in einer solchen oder ähnlichen Situation war, instinktiv richtig und wählt die erste Möglichkeit. Damit beweist sie erneut, dass sie zu recht eine Rey'engya ist. Niemals würden wir in einer solchen Situation ein Tier töten, zumal es einen friedlichen Ausweg für uns gibt. Sey'syus Entscheidung, den Weg durch dichtes Gebüsch hindurch zurück zum Fluss und schließlich über eine alte und mit Moos und Schlingpflanzen bewachsene Brücke zu nehmen entspricht genau dem, was auch Sey, Ne'wey und ich jetzt tun würden. Wir hören den  'angtsìk (Hammerkopf) noch eine Weile lang brüllen, doch er verfolgt uns nicht und scheint sich dann auch wieder zu beruhigen. Seine lauten, stampfenden Schritte entfernen sich von uns. 

Wir setzen unsere Jagd fort und es dauert nicht lange bis wir bemerken, dass unsere numeyu (Schülerin) sich tief auf den Boden drückt und dort verharrt. Dann sehen wir es alle. Am gegenüberliegenden Flussufer streift ein Yerik (hirschähnliches Tier) durch das Dickicht. Offenbar sucht es nach Futter oder Wasser. Sey'syu signalisiert uns, da sie Sey oder mich offenbar gerade nicht ausmachen kann, mit einem gedämpft gerufenen Laut, dass sie etwas entdeckt hat. Wir alle gehen in Deckung. Der Wind kommt glücklicherweise von schräg rechts vorn, sodass das Tier unsere Witterung nicht aufnehmen kann.

Sey'syu macht sich zum Schuss bereit, doch urplötzlich stellt das Tier lauschend seine Ohren auf. Hat es uns bemerkt?  Hat sich doch jemand von uns verraten?  Bevor es allerdings zum Schlimmsten kommt und Sey'syu ungewollt ein Tier schwer verletzt, dieses aber dann, nicht tödlich getroffen, in den Wald flüchten kann und dort verendet, gebe ich ihr ein Zeichen. Am Ende des Flusses habe ich ein weiteres dieser Tiere entdeckt, das dort gerade trinkt. Unsere angehende tsamsiyu (Kriegerin)  deutet meinen Wink richtig und lässt von ihrer ersten Beute ab, um sich dann in Richtung des zweiten Tieres vor zu arbeiten.

Sey und ich sichern die Gruppe weiterhin nach hinten ab, während Ne'wey auf Sey'syu achtet. Sehr vorsichtig, lautlos und überaus geschickt schleicht Sey'Syu weiter und weiter ihrem Ziel entgegen. Ich bemerke es gar nicht sofort, doch als ich in ihre Richtung schaue, hat Sey'Syu ihren Bogen bereits angelegt. Die Sehne ist stark gespannt und sie wartet offenbar nur auf den alles entscheidenden Moment. Das Yerik (hirschähnliches Tier) dreht sich, lauscht, aber bemerkt nicht, in welch tödlicher Gefahr es sich befindet. Dann hören wir das leise und zugleich kraftvolle Zischen eines Pfeiles.

Röchelnd und tödlich getroffen bricht Sey'syus Beutetier in sich zusammen, doch es ist nicht sofort tot. Seine Vorderläufe strampeln und es versucht seinen Kopf auszurichten. Im nächsten Moment ist Sey'Syu aber auch schon mit gezogenem Messer bei dem Tier. Indem sie kraftvoll zu sticht, spricht sie gleichzeitig Worte des Dankes an unseren tsmukan (Bruder), der sein Leben gab, um uns als Nahrung zu dienen. Dann liegt das Tier leblos auf dem Boden und ich glaube, dieser Augenblick erfüllt nicht nur mich mit Freude und Stolz. Auch Ne'wey und unser olo'eyktan (Clanführer) zeigen einen deutlichen Ausdruck in ihren Gesichtern.

Sey macht sich einen kleinen Spaß. Ich hatte insgeheim schon darauf gewartet, da er dies sehr gerne tut, wenn ein numeyu (Schüler) seine erste Beute erlegt. Er stellt sich stolz, aber mit missmutigem Blick vor Sey'syu auf und mustert sie wortlos eine Weile. Ein etwas verächtlich klingendes Knurren kommt über seine Lippen und ich würde mir meinen Zopf abschneiden, wenn karyu (Lehrerin) und numeyu (Schülerin) jetzt nicht darüber nachdenken, was bei dieser Jagd falsch war. 

Sey'syu will wohl gerade ihre Ohren hängen lassen und Sey fragen, was denn falsch war, als er los lacht. Der Spaß ist ihm geglückt. Wir alle lachen und ich würde Sey'syu am liebsten umarmen, warte aber, bis sie den schwersten Teil der Jagd auch hinter sich gebracht hat. Sie muss nun die Beute ins Lager tragen.

Schwer beladen, schnaufend und keuchend vor Anstrengung kommt meine yawntu (Liebste) dann schließlich an unserer Feuerstelle an und wir hängen das Yerik (hirschähnliches Tier) gemeinsam mit den Füßen nach oben an unserem Holzgestell auf, damit es dort ausbluten kann. Erst jetzt umarme ich Sey'syu und flüstere ihr zu, dass ich sehr stolz auf sie bin. "Sehr bald...", beginnt Ne'wey dann zu sprechen und Sey nickt ihr zustimmend zu, während sie das sagt: "werden wir zu den Iknimaya (schwebende Berge) aufbrechen, damit meine numyu (Schülerin) dort ihre nächste Prüfung ablegen kann.".

In diesem Moment hoffe ich, dass man mir nicht ansehen kann, was ich denke und was mir schon so lange für Sey'syu und mich wünsche. Endlich ist es so weit. Endlich wird sie eine stolze und tapfere tsamsiyu (Kriegerin) werden. Der Tag, an dem wir uns vor Eywa verbinden werden, ist wieder etwas näher gerückt.

Als Sey'syu dann, auf einem Fell am Feuer liegend, einschläft, lege ich mich zu ihr. Sey sitzt uns zuerst noch gegenüber, steht dann aber auch auf, um, wie Ne'wey vorhin auch, noch einmal in den Wald zu gehen. Wir verabschieden uns und ich schmiege mich an unsere numeyu (Schülerin) an, um dann auch sehr bald einzuschlafen...


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Alle Bilder zu diesem RP findet Ihr in meinem flickr Fotoalbum.

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