Dienstag, 4. Juni 2013

Fratseng sìreat amip sngerä'i / Überall beginnt neues Leben

Fìkaym oer lu tìsrew a'awve Olo'eyktanhu ayoe. Moer lu 'awsiteng tì'o' nìtxan.
(Heute Abend habe ich meinen ersten Tanz mit unserem Olo'eyktan. Wir beide haben sehr viel Spaß zusammen.)

Als ich eben meine Augen aufschlage, ist es mir kalt, unwahrscheinlich kalt. Ich spüre Schweiß auf meiner Stirn und bemerke ihn schließlich am ganzen Körper. Wie von selber tastet meine Hand nach meinem muntxatan (Ehemann). Überflüssig, denn da wir während der letzten Nacht miteinander verbunden eingeschlafen waren, würde ich seine Gedanken, Gefühle oder Träume spätestens jetzt spüren, doch da ist nichts...  Wo mag er sein?

Unten vor dem Lager treffe ich niemanden an und so beschließe ich zum vitrautral (Baum der Seelen) zu gehen. Ich möchte so gerne eine Antwort auf meine Frage haben, weshalb ich immer wieder den selben Traum träume. Gut, in der letzten Zeit war es viel seltener als in der ersten Zeit der Schwangerschaft, aber ich frage mich, was es zu bedeuten hat?  Doch statt der erhofften Antworten schickt die große Mutter mir Bilder. Ich sehe Wina und mich und etwas undeutlich, aber trotzdem erkennbar ein Kind - unser Kind...

Zufrieden, aber auch etwas nachdenklich gehe ich zum Lager zurück und treffe auf Kee'lanee. Auch ihr klage ich mein Leid und sie versucht, mir zu erklären, dass dies völlig normal sei und ich mir keine Sorgen machen müsse. "Natürlich...", fügt sie hinzu: "kann es auch etwas bedeuten, aber das glaube ich nicht. Du hattest eine schlimme Erfahrung und möchtest einfach nicht, dass so etwas Deinem Kind geschieht."

Ich glaube ja, dass sie mich einfach nur ein wenig ablenken will, als sie mir dann von zwei neugeborenen Yeriks (hirschähnliche Tiere) berichtet, die sie in der Nähe unserer Stimmenbäume gesehen hat. Sie schlägt mir dann vor, dass wir ja versuchen könnten, sie uns aus einem Versteck heraus zu beobachten. Nichts, was ich jetzt lieber machen würde. Kees Idee wird mich sicherlich auf andere Gedanken bringen. So schleichen wir uns in den Wald hinein und noch bevor wir zu der von Kee bezeichneten Stelle kommen, sehen wir eine Yerikkuh und zwei Jungtiere, die so klein sind, dass sie noch etwas unsicher auf ihren Beinen stehen.

Es bietet sich uns ein Bild, wie man es sehr selten zu Gesicht bekommt und Kee und ich genießen einfach diesen wundervollen Anblick. Als Kee dann, nicht zu laut, ein Geräusch macht, das dem eines Yeriks (kirschähnliches Tier) sehr nahe kommt, beobachten wir, wie die beiden Jungtiere neugierig auf uns zu kommen. Sie können uns nicht erkennen, da wir gut getarnt hinter einem Gebüsch hocken.

Eines der Kälber geht dann, und dabei scheint es von ihrem Anblick und Geruch dann nicht einmal verängstigt zu sein, genau auf Kee zu und beginnt nach einer Weile, ihr mit seiner Zunge im Gesicht herum zu lecken. Es scheint sich darüber sogar etwas zu amüsieren. Ich glaube, Kee würde am liebsten laut los lachen, wenn ich ihren Ausdruck richtig deute. Aber sie hält tapfer still. Ich muss ebenfalls aufpassen, dass ich nicht belustigt los kichere, weil es wirklich eine komische Situation ist.

Eywa muss mein Grinsen bemerkt haben, denn nur wenig Augenblicke später kommt das zweite Yerik (hirschähnliches Tier) sehr nahe an mich heran. Da ich flach auf dem Bauch liege, habe ich keine Möglichkeit, auszuweichen, ohne die Tiere zu erschrecken. Also lasse ich das Kommende über mich ergehen. Als mir das Tier genau über meine Nasenspitze leckt, spüre ich seine rauhe und überaus nasse Zunge und würde am liebsten auch sofort laut losbrüllen. Das Kitzeln ist fast nicht zu ertragen und ich muss bestimmt mittlerweile violett angelaufen sein, da ich mir das Lachen wirklich fast nicht mehr verkneifen kann.

Alle meine Versuche, die Tiere mit leiseren Geräuschen zum Rückzug zu ermuntern, scheitern. Aber erschrecken will und werde ich sie nicht. Kee gibt mir dann ein Zeichen und wir ziehen uns äußerst vorsichtig Stückchen für Stückchen zurück. Dann sind wir weit genug entfernt, sodass wir aufstehen und zum Lager zurückgehen können.

Sehr belustigt und vergnügt treffen wir dann Sey, der auch eben erst ins Lager zurückgekehrt ist. Wir begrüßen uns, wie immer, sehr freundlich, dann unterhalten wir uns eine Weile und erzählen ihm auch von unserem Erlebnis im Wald. Sey bemerkt dann ebenfalls, dass wohl gerade überall in unserem Tal neues Leben entsteht.

Plötzlich, von einem Moment zum andern hören die Bewegungen in meinem Bauch abrupt auf, was mir einen großen Schrecken einjagt. Ich entferne mich etwas von den beiden, um sie in ihrem Gespräch nicht zu stören. Ich fühle mich irgendwie ein wenig hilflos. Doch die beiden kommen mir nach und ich erzähle ihnen meine Sorge. Kee erklärt mir dann, dass das Baby wohl nur eingeschlafen sei und dass ich mich nicht sorgen solle. Aber so plötzlich?  Da sie jedoch mehr Erfahrung damit hat als ich, versuche ich meine Sorge zu verdrängen, was mir jedoch nicht so ganz gelingt.

Kee verabschiedet sich jedoch dann, da sie sehr müde geworden ist. Ich glaube Sey ist darüber ein klein wenig enttäuscht. Allerdings muss man ihr aber auch zugutehalten, dass sie nicht nur mit Tsìlpey sehr oft und lange beschäftigt ist, sondern auch immer noch für den Clan da ist, was bestimmt sehr viel Kraft kostet. Beide schauen wir ihr noch nach, bis sie in der Höhle verschwunden ist.

Dann habe ich spontan eine Idee. Eigentlich ist es mehr ein Verlangen aus meinem Inneren heraus. Ich stehe auf und fordere Sey auf, einmal mit mir zu tanzen. Mir ist einfach gerade danach zumute. Aber ich warte respektvoll, ob er das überhaupt will. Als er dann aufsteht und rasch ein Feuer auf der freien Fläche vor unserer Höhle anzündet, er meint, es wäre dort mehr Platz, begleite ich ihn dort hin.

Dass ich einmal mit dem Olo'eyktan (Clanführer) alleine und noch dazu ohne besonderen Anlass um ein Feuer herumtanzen würde, hätte ich mir in dieser Form auch nicht träumen lassen. Zwar muss ich ein wenig aufpassen, dass ich nicht zu wild herumwirble, aber wir beide tanzen und ich singe einige Lieder, die ich aus meinen Kindertagen noch kenne.

Wer behaupten würde, Sey sein ein alter Mann, der würde spätestens jetzt eines Besseren belehrt. Ich habe manchmal sogar ein wenig Mühe, ihm hinterher zu kommen. Wir lachen, singen und tanzen wie meeveng (zwei Kinder) ausgelassen um unser kleines Feuer, wobei Seys Tanzbewegungen manchmal ein wenig merkwürdig aussehen. Er scheint etwas neues auszuprobieren...

Dann spüre ich auf einmal auch wieder, dass mein Kind sich bewegt. Da ich sehr außer Puste bin, was mich etwas wundert, da ich sehr gerne und auch gerne lange tanze, beschließe ich eine Pause einzulegen. Sey kommt zu mir und strahlt mich richtig an. Ich glaube, er hat auch viel Freude an unserem kurzen, aber sehr schönen Fest.

"Ma Sey...", frage ich ihn dann spontan: "magst Du es einmal fühlen?" und deute auf meinen Bauch. Das lässt er sich nicht zweimal sagen und so führe ich seine Hand mit den Fingerspitzen an die Stelle unterhalb meines Bauchnabels, wo man die zarten Bewegungen am deutlichsten spüren kann. Ich finde nichts komisches daran, denn schließlich ist er der Olo'eyktan und wir kennen uns schon so lange. Außerdem weiß ich, wie gerne er das bei seiner muntxate (Ehefrau) auch immer gemacht hat. Sein Gesicht und die ganze Körperhaltung verraten mir, wie glücklich er ist.

Dann werden wir beide aber auch müde und beschließen, gemeinsam in die Höhle zu gehen. Obwohl ich müde bin, liege ich dennoch noch eine Zeit lang wach und sehe uns beide um das Feuer tanzen. Es war ein wirklich schöner Tag, den Eywa uns vieren geschenkt hat...

Keine Kommentare :