Montag, 17. Juni 2013

Tsko amip / Ein neuer Bogen

Mawkrr tìpänkxo Ari'lanahu sleyku moel tskoti amip.
(Nach einem Gespräch mit Ari'lana bauen wir einen neuen Bogen.)

Schon sehr früh bin ich heute auf den Beinen. Die Bewegungen meines Babys werden langsam immer stärker, was ich als ein gutes Zeichen deute. Obwohl ich jede Regung in mir als wunderschön empfinde, scheinen sie nun doch so stark zu werden, dass ich davon wach werde. "Srake, ngar lamu hahaw a sìltsan?" ("Hattest Du einen guten Schlaf?"), frage ich zu dem Kind hinunter und streichle über meinen Bauch. Prompt bekomme ich eine Antwort in Form einer ganz sanften Ausbeulung neben meinem Bauchnabel. Eine weiche und saftige Frucht, die ich bei dem Feuer finde, stillt heute Morgen unseren Hunger und Durst. Dann beschließe ich, denn es ist noch alles ruhig und nur vereinzelt sind die ersten Vogelstimmen zu hören, nach dieser merkwürdigen Kreatur Ausschau zu halten.

Ich klettere dazu auf den großen Baum, der auf unserer Höhle steht. Hier oben bin ich gut vor den Blicken meiner möglichen Feinde verborgen, kann aber gleichzeitig alles gut überblicken. Doch es ist still und bis auf einen kleinen Schwarm ayfkio (flamingoähnliche Tiere) nehme ich nichts außergewöhnliches wahr. Daher genieße ich das Alleinsein, wobei ich ja nicht ganz alleine bin. Seit einiger Zeit ist ja ständig jemand bei mir, kommt es mir in den Sinn und ich muss lächeln.

Ein Geräusch dringt in meine Ohren und als ich meinen Kopf wende, sehe ich die kleine Ari'lana, wie sie gerade aus Richtung des Waldes zum Lager kommt und dann neugierig am Flussufer stehen bleibt. Sie scheint im flachen Wasser herum zu spielen, dann höre ich sie etwas sagen. Offenbar versucht sie mit bloßen Händen einen Fisch zu fangen. Ich muss schmunzeln, lasse sie aber gewähren, denn von hier oben kann ich alles genau beobachten.

Ein Aufquieken ihrerseits veranlasst mich dazu, leise zu kichern. Sicher hat sie ein Fisch in ihren Schweif gezwickt, denn sie schaut sich das Ende ihres Schwanzes genau an. Ich frage mich, ob ich zu ihr gehen und es mir anschauen soll, lasse es dann aber bleiben, als mir eine Idee kommt. Ich werde mir heute einmal einen kleinen Spaß mit ihr erlauben...

Lautlos schleiche ich mich also dann, über einen kleinen Hügel kommend, an sie heran und ziehe meinen Bogen, in den ich jedoch keinen Pfeil einlege. Ich pirsche mich an sie heran, als sie gerade die Loreyu (schöne Spirale) betrachtet, die kurz hinter dem großen Torbogen unseres Lagers wachsen. Dann springe ich aus meiner Deckung, um ihr mit dem gespannten Bogen gegenüber zu stehen. So ist jedenfalls mein Plan, den Eywa aber offensichtlich vereiteln will, denn  dummerweise, und dafür hasse ich ihn manchmal, stolpere ich dabei über meinen langen Schweif, kann mich aber gerade eben noch abfangen.

Ari'lana bekommt große Augen, als ich sie anrufe, als würde ich sie nicht kennen: "Halt! Wer bist Du und was willst Du in unserem Lager?" frage ich sie in einem gespielt ernsten und festen Ton. Herunterhängende Ohren, ein schlaff hinter ihr baumelnder Schweif und zwei große, erschreckt schauende Augen, lassen mich vermuten, dass ich sie offensichtlich etwas überschätzt habe. Damit, dass sie von einem zum anderen Moment einfach wegläuft, hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

Ich laufe hinter ihr her, wobei mir die Verfolgung nicht wirklich schwer fällt, denn sie hinterlässt Spuren so weit meine Augen reichen. Zusammengekauert finde ich sie dann auch schon nach kurzer Zeit unter einer großen Wurzel bei einem Baum und es tut mir im selben Moment Leid, sie so viel mehr erschreckt zu haben, als ich es eigentlich vor hatte. Natürlich nehme ich sie gleich in den Arm und tröste sie und es kommt mir so vor, als hätte ich mein eigenes, verängstigtes Kind im Arm.

Nachdem ich mich sehr aufrichtig bei ihr entschuldigt habe, gehen wir gemeinsam zum Lager zurück. Eigentlich ist es schon fast ein Tanzen, wie wir am Waldrand entlang hüpfen und springen und mir fällt ein Stein vom Herzen, dass sie nicht mehr böse auf mich ist.

Im Lager sitzend reden wir dann miteinander und ich erkläre ihr, obwohl ich darüber an sich schon noch recht böse auf sie bin, dass sie sehr leichtsinnig war und dass Ya'rrì (Kxìryas Ikran) jetzt aus genau diesem Grund verwundet ist. Doch an eine Bestrafung denke ich nicht. Viel mehr möchte ich, dass sie ihren Fehler eingesteht und daraus etwas lernt. Daher setze ich ihr genau und vor allem sehr ruhig die ganze Sache noch einmal auseinander. Sie hört mir sehr aufmerksam zu und ich habe fast den Eindruck, mit einer kleinen numeyu (Schülerin) zu sprechen, was mich meine Wut über sie vergessen lässt.

Daher schlage ich ihr eine Art Tausch vor, nachdem sie mich danach fragt, ob sie später einmal einen Bogen bekommen kann. "Wenn Du magst...", beginne ich, "bauen wir zwei jetzt einen Bogen für Dich. Allerdings erwarte ich dann von Dir, dass Du damit achtsam umgehst und dass wir auf Dich vertrauen können, wenn wir...", damit meine ich in erster Linie natürlich Nìm'wey: "Dir etwas sagen oder etwas von Dir verlangen."  Zwei glänzende Kinderaugen schauen mich Freude strahlend an und sie nickt heftig: "Sraaaaaneee!" ("Jaaaaaa!").

Im Wald suchen wir dann gemeinsam nach einem geeigneten Ast, der die richtige Länge und Spannkraft hat und werden auch fündig. Sie bittet mich dann: "Ma Kxìrya, ich möchte, dass mein Bogen genau so aussieht, wie der meines sempu.(Papas). Meinst Du, Du bekommst das hin?"  Nach einem Blick auf das Bild ihres sempul (Vaters), dass sie in unserer Höhle gemalt hatte, stelle ich fest, dass diese Aufgabe nicht leicht werden wird. Aber ich versichere ihr, mein bestes zu geben.

Ari'lana hilft mir, so gut sie kann und sie hat richtig Spaß an dieser Arbeit. Wir schnitzen den Ast zurecht, schleifen ihn dann mit Steinen glatt und ich baue schließlich noch ein Griffstück. Obwohl ich es doch nicht so ganz schaffe, dass ihr Bogen wie der ihres sempul (Vaters) aussieht, ist Ari'lana sichtlich zufrieden, als ich nach langer Zeit dann damit fertig bin. Nun fehlt eigentlich nur noch eine Sehne, von denen ich aber glücklicherweise immer zwei oder drei in Reserve für meinen eigenen Bogen habe.

Beim Aufziehen der Sehne benötige ich jedoch Ari'lanas Hilfe. Zwar reicht meine Kraft gerade so aus, um den Ast zu einem Bogen zu biegen, aber ich spüre die Anstrengung deutlich in meinem Bauch. Das Mädchen schafft es, die  Sehne einzuhängen und zum ersten mal erlebe ich einen so strahlenden Blick eines Kindes, wie ich es bisher noch niemals erlebt habe. Es ist ein so tolles Gefühl, dieses Mädchen so glücklich gemacht zu haben, dass ich es kaum beschreiben kann.

Um das ganze perfekt zu machen, hole ich die große, schwarze Feder, die Sey und ich von dieser merkwürdigen Kreatur geschenkt bekommen hatten. Sie ist einfach bestens zur Verzierung des Bogens geeignet. Jedoch hatte ich sie, als ich die Sehne voehin holte, zusammen mit einem meiner alten Übungpfeile, hinter meinem Rücken unter meinem langen Haar verborgen und hole sie jetzt langsam wieder hervor. 

Ich muss Ari'lana gar nicht erst fragen, ob sie diese Feder haben mag, denn ihre Körpersprache, als sie sie sieht, spricht mehr als tausend Worte. Als der Bogen dann fertig ist, prüfe ich ihn und spanne die Sehne. Dabei allerdings trete ich gleichzeitig, den Spaß lasse ich mir nun doch nicht nehmen, auf ein am Boden liegendes Stück Holz, das beim Zerbrechen ein lautes, knackendes Geräusch verursacht. Ari'lana zuckt verdutzt zusammen, erkennt jedoch im nächsten Moment, dass ich sie veralbern will und beginnt laut zu lachen. Ich gebe ihr dann den Bogen, nicht ohne sie jedoch noch einmal an das Versprechen zu erinnern, dass sie mir gab. Ich vertraue ihr...

Als ich dann schließlich den Übungspfeil, ich mache es bewusst sehr langsam, ebenfalls unter meinen Haaren hervor ziehe, ist ihr Strahlen einfach nicht mehr zu überbieten. Wir verabreden dann, dass sie diesen aber ausschließlich auf das Übungsziel in unserem Lager abschießen darf, wobei immer jemand von uns älteren dabei sein muss. Ari'lana stimmt mir zu und kann es nun nicht mehr aushalten. Sie muss jetzt einfach einmal mit ihrem Bogen schießen und das soll sie auch. Ich glaube nun zu verstehen, wieso Eywa ihr den Weg zu uns gewiesen hat...

Nach diesem ersten Bogentraining, bei dem sogar ich festgestellt habe, dass auch ich wieder öfter einmal üben sollte, fragt die kleine mich dann, ob wir einmal zur Menschensiedlung gehen können. Sie möchte schauen, ob in dem Nest dieses merkwürdigen Tieres vielleicht Eier liegen. Ihr Argument, dass wir dann den Clan eventuell noch mehreren dieser Tiere vorwarnen können, halte ich für sehr überlegt. Sie scheint also doch nicht immer nur herum zu albern...

In der Siedlung angekommen, wobei Ari'lana auf dem ganzen Weg über sehr ruhig und besonnen war und, ebenso wie ich, sehr lautlos und achtsam durch den Wald geschlichen sind, erlaube ich ihr, über die Dächer der Steinhütten zu dem offensichtlich leer stehenden Nest hinauf zu klettern. Da ich diese Hürde im Augenblick nicht überwinden kann, sichere ich Ari'lana, indem ich mit gezogenem Bogen die Umgebung beobachte. Doch das Nest, so berichtet sie mir dann, ist tatsächlich leer. Erleichtert atme ich auf, denn eines dieser Tiere  reicht mir persönlich vollkommen aus.

Hunger lässt uns dann schließlich zum Lager zurück gehen und auch mein Wissen über Dallans Überwachungsgeräte. Sicher haben sie uns beide genau beobachtet und jeden unserer Schritte für Dallan festgehalten. Ari'lana ist recht ruhig, während wir uns über einige Beeren und Früchte her machen. Dann fragt sie mich nach einer ganzen Zeit: "Ma Kxìrya... Kann ich mal zu den Iknimaya (schwebende Felsen) hoch?"  Um sie von dieser nicht ganz ungefährlichen Idee abzubringen erkläre ich ihr, dass ich genau dies in der nächsten Zeit wohl nicht werde tun können, weil das Klettern mich einfach zu sehr anstrengt, allerdings sehe ich ihr deutlich an, dass sie darüber etwas enttäuscht ist.

Ein pa'li (Schreckenspferd), das seit einiger Zeit dicht bei dem Torbogen unseres Lagers nach Futter zu suchen scheint, bringt mich dann auf eine andere Idee, um Ari'lana von dem Gedanken an die Iknimaya (schwebende Felsen) abzubringen. Zusammen nähern wir uns dem Tier und ich bemerke, dass ich damit ihr Interesse geweckt habe. Ari'lana beobachtet jede meiner Bewegungen und wie ich mit dem Tier umgehe und versucht es mir gleich zu tun. Da fa'li (Schreckenspferde) in der Regel jedoch in zumindest kleineren Herden unterwegs sind, finde ich Ari'lanas Frage, wo denn die anderen wohl sein mögen, durchaus berechtigt, kann sie ihr aber nicht beantworten.

Um dies zu ergründen, versuche ich etwas, von dem ich bisher nur weiß, dass Ikrane (Banshees) es können. Damals, auf meiner Suche nach Kee und Sey hatte ich Ya'rrì (Kxìryas Ikran) das Kommando gegeben, alleine zu meinem Clan zurückzufliegen, um den anderen ein Zeichen zu geben. Nun sage ich dem pa'li (Schreckenspferd) über die Verbindung mit meinem Zopf: "Zeig mir Deine Familie, reite nach Hause."  Das Tier setzt sich, nachdem ich Ari'lana hinauf geholfen habe, dann mit uns in Bewegung und wir traben los.

Nach einiger Zeit, langsam färbt sich der Abendhimmel bereits orange und die Sonne scheint am Horizont in ihm versinken zu wollen, erreichen wir das Ufer des Ozeans. Sanfte Wellen brechen sich und laufen dann weich ins Land aus, das Sonnenlicht bricht sich auf der Wasseroberfläche und erzeugt ein wunderschönes Glitzern. Nur von den anderen fa'li (Schreckenspferden ist nichts zu sehen. Darum steigt Ari'lana ab, um nach Spuren zu suchen, während ich vom Rücken unseres Reittieres den Boden absuche.

Ari'lana ist es dann die glaubt, Abdrücke im weichen Boden entdeckt zu haben und sie hat damit auch tatsächlich Recht. Allerdings ist diese Spur bereits einige Tage alt, aber sie stammt von mehreren fa'li (Schreckenspferden), sodass wir vermuten dürfen, dass unser Tier nicht alleine unterwegs ist. Einige Momente genießen wir dann noch den Schein und auch die Wärme der gelbroten Abendsonne, bevor ich Ari'lana dann wieder beim Aufsitzen helfe und wir uns ins Lager zurück bringen lassen, wo ich das Tier dann, nachdem ich mich bei ihm bedankt und es gelobt habe, weiter Futter suchen lasse.

Ari'lana und ich sind müde, heute war ein sehr langer Tag für uns aber es war ein fantastischer Tag, wie ich finde. Als ihr die Augen schließlich zufallen und sie leise schnurrend einschläft, beobachte ich sie noch einige Augenblicke. Obwohl sie schläft, scheint ihr Ausruck immer noch von großer Freude geprägt zu sein.

Einer meiner letzten Gedanken, bevor sich einschlafe, gilt meinem muntxatan (Ehemann) Winataron, den ich trotz der Beschäftigung mit Ari'lana vermisse und für den ich im Stillen ein kleines Gebet zu Eywa spreche....

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