Samstag, 15. Juni 2013

Ioang astxong - Hapxì a'awve / Ein unbekanntes Tier - Teil 1

Oe 'awsiteng Ari'lanahu kä ne ayutral mokriyä fte tsun stivawm sempul sneyä.
(Ari'lana und ich gehen zusammen zu den Stimmenbäumen, um dort ihren Vater hören zu können.)

Wie lange ich nun schon durch den Wald irre, kann ich nicht sagen. Auf alle Fälle ist es mittlerweile tiefe Nacht. In weiter Ferne höre ich die jaulenden und nach Hunger klingenden Rufe eines Nantangrudels (Natterwölfe) und beschließe, für mich und das Baby, das sich seit einiger Zeit nicht mehr regt,  nach einem sicheren Schlafplatz zu suchen. Winataron habe ich, wie ich es beinahe vermutet hatte, nicht gefunden und so werde ich morgen früh wieder zurück ins Lager gehen. Die Nacht verläuft ruhig, auch wenn ich noch lange wach liege. Den Lauten der nachtaktiven Tieren zuhörend, schlafe ich dann aber endlich irgendwann ein...

Ich fühle mich schlapp und ausgezehrt, als ich aufwache und spüre noch ein Gefühl, das ich bisher so nicht kannte in mir und das ich nicht näher beschreiben kann. Ist es Unsicherheit?  Ist es Angst?  Vielleicht ist es aber auch eine Art  Hoffnung?  Das Baby wird fast von Tag zu Tag stärker und im Moment ist es etwas, an das ich mich irgendwie klammere, weil ich mich so unendlich darauf freue. An einem kleinen Bach mache ich mir aus Beeren und einigen Kräutern etwas zum Essen, dann marschiere ich den weiten Weg zurück zu unserer Höhle, wo ich auf Dallan, Ma'wey und Ari'lana treffe..

Allerdings ist meine Begrüßung eher müde, obwohl ich mich sehr freue, Ma'wey einmal wieder bei uns zu sehen. Unweigerlich muss ich einen Augenblick lang an Txuratxan denken. Dallan scheint zu bemerken, dass ich heute ein wenig bedrückt bin. Ari'lana zeigt mir mit glänzenden Augen eine ihrer neuen Höhlenmalereien und erklärt mir, dass sie ihren sempul (Vater) dort verewigt hat, den sie sehr lieb hat, von dem sie aber nicht weiß, wo er ist. Sie nimmt an, dass er zu Eywa gegangen ist, da er einst nicht von einer Jagd zurück kehrte. Ich schlage ihr vor, mit ihr zu den Stimmenbäumen zu gehen.

Sie ist von der Idee begeistert, erklärt mir jedoch, dass sie sich noch nie mit einem Baum verbunden hat. Also marschieren wir los, damit ich es ihr zeigen kann. Anfangs ist sie noch eher zurückhaltend und scheint unsicher zu sein. Ich muss an mich selber denken. Als meine sa'nu (Mama) mich zum ersten mal mit zu einem Stimmenbaum nahm, war es mir auch zuerst etwas mulmig zumute.

Ich erkläre Ari'lana ganz genau, was ich mache und dann verbindet sie sich schließlich auch mit dem Baum und wir hören nach einer Weile Gesänge, Stimmen und andere Geräusche. Sind die Bilder anfangs noch sehr schemenhaft, werden sie nach und nach klarer. Ich spüre Ari'lanas Anwesenheit und glaube nach einer Weile sogar weit entfernt auf meinen Ruf nach Ari'lanas sempul (Vater) eine Antwort zu bekommen.

Dann jedoch passiert etwas, das auch ich bisher noch niemals erlebt habe Alle Geräusche verstummen plötzlich, die Bilder verblassen und der Baum schickt uns eine Art Warnung. Ein Gefühl von Gefahr und mein erster Gedanke ist, so schnell wie möglich weg von hier ins Lager zu laufen. Ari'lana scheint es auch zu spüren, denn wir lösen unsere Verbindung fast gleichzeitig und sehen dann direkt über eine Gestalt, die ich so noch nie gesehen habe. Ist es ein Tier?  Was will es von uns?  Dies sind meine ersten Gedanken.

Mir läuft ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter, als dieses... Ding... uns laut ankreischt. Sofort stelle ich mich schützend vor Ari'lana, als es dann inmitten der Stimmenbäume direkt vor uns landet und ziehe meinen Bogen. Freundlich scheint diese Kreatur nicht zu sein und, um Ari'lana die Flucht zu ermöglichen, lenke ich durch lautes Rufen und Winken die Aufmerksamkeit des Tieres auf mich. "Lauf in die Höhle!", rufe ich Ari'lana zu, doch sie reagiert zu meiner Verwunderung nicht.

Als sie selbst nach mehrmaliger Aufforderung nicht tut, was ich von ihr verlange, bin ich ein wenig ratlos und auch verärgert. Ich kann mich nicht auf zwei so unterschiedliche Dinge gleichzeitig konzentrieren, aber was soll ich machen?  Nach einer Weile erhebt das Tier sich wieder, wobei mir durch seine kraftvollen Flügelschlage Laub, kleinere Äste und Steinchen entgegenprasseln. Dann fliegt es davon.

Ich schnappe mir Ari'lana, um zur Höhle zurück zu laufen, doch weit kommen wir nicht, denn ein Stück weit vor unserem Lager scheint diese Kreatur nur auf uns zu warten. Diesmal gehorcht Ari'lana, allerdings muss ich sie gegen meinen Willen anfauchen: "Geh sofort in die Höhle!"  Dann stehen wir uns gegenüber, diese inzwischen wieder gelandete Kreatur und ich. Was soll ich jetzt tun?

Richtig sauer werde ich innerlich, als ich dann, es mögen nur einige Momente vergangen sein, Ari'lana über einen kleinen Hügel, genau auf dieses Tier zuschleichen sehe. Wieso bringt sie sich und auch mich so in Gefahr?  Doch ich habe diesen Gedanken nicht zu ende gedacht, da passiert es auch schon. Die Kreatur stürzr sich auf Ari'lana und für einen Augenschlag befürchte ich, dass jede Reaktion meinerseits zu spät wäre. Doch das Tier hat die Kleine nur mit ihren großen Klauen umklammert und fliegt mit ihr davon. Ein Gedanke beherrscht mich von diesem Moment an: "Hilf Ari'lana!"

Ich rufe nach Ya'rrì (Kxìryas Ikran) und noch ehe er richtig gelandet ist, verbinde ich mich mit ihm und jage diesem Tier hinterher. Doch ich sehe es nirgendwo. Wir drehen einige weite Schleifen dicht über dem Wald, fliegen über den Baum der Seelen hinweg und ein Stück weit über den Ozean. Doch weit und breit ist nicht die geringste Spur zu erkennen. In der Menschensiedlung entdecke ich dann eine Art Nest. Es ist riesig groß. Hier scheint dieses Tier wohl zu wohnen. Doch das Nest ist leer. Ich bekomme Angst um Ari'lana und ignoriere die Bewegungen meines Babys, das sich schon seit einiger Zeit in mir regt.

Laute und zum Teil verängstigte Schreie von weit über mir geben mir dann den Anstoß, hinauf zu den Iknimayabergen (schwebende Felsen) zu fliegen. Dann plötzlich sehe ich es wieder. Ari'lana in seiner Klaue haltend fliegt es dicht über mich hinweg und sofort nehme ich wieder die Verfolgung auf. Ein paar mal könnte ich es leicht mit dem Bogen angreifen, doch wenn es abstürzt, stürzt die Kleine ebenso, sage ich mir und lasse es lieber.

Offenbar hat die Kreatur uns nun auch entdeckt und kommt direkt und dabei laut kreischend auf uns zu geflogen. Ein wilder und gefährlicher Luftkampf entbrennt zwischen uns. Ya'rrì (Kxìryas Ikran) schreit laut auf, als das Tier ihn mit seinem scharfen und spiten Schnabel am Schwanz erwischt und ihn dort verletzt. Einen Moment lang spüre ich seinen Schmerz. Doch wir geben nicht auf: "Du oder ich!", höre ich mich energisch rufen und jage ihm nach. Nach einigen erfolglosen Attacken meines Ikrans (Banshee) gelingt ihm dann ein sehr guter Angriff und wir verletzen das Tier so schwer an einem Flügel, dass es stark blutet. Es schreit ohrenbetäubend laut auf und für einen Moment habe ich Angst, dass es Ari'lana einfach nur fallen lässt.

Doch stattdessen fliegt es wieder zu den Iknimayabergen (schwebende Felsen) hinauf und setzt dort schließlich die Kleine einfach auf einem der kleineren Felsen ab, um dann davon zu fliegen. Mich nicht weiter um die Kreatur kümmernd, lande ich bei ihr und nehme sie zuerst einmal in den Arm. Ich bin so unendlich glücklich, dass sie unverletzt ist. Aber ich bin auch etwas wütend auf sie, denn wäre sie in der Höhle geblieben, wäre all dies voraussichtlich nicht passiert.

Im Lager angekommen, ruhe ich mich einen Moment lang aus, denn die ganze Aktion hat mich sehr viel Kraft gekostet. Meine Pause wird jedoch jäh durch einen erneuten Zwischenfall unterbrochen. Wir hören einen lauten Krach, der aus dem Wald kommt, dann ein lautes Krächzen und dann ist es still. Ari'lana läuft gleich wieder los und alle meine sie zurückhaltenden Rufe verhallen ungehört. Ich muss mit Sey reden, sage ich mir in diesem Moment, denn so gern ich Ari'lana auch habe, so wütend bin ich jetzt auf sie.

So eile ich ihr hinterher und finde sie dann mitten im Wald, wo sie mit Dallan, der neben einem seiner umgekippten Fahrzeuge steht, vor der offenbar schwer verletzten Kreatur steht. Das Tier liegt auf dem Rücken und scheint sich nicht richtig bewegen zu können. Dallan erklärt mir knapp, dass es vor sein Fahrzeug geflogen wäre, was dieses dann zum Umfallen gebracht habe. Er hält seine Waffe im Anschlag und zielt genau auf den Kopf der Kreatur, die ihn sehr angriffslustig anstarrt.

Etwas ratlos, was wir denn nun machen sollen, stehen wir vor diesem Tier und erst jetzt kann ich es mir richtig anschauen. So etwas habe ich wirklich noch niemals gesehen und ich frage mich wieder, woher es wohl kommen mag und was es von uns will?  Ari'lana fragt mich dann, ob ich mir die Verletzungen des Tieres einmal anschauen könne, wobei ihr jedoch entgeht, dass ich mich alles andere als fit fühle. Sie rennt dann los und holt entgegen aller zurufe von Dallan und mir eine Wasserschale um diesem Tier etwas zum Trinken zu geben.

Ich bin einfach nur ausgelaugt und auch die stärkenden Wurzeln, die ich mir inzwischen besorgt habe, werden mir allenfalls den Rückweg zum Lager erleichtern. Es dauert eine ganze Zeit, bis das Tier es dann schafft, sich auf seine Klauen zu stellen. Zum ersten mal habe ich nun den Eindruck, dass es genau spürt, wenn wir uns ihm gegenüber aggressiv verhalten. Genau dann nämlich wird es auch sehr angriffslustig. Senken wir unsere Waffen, wird es fast augenblicklich ebenfalls ruhiger. Aber dies kann auch täuschen...

Urplötzlich und ohne erkennbaren Grund erhebt sich das Tier dann und fliegt in Richtung der Menschenbasis davon. Ich bin darüber mehr als erfreut und wir nutzen die Gelegenheit, um in unser Lager zurück zu gehen. Eigentlich will will ich jetzt gleich mit Ari'lana reden und ihr sagen, dass mir ihre vielen Aktionen heute gar nicht gefallen haben, doch ich bin einfach nur todmüde und lege mich einfach am Feuer nieder, nachdem ich noch schnell etwas gegessen habe.

Aber ich nehme mir vor, dies alles mit Sey und auch Kee sehr eindringlich zu besprechen. Ari'lana ist, wie ich finde, alt genug und hat zu viele schlechte Dinge erlebt, dass sie solche Situationen zumindest ein klein wenig einschätzen können sollte.

Bevor ich jedoch einschlafe, widme ich mich jetzt endlich noch ein paar Augenblicke meinem Kind zu, dem ich heute so gut wie keine Aufmerksamkeit schenken konnte.

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