Sonntag, 2. Juni 2013

Titaron asìltsan! / Gute Jagd!

Tìfmetok asyen: Tìtaron oeyä Olo'eyktanhu.
(Letzte Prüfung: Meine Jagd mit dem Olo'eyktan.)


Etwas aufgeregt bin ich schon, als ich Kxìrya und Nìm'wey heute vor der Höhle antreffe. Doch dann steigt mir irgendein angenehmer Geruch in die Nase und ich gehe auf die kleine Feuerstelle zu, an der normalerweise die Heiler immer ihre Tränke, Tees, Salben und Pasten zusammenrühren. Heute scheint Kxìrya jedoch etwas besonderes zu kochen und ich bin innerlich schon sehr gespannt darauf, denn ich rieche deutlich das Fleisch des Yeriks (hirschähnliches Tier), das ich erst gestern erlegt hatte.

Ich komme kurz mit den beiden ins Gespräch und, da heute meine Jagd bevorsteht, die ich zusammen mit Sey, dem Olo'eyktan (Clanführer) bestreiten werde, spreche ich natürlich von diesem Thema. Dabei interessiert mich, ob es Nìm'wey Schwierigleiten bereitet, zur Jagd zu gehen. Ich kann es mir nämlich überhaupt nicht vorstellen, wie ich das mit nur einem Auge machen könnte. Zielen, so stelle ich es mir vor, muss doch mit nur einem Auge sehr schwierig sein. Nìm'wey entgegnet mir jedoch lächelnd, dass sie sich daran gewöhnt habe und dass sie genau so gut Bogen schießen kann, wie jeder andere auch. Ich bewundere sie dafür irgendwie.

Nìm'wey hat jedoch heute wohl noch etwas anderes zu tun und verabschiedet sich von uns. Dann erscheint Sey. Er kommt auf einem pa'li (Schreckenspferd) ins Lager geritten und will dann auch nach der Begrüßung gleich mit mir los. Ich überprüfe noch einmal meinen Bogen, dann gehen wir in Richtung des Waldes und Sey weist mich an, dass ich die Führung übernehmen soll. Ein komisches Gefühl, denn mir wird bewusst, was für eine Verantwortung auf mir lastet. Für diesen Moment bin ich froh, dass nur Sey dabei ist und nicht etwas irgendein 'eveng (Kind, Jugendlicher) oder numeyu (Schüler).

Zunächst verläuft die Jagd eher ruhig. Ich beobachte alles, was meine Augen erblicken, versuche jedes auch noch so leise Geräusch zu identifizieren und schleiche lautlos und immer wieder mit beiden Händen tastend über den weichen Waldboden. Sey und ich reden kein Wort miteinander, wir benutzen ausschließlich Gesten, um uns zu verständigen. Von einer kleinen Anhöhe aus verschaffe ich mir dann zunächst  einen guten Überblick, aber außer einigen Ikranen (Banshees) und den Tieren in der näheren Umgebung höre ich nichts.

Um meine eigene Witterung vor anderen Jägern zu verbergen, kommt mir die Idee, meinen ganzen Körper mit Matsch einzureiben, den ich am Ufer des nahen Flusses finde. Sey scheint darüber etwas überrascht zu sein, lässt mich jedoch gewähren. Sey bleibt, als wir lautlos weiter schleichen, hinter mir und verfolgt jede meiner Bewegungen genau.

Dann wittere ich deutlich die Fährte einiger Yeriks (hirschähnliche Tiere) und gebe Sey ein Zeichen. Nach einer Weile bin ich so dicht an den Tieren, dass ich mich schon sehr dumm anstellen müsste, um daneben zu schießen. Aus meiner Deckung ziele ich mit straff gespanntem Bogen auf eines der insgesamt drei Tiere. "Du gehörst mir!", fährt es durch meinen Kopf. Dann entspanne ich jedoch die Sehne und schleiche nach einem Moment zurück zu Sey, der mich im ersten Augenblick mehr als überrascht anstarrt.

Noch bevor er mich fragen kann, was ich denn da mache und weshalb ich wohl nicht geschossen habe, erkläre ich ihm flüsternd, dass ich keinen einzigen Moment daran gedacht habe, heute irgendein Tier zu erlegen, da ich gerade gestern ja noch Beute gemacht hatte. Seys Lächeln sagt mir in diesem Moment mehr als alles andere. Er hat verstanden. Dann gehen wir, nachdem ich mir den inzwischen getrockneten Matsch vom Körper abgewaschen habe, zurück zum Lager.

Kxìrya steht immer noch an der Kochstelle und ist offenbar immer noch sehr emsig damit beschäftigt, in dem Eintopf, den sie vorhin schon mit Nìm'wey zusammen gekocht hatte, zu rühren. "Kaltxì, ihr beiden. Wie war die Jagd? Ihr seit bestimmt hungrig.", ruft sie uns zur Begrüßung freundlich entgegen. Auf ihre Bitte hin bringe ich ihr schnell einige leere Schalen und setzte mich dann mit Sey ans Feuer. Ein wenig spüre ich nun doch die Anstrengung der Jagd. Kxìrya kommt dazu und wir genießen erstmal das überaus üppige und gut gewürzte Mahl. Kxìrya ist sehr neugierig zu erfahren, wie denn unsere Jagd verlaufen ist, doch Sey und auch ich lassen sie etwas zappeln. Ich verstehe sie, denn sie wusste ja, dass der Olo'eyktan (Clanführer)  heute meine Fähigkeiten Spuren zu lesen überprüfen wollte. Sey schaut jedoch zunächst nur zu den Iknimaya Bergen (schwebende Berge) hinauf und nickt uns mit einem vielsagenden Ausdruck zu. Dann, und diese Worte werde ich wohl niemals mehr im Leben vergessen, sagt er nur zwei Worte, die jedoch mehr Dankbarkeit, Respekt, Freude und auch Stolz nicht hätten ausdrücken können. Nachdem er mich einige sehr lange Momente, scheinbar ohne jegliche Gefühlsregung angeschaut hat, sagt er schließlich: "Gute Jagd!"

Kxìrya, die wohl genau die Bedeutung dieser Worte kennt, umarmt mich, was sie bisher noch niemals getan hat und sagt: "Hey, ma Txu. Du hast es geschafft!", doch wissen wir drei, dass es noch eine ganz gewaltige Hürde für mich zu nehmen gilt: Das Iknimaya (Prüfung für Jäger und Krieger). Ganz zu schweigen von dem Uniltaron (Traumjagd), das dann später vielleicht noch folgt, um mir meinen festen Platz im Clan der Rey'engya zu sichern.
Sey erklärt Kxìrya dann, sie hatte noch ein paar mal danach gefragt, dass ich, obwohl ich eindeutig die Chance dazu hatte, mein Beutetier nicht erlegt habe, sondern es habe leben lassen. Allerdings scheinen die beiden gleichermaßen auch ein klein wenig überrascht darüber zu sein. Jedenfalls erklären sie mir, dass die meisten Jägeranwärter ihrem Jagdfieber erlägen und ihre Beute auch fast immer töten würden. Irgendwie ist es zwar verständlich, doch ich habe es nicht anders gelernt. Auf meinen langen Reisen mit meinem Bruder Nay haben wir immer nur soviel Beute gemacht, wie wir zum Überleben brauchten. Sey scheint sich genau über dieses Verhalten viel mehr zu freuen, als über die schönste Beute oder das herrlichste Fell. Dies glaube ich an seinem gesamten Ausdruck und seiner Körpersprache deutlich feststellen zu können.

Aber etwas habe ich dennoch in all dem Trubel um diese Jagd vergessen, fällt es mir dann plötzlich ein. Eigentlich wollte ich Kxìrya noch eine kleine Freude machen und ihr von den Kräutern, die ihr gegen ihren Schwindel helfen, einige mitbringen, da ich nun schon einmal im Wald war. Sie lacht nur darüber, bedankt sich aber dennoch dafür, dass ich zumindest daran gedacht habe.

Plötzlich und für mich etwas unerwartet verabschiedet sich Sey dann und meint, er wolle zum Baum der Seelen gehen. Vermutlich will er der großen Mutter für die erfolgreiche Jagd danken. Ich fühle mich jedoch sehr müde und so begleite ich Kxìrya nach oben, wo wir uns in unsere Cocons legen.Ich werde morgen zu Eywa gehen...

Als ich Kxìrya in ihrem Cocon liegen sehe und beobachte, wie ihre Hände über ihren Bauch streichen, würde ich sie am liebsten fragen, ob ich vielleicht einmal fühlen darf. Aber es steht mir einerseits nicht zu und andererseits empfinde ich eine solche Bitte zu aufdringlich. Trotzdem ist es ein schönes Gefühl, eine werdende sa'nok (Mutter) zu beobachten und zu sehen, wie glücklich sie ist. Eywa möge sie beschützen...



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