Dienstag, 18. Juni 2013

Ioang astxong - Hapxì amuve / Ein unbekanntes Tier - Teil 2

Dallanil, Seyli sì oel ke tsun tslivam tsawla fìioangit atsxong.
(Dallan, Sey und ich können dieses große, merkwürdige Tier nicht verstehen.)
Der Tag beginnt eben und ich spüre, wie die ersten Sonnenstrahlen, die durch eine Öffnung in unserer Höhle fallen, meinen Rücken erwärmen. Mein Kind macht sich ebenfalls bemerkbar. Ich liebe dieses Gefühl, so sanft, so vorsichtig geweckt zu werden. "Rewon lefpom ma hì'ia yawntu oeyä." ("Guten Morgen, mein kleiner Liebling."), flüstere ich meinem Liebling zu und bekomme prompt eine Antwort in Form eines kleinen Hiebes gegen meine Bauchdecke. Auf meinem Lager liegend esse ich ein paar Beeren, ehe ich mich dazu entschließe, dem nachzugehen, was ich vor ein paar Tagen im Ozean gesehen hatte, als ich mit Ari'lana die fa'li (Schreckenspferde) gesucht hatte.

Der Ritt zum Meer hin verläuft ohne Zwischenfälle, sieht man mal von einem schmalen Pfad ab, bei dessen Überquerung mein pa'li (Schreckenspferd) ein wenig abrutscht und wir beide aufpassen müssen, aber es geht alles gut. Dann stehe ich am Ufer des riesigen Ozeans.

Die Sonne steht inzwischen etwas höher und es ist nun auch deutlich wärmer geworden. Das glitzernde, sich in den leichten Wellen spiegelnde, gelblich rote Sonnenlicht blendet meine Augen etwas. Dann sehe ich es aber deutlich. Nicht weit unter der Wasseroberfläche gibt es tatsächlich so etwas, das aussieht wie die großen Feuerberge, nur deutlich kleiner. Der aus ihnen aufsteigende, dichte Rauch erzeugt dunkle Blasen, die recht schnell zur Wasseroberfläche aufsteigen, um dort inmitten der Wellen zu zerplatzen. Dicht über dem Wasser schwebt eine dunkle Wolke, die sich jedoch sehr schnell im leichten Wind verflüchtigt. Zu dumm, dass ichdurch das reflektierende Sonnenlicht keine Einzelheiten unter der Wasseroberfläche erkennen kann...

Ich beschließe, den anderen davon zu berichten und reite daher auf dem schnellsten Wege zurück zum Lager, wo ich auf Kee'lanee, die Tsahìk (spirituelle Clanführerin) treffe, die gerade dabei ist etwas zu kochen. Sey ist auch da und wir drei begrüßen uns. Der Olo'eyktan (Clanführer) und ich sind dann sehr neugierig, in was Kee denn da rühren mag und versuchen es zu erraten. Gut, ich als Heilerin habe Sey gegenüber einen kleinen Vorteil, denn meine Nase ist vielleicht doch etwas feiner als seine, da ich ja oft feine Unterschiede beim Zusammenbrauen von Heilmitteln heraus riechen muss. Andererseits ist Sey ein ausgezeichnter Jäger und wittert nahezu jede auch noch so schwache Fährte...

Doch wir raten beide gleich schnell, dass es offenbar ein Eintopf werden soll. Ein Eintopf mit Pilzen, präzisieren wir unsere Vermutung nahezu im selben Moment. Kee muss lachen, nickt aber dann und erklärt uns, welche Zutaten ihr Gericht beinhaltet. Allerdings wirkt meine Freundin etwas in Gedanken versunken, denn sowohl einige meiner Fragen, als auch Fragen von Sey beantwortet sie eher ausweichend oder gar nicht. Ob sie etwas bedrückt?

Am Feuer sitzend essen wir dann. Kees wutso (Mahlzeit) ist einfach erstklassig, wenn auch anfangs noch etwas zu heiß. Wir laden dann Dallan dazu ein, der kurze Zeit später ebenfalls an der Feuerstelle erscheint und unterhalten uns. Dabei spreche ich dann auch die Feuerberge an, die ich im Ozean entdeckt habe. Doch ich habe den Eindruck, dass das, was ich zu berichten habe, eher als unwichtig eingestuft wird. Kee ist immer noch irgendwie in Gedanken versunken, was ich daran bemerke, dass Sey sie mehrmals anspricht, sie jedoch nicht so wirklich darauf reagiert. Was mag sie haben...?

Als sie dann, etwas überraschend für uns, plötzlich aufsteht und sich verabschiedet, glaube ich Sey ansehen zu können, dass er darüber betrübt ist, denn ich weiß, wie sehr er sie liebt. Trotzdem haben wir keinen Grund, uns nicht freundlich von ihr zu verabschieden und ihr eine gute Nacht zu wünschen. Gedanken mache ich mir aber schon und auch Sey scheint immer mehr in seine Gedanken zu verfallen, denn er wird zusehends ruhiger.

Es entsteht jedoch für kurze Zeit ein sehr interessantes Gespräch, als Dallan diese Bilderfalle (Tablet) heraus kramt und uns Bilder von dem Nest zeigt, das dieses merkwürdige, große Tier, das wir vor einigen Tagen entdeckten, in der Menschensiedlung gebaut hat. Auf einigen Bildern sind, was mich nicht weiter verwundert, auch Ari'lana und ich zu sehen. Sey ist über die Technik der Menschen einerseits vielleicht ein wenig erfreut, weil sie viele Möglichkeiten bietet, andererseits stimmt es ihn aber auch sehr nachdenklich. Mich übrigens auch. Dallan fragt dann, ob wir es ihm überhaupt erlauben, dass er innerhalb unseres Lagers solche Geräte benutzt und so reden wir darüber. Einerseits benötigt er einige dieser Geräte, um überleben zu können, andererseits, und dies sagen Sey und ich ihm klar, sind wir nicht sehr glücklich darüber, dass unsere Kinder damit aufwachsen sollen. Wozu auch?  Wir haben alles, was wir brauchen. Waffen, Nahrung, Eywa versorgt uns mit allem Nötigen und wir sind glücklich mit dem, was wir haben.

Während dieses Gespräches beschäftige ich mich immer wieder mit meinem Baby, welches, glaube ich zu spüren, sehr wach ist und mir mit seinen Bewegungen zeigen will: "Hallo, ich bin auch noch da."  Doch ein Geräusch lässt Sey dann zuerst wachsam werden und aufstehen, Dallan folgt ihm nur Augenblicke später zu dem kleinen Hügel bei unserer Feuerstelle. Beide haben ihre Waffen gezogen und so husche ich den beiden schnell hinterher, um ebenfalls in Deckung zu gehen.

Dann sehen wir es: Dieses merkwürdige Tier ist wieder da und es steht bei unserem Torbogen. Doch es verhält sich so ruhig, als würde es auf etwas warten. Sind wir es? Wir beobachten es eine Weile lang und sehen dann mit an, wie es direkt auf unser Feuer zugeht. Seine riesigen Krallen drücken sich in unsere Felle, auf denen wir sonst immer sitzen. Einige Becher und Schalen fallen um, doch die Kreatur bewegt sich, wie ich zu erkennen glaube, sehr vorsichtig. Ich habe fast den Eindruck, sie ist geradezu darauf bedacht, möglichst nichts zu zerstören. Sie scheint es nur auf das Yerikfleisch (hirschähnliches Tier) abgesehen zu haben, das am Feuer liegt, denn sie schnüffelt daran.

Wir schauen uns ratlos an, nicht wissend, wie wir uns verhalten sollen. Wir wissen, dass wenn wir unsere Waffen ziehen, das Tier aggressiv wird. So lege ich deutlich sichtbar meinen Bogen ab und gehe zwei Schritte auf es zu. Sey warnt mich mit Gesten und flüsternden Rufen. Es ist nur ein Wort, das mir schließlich und von einem zum anderen Moment in meine Gedanken gerufen wird: Ta'weyka.
Dann erinnere ich mich, woher ich dieses Wort zu kennen glaube. Als ich vor einigen Tagen mit Ari'lana bei den Stimmenbäumen war, warnte uns der Baum, mit dem wir verbunden waren, als diese Kreatur dort plötzlich auftauchte. Es war keine Stimme, die ich hörte, eher ein Gefühl, die in mir dieses Wort formten. Nicht wissend, was ich damit anfangen sollte, vergaß ich es dann wieder, bis jetzt...

Da wir immer noch ratlos und gleichermaßen überrascht sind, dass diese Kreatur direkt bei unserem Feuer steht, spreche ich dieses Wort, allerdings mehr als vorsichtig und zugleich auch angespannt aus: "Ta'weyka!"  Sey und Dallan schauen mich verdutzt an. Seys sehr mahnender Blick entgeht mir nicht. Aber was sollen wir machen?  Rumstehen und zuschauen?

Zugegeben, ich erschrecke mich etwas und weiche ein Stück zurück, als das Tier mich dann anschaut. Hat es mich verstanden?  Ist Ta'weyka möglicherweise sein Name?  Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. Möge man mich für verrückt, leichtsinnig , verspielt oder kindisch halten, aber ich spreche das Wort nochmals aus und mache in Richtung des Tieres das Zeichen Eywas: "Ma Ta'weyka!" Verstehen kann ich mich gerade selber nicht. Warum tue ich das?  Was veranlasst mich, so zu dem Tier zu sprechen?

Das Tier kommt wieder ein Stück auf mich zu und als Dallan sich urplötzlich dem Tier an den Hals klammert, rufe ich ihn sehr energisch zurück: "Rä'ä ma tsamsiyu!" ("Hör auf, Krieger!")  Das Tier schüttelt ihn jedoch ab, als wäre er ein kleines Blatt, dessen man sich durch Kopfschütteln aus seinen Haaren entledigt, sodass Dallan ein gutes Stück weit über den Boden rollt. Dann stampft es mit seinen großen Klauen direkt auf ihn zu. Seine Absicht scheint klar zu sein. Sey ist es dann, der, und ich glaube, er handelt ebenso intuitiv wie ich, es laut, aber auch bittend anruft: "Rutxe rä'ä ma Ta'weyka!" ("Hör bitte auf, Ta'weyka!")

Ta'weyka, so merkwürdig das ganze auch ist, scheint Seys Ruf zu folgen, denn es lässt von Dallan ab und wendet sich wieder mir zu. "Wieso ich?", frage ich Sey halblaut: "Was will es ausgerechnet von mir?"  Natürlich erwarte ich keine Antwort von Sey, denn wie soll er das wissen können?  Die Kreatur bewegt sich wieder auf mich zu und bleibt dann dicht vor mir krächzend stehen. Sie senkt den Kopf leicht schräg ab und ihre ganze Körperhaltung scheint mir sagen zu wollen: "Los, nun steig schon auf, wenn Du fliegen willst."

Wieder schaue ich Dallan und Sey ratlos an. "Ich?  Fliegen?", frage ich Sey und schüttle dann den Kopf: "Mit diesem Tier?  Nein, niemals!". Sey sagt im selben Augenblick das selbe: "Ma Kxìya, denk an Dich und Dein Kind!", wobei sein Ton sehr mahnend ist. Natürlich kommt das nicht in Frage, aber was soll ich tun?  Habe ich es, weil ich es bei seinem Namen gerufen habe, vielleicht unwissentlich dazu aufgefordert?  Wird es gekränkt sein, wenn ich nicht mit ihm fliege?  Und was dann?  Wird es mich vielleicht angreifen?  Wo wird es mit mit hin fliegen?

Mein Puls schlägt wie wild und ich spüre, dass mein Kind das ebenfalls genau merkt, da es abrupt ruhig wird und seine Bewegungen einstellt. Um nun irgendwas zu machen, Sey und Dallan haben auch keine wirkliche Idee, was nun zu tun ist, fange ich an, mich spielerisch vor dem Tier zu bewegen. Ich breite meine Arme wie Flügel aus, gehe in die Hocke, laufe ein paar Schritte und beobachte, wie Ta'weyka sich verhält.

Unser Erstaunen nimmt zu, während unsere Angst, Ta'weyka würde einen von uns angreifen, etwas sinkt. Doch unser Respekt vor diesem Tier bleibt, ebenso wie unsere Wachsamkeit. Als sich das Tier dann laut kreischend und mit mächtigen Flügelschwingen in die Lüfte erhebt, atmen wir alle drei sehr erleichtert auf. Doch unsere Erleichterung hält nur für einen Moment, denn es landet nach einer Runde um unser Lager herum wieder direkt vor mir. Jedoch sehr vorsichtig und immer bedacht darauf, niemanden von uns auch nur zu berühren.

Immer noch ratlos, überrascht und auch gewissermaßen etwas hilflos sehen wir zu, wie das Tier meinen Bewegungen folgt. "Will es spielen?" fragt Sey schließlich und ich glaube, damit könnte er Recht haben, trotzdem bleiben wir aber wachsam. Was ist Eywas Plan?  Wozu schickt sie uns dieses Tier?  Fragen, die wie ich glaube, uns drei gerade beschäftigen, auf die wir aber wohl keine Antworten bekommen werden.

Dann wirbeln plötzlich Laub, kleinere Äste und Steine umher, als  Ta'weyka mit langen und sehr kraftvollen Flügelschwingen vom Boden abhebt. Auch dabei kann man eine Art von Vorsicht nicht verleugnen. Das Tier scheint genau zu wissen, was es tut und scheint bedacht darauf zu sein, uns nicht ein Härchen zu krümmen. Dann ist es in Richtung der Menschensiedlung verschwunden und wir bleiben, immer noch ratlos und verdutzt zurück und schauen uns gegenseitig an.

Dallan verabschiedet sich dann und auch ich spüre, dass ich müde werde. Sey und ich sprechen dann, als wir alleine sind und uns bereits voneinander verabschiedet haben, nahezu gleichzeitig das selbe Wort aus: "Nantang?!" ("Natterwolf!")  Sind es seit seinem Uniltaron (Prüfung für Jäger und Krieger) die Nantangs (Naterwölfe), die ein Teil seines Lebensweges ausmachen und ihn begleiten, so könnte es fast den Anschein haben, dass dieses Tier, Ta'wekya, es in dieser Richtung auf mich abgesehen hat. Doch ist dies eine reine Vermutung. Allerdings eine, die zur selben Zeit durch Seys und meinen Kopf geht...

Obwohl todmüde, kann ich einfach noch eine lange Zeit nicht einschlafen. Ich denke über dieses Tier nach. Doch so sehr ich auch darüber nachgrüble, beinahe alles an dieser Sache ist unglaublich, unfassbar und erzeugt in mir die unterschiedlichsten Gefühle von Angst und Vorsicht über Freude bis hin zu Freundschaft und Liebe. An Winataron denke ich noch und schicke ihm einen leisen Gruß, dass ich ihn liebe, dann schlafe ich endlich ein...



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