Dienstag, 11. Juni 2013

Sì'o' evengä / Kinderspäße

Ari'lanahu 'awsiteng oe kä na'rìngne fte tìng nari mefrrnenur Yerikä.
(Ich gehe zusammen mit Ari`lana in den Wald, um die beiden Yerikbabys zu anzuschauen.)

Wo bin ich?  Dies ist die erste Frage, die ich mir stelle, als ich blitzartig und mit schnellem Pulsschlag hochschrecke. In meinem Bauch gibt es einige heftige Bewegungen und ich spüre etwas sehr kaltes an meinem Kopf. Erst nach einem Augenblick realisiere ich, dass ich an der Feuerstelle bin. Dallan, Sey und ich hatten hier nach unserem Fest geschlafen, aber was bei Eywa ist jetzt schon wieder los? Dann höre ich eine Kinderstimme laut kichern und begreife langsam. Ari'lana hat mich etwas unsanft aufgeweckt, indem sie mir eine große Wasserschale über meinen Kopf geschüttet hat. Im ersten Augenblick bin ich sehr verärgert über diesen Spaß, versuche aber, es ihr gegenüber nicht zu zeigen.

Ganz bewusst schüttle ich dann sehr heftig das Wasser aus meinen langen Haaren und zwar genau so, dass Ari'lana sehr viele Spritzer abbekommt. Einige Wassertropfen verdampfen zischend im Feuer. Die kleine schüttelt sich heftig und ich denke belustigt: "So, das war Deine Strafe!" Dann schaue ich sie aber an und irgendwie kann ich ihr nicht böse sein. Ich selber mache ja auch gerne solche Späße, wovon insbesondere Sey berichten kann...

Damit Ari'lana versteht, warum man so etwas nicht bei einer Frau machen soll, die ein Kind bekommt, erkläre ich es ihr sehr ruhig: "Ma  Ari'lana, ich muss Dir einmal etwas erklären."  Ihre etwas herab hängenden Ohren, die gesenkten Schultern und ich sehr leises, aber dennoch aufrichtiges: "Entschuldigung!" sprechen eine eindeutige Sprache. Ich erkläre ihr dann, dass ich bald ein Baby bekommen werde und dass es nicht gut ist, wenn man mich dann erschreckt. Weiter führe ich aus, dass es besonders mit einem solchen Spaß, der einen im Schlaf überrascht, dem Kind und auch mir großer Schaden zufügt werden kann.

Sie sieht ihren Fehler, glaube ich, ein und entschuldigt sich nochmals. Ari'lana lächelt dann wieder, als ich ihr noch einmal versichere, ihr deshalb nicht böse zu sein. "Na ja, es gibt ja noch andere hier, die ich ein wenig ärgern kann." meint sie dann kichernd. Ich muss lächeln und erzähle ihr dann, dass auch ich, obwohl ich nun mittlerweile erwachsen bin und bald selber sa'nu (Mama) werde, gerne Späße dieser Art mache.

Dann beuge ich mich ganz nahe zu ihr und frage sie flüsternd: "Hast Du schon mal Yerikbabys (hirschähnliche Tiere) gesehen?". Wie erwartet, schüttelt sie den Kopf. Ich frage sie, noch etwas leiser, weiter: "Möchtest Du einmal welche sehen?", wobei ich so tue, als wäre dies ein großes Geheimnis. Ari'lana nickt heftig und mit glänzenden Augen: "Sraaaaaneee!" antwortet sie. "Aber...", gebe ich ihr dann zu bedenken: "Um das zu schaffen, muss man sich ganz still verhalten und darf keinen Laut von sich geben, egal, was auch immer passiert."  Ohne lange zu überlegen beantwortet sie meine Frage: "Meinst Du, dass Du das schaffst?" mit einem freudigen, aber festen: "Sranne, na klar!"

Ich hole meinen Bogen und den Köcher, dann machen wir uns auf den Weg in Richtung des Wasserlochs, an dem Kee und ich die Tiere zuerst beobachtet hatten. Um nicht den weiteren und auch gefährlicheren Weg durch den Wald nehmen zu müssen, beschließe ich Ari'lana durch das Tal der Stimmenbäume zu führen. Sie hält sich immer in meiner Nähe und befolgt meine Anweisungen genau und den ganzen Weg über lässt sie keinen vernehmbaren Laut von sich hören. Das geht gut, bis wir dann inmitten der ayutral mokriä (Bäume der Stimmen) stehen. Die leuchtenden Tentakeln spiegeln sich in den glänzenden Augen Ari'lanas und sie scheint gar nicht zu wissen, wohin sie zuerst schauen soll. "Ob sie diese Bäume noch nie gesehen hat?" frage ich mich...

Als ich eben weiter gehen will, kommt sie jedoch zu mir und erklärt mir, hinüber zur Menschensiedlung weisend, dass sie alleine dorthin gegangen sei und sich dort umgeschaut habe. Einen Moment lang muss ich den Atem anhalten. Aber, um ihr die Freude an den Yeriks (hirschähnliche Tiere) nicht zu nehmen, nicke ich ihr zu und flüstere nur: "In Ordnung.", beschließe jedoch sie später daraufhin noch einmal anzusprechen. Mir wird in diesem Moment klar, dass ihr eine feste Bezugsperson fehlt und ich habe auch schon eine Idee, wer dies sein könnte...

Einen kleinen Hügel hinaufschleichend sehen wir dann die kleine Yerikfamilie. Es ist die Kuh mit ihren beiden Jungen. Das Muttertier liegt im Gras, während die beiden kleinen Tiere herumtollen. Ari'lana ist fasziniert. Am liebsten würde sie wohl zu ihnen hin laufen, stelle ich mir vor. Aber sie bleibt ganz still neben mir und wir beobachten gemeinsam, was passiert.

Eines der Jungtiere kommt in langsamen Schritten den Hügel hinauf genau auf uns zu gestolpert. Nicht weit entfernt von uns, es mögen nur zwei oder drei Schritte sein, bleibt es stehen. Doch es scheint uns bisher nicht bemerkt zu haben. Um die Gefahren des Waldes wissend, fange ich mit allen meinen Sinnen die Eindrücke, Geräusche und Gerüche der Umgebung ein, bedacht darauf, schnell handeln zu können, sollte sich uns Gefahr nähern. Doch es ist und bleibt alles friedlich.

Ari'lana, und nur zu gut kann ich es ihr nachfühlen, muss sich sehr zusammen reißen, als das Yerikjunge nach einiger Zeit genau auf uns zu kommt und ihr mit seiner rauhen Zunge über die Nase leckt. Dabei macht es glucksende Laute. Am ganz leicht zuckenden Schweif des Mädchens erkenne ich, dass sie sich wirklich sehr beherrschen muss. Aber sie schafft es, was ich ganz bemerkenswert finde. Erst als das Junge durch ein leises Kichern Ari'lanas aufschreckt, zu seiner brummenden Mutter rennt und die drei Tiere flink in den Wald flüchten, ist sie erlöst, aber zugleich auch etwas enttäuscht.

Wir gehen dann zum Lager zurück, wo ich sie dann selbst von ihrem Erlebnis berichten lasse. Sey und Nìm'wey sitzen am Feuer und unterhalten sich. Ari'lana berichtet dann immer noch etwas aufgeregt, von den Yeriks (hirschähnliche Tiere) und was ihr widerfahren ist. Amüsiert hören die beiden Ari'lanas Erzählung zu. Sie erzählt alles so lebendig, dass man sich richtig vorstellen kann, was und wie sie die Dinge erlebt.

Als ich sie, mich an das Lager der sawtute (Himmelsmenschen) erinnernd, dann aber noch einmal freundlich und ruhig bitte, zu mir und Sey zu kommen und sich zu uns zu setzen, wird sie sehr still. Sey, der natürlich ebensowenig wie Nìm'wey wissen kann, worum es geht, hört mir zu und ich bemerke seine äußerst interessierte Haltung. "Nun erzähle doch noch einmal genau, ma Ari'lana, was Du mir eben bei den Stimmenbäumen angedeutet hast.", bitte ich sie dann und versuche meiner Stimme jegliche Härte zu nehmen.

Wieder sinken ihre Ohren und Schultern nach unten und Nìm'wey schaut etwas besorgt, Sey macht allzu deutlich, dass er dies überhaupt nicht gut findet, aber er sagt zunächst nichts, lässt mich mit ihr reden. Ich erkläre ihr dann, weil ich Vorhaltungen im Augenblick für völlig falsch halte, dass es dort viele Gefahren gibt und dass auch Dallan nicht immer dort ist, um sie, wenn es darauf ankommt, beschützen zu können. Weiter erkläre ich ihr, dass die Geräte der sawtute (Himmelsmenschen) ebenso wie wir sehen, hören und sogar riechen und sprechen können und dass sie bestimmt lange vor ihrem Eindringen gewusst haben, dass sich jemand nähert.

Meine Idee verfolgend unterbreite ich dann allen meinen Vorschlag: "Also wenn niemand etwas dagegen hat, dann würde ich Nìm'wey bitten, sich um Ari'lana zu kümmern und sie zu führen."  Da Sey und Kee mit Tsìlpey selber genug Arbeit haben, ich selber bald ein eigenes Kind bekomme, Ma'wey sehr viel unterwegs ist und Txu, wenn er nicht gerade im Wald ist, wohl anderes zu tun hat,als ein kleines Mädchen zu hüten, bleibt nur Nìm'wey übrig.

Sey hält diesen Vorschlag für sehr überlegt und angebracht uns stimmt zu, wartet aber die Meinungen der beiden Betroffenen ab. Ar'lana lacht vor Freude und ihre ganze Körpersprache verrät, dass sie Nìm'wey als sa'nok amip (neue Mutter) akzeptiert. Nìm'wey kann ihre Freude über diese Idee ebenfalls nicht verbergen und so beschließen wir die Sache dann.

Ich lobe Ari'lana dann bewusst auch für ihre Offenheit, uns die Sache mit der Menschensiedlung erzählt zu haben und dafür, dass sie sich fast schon wie eine richtige Jägerin benommen hat, als wir im Wald waren. Wenn sie richtig geführt und angeleitet wird, könnte ich mir vorstellen, dass aus ihr einmal eine sehr gute und wache Jägerin werden könnte...

Als sie dann schlafen gehen will, verabschieden wir uns von ihr und sie geht in die Höhle hinauf, während wir drei uns noch unterhalten. Nach einer ganzen Weile gibt es jedoch ein klapperndes Geräusch aus der Höhle und wir schauen und fragend an. Dann klappert es nochmal und als ich dann, um nachzusehen, die Höhle betrete, sehe ich gerade noch den besonders langen Schweif eines Kindes am Seil nach oben huschen. Hier unten in der Höhle sieht es sehr interessant aus, denn Ari'lana hat offensichtlich das Versteck entdeckt, wo wir unsere Farben für die Kriegsbemalungen aufbewahren.

Laut lachend gehe ich zu den anderen zurück und berichte ihnen davon. "Morgen wird jemand...:", bestimme ich dann sehr belustigt: "Viel Arbeit haben, das alles wieder in Ordnung zu bringen."  Sey, der dann auch in die Höhle geht, um nach Tsìlpey zu sehen, hört man ebenfalls schallend lachen, bevor er mit seiner Tochter zu uns zurück kommt.

Ari'lana sieht Tsìlpey heute zum ersten mal und scheint sehr begeistert von ihr zu sein. Als Sey Nìm'wey fragt, ob sie sie einmal nehmen möchte, kann man ihr ansehen, dass sie Tsìlpey wohl auch sehr mag. Wir albern ein wenig mit ihr, bis Aketuan dann zu uns kommt. Auch er sieht Tsìlpey heute nun zum ersten mal, allerdings weiß ich seinen Blick nicht wirklich zu deuten. Auch scheint er mir wieder etwas gedankenverloren zu sein, denn einige Male sprechen ich und auch Sey ihn an, erhalten aber keine direkten Antworten. Vielleicht ist er aber auch nur müde...

Irgendwann steht er dann auf und verabschiedet sich von uns. Seine Frage, ob er eventuell einige Tage länger bei uns bleiben könnte, weisen wir natürlich nicht ab. Dann geht er zur Höhle und, mir kommt es vor, als wäre es erst einige Tage zuvor gewesen, erinnere ich mich an etwas...

Wir anderen gehen dann auch schlafen und bevor ich dann einschlafe, erlebe ich den heutigen Tag noch einmal vor meinem geitugen Auge. Es war ein etwas aufregener, aber sehr schner Tag...

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