Freitag, 10. Mai 2013

Tìsop apxa / Eine große Reise

'efu keftxo nìtxan oe fwa humftu Kee'lanee sì Tsìlpey.
Eywal mefot hiveyawnu vaykrr tayätxaw pxoe.
(Ich bin sehr traurig, Kee'lanee und Tsìlpey zu verlassen.  Möge Eywa die beiden beschützen, bis wir drei zurückkehren)

Es ist das erste Mal, dass ich durch Bilder, Gedanken und Gefühle aufgeweckt werde, die mir Geborgenheit, Halt und Zuversicht geben und das in einer Intensität, die ich in dieser Form bisher noch nie erlebt habe. Ich öffne meine Augen und bemerke, dass ich mich im Schlaf so gedreht habe, dass ich fast vollständig und eng an ihn gepresst auf Winataron liege. Unsere Zöpfe sind noch immer miteinander verbunden und ich lausche noch viele Augenblicke seinen Gedanken und Gefühlen, die mir verraten, wie sehr er sich auf das freut, was vielleicht bald vor uns liegen mag. Doch wie ich so in ihn hinein horche, überkommen mich Zweifel. Ist es richtig, was ich da mache?  Ich fühle mich etwas respektlos ihm gegenüber, ihn im Schlaf so zu belauschen.

Sicher, wir sind vor Eywa verbunden, wissen nahezu alles voneinander und für uns ist es völlig normal und wir genießen es sogar sehr wenn wir, durch unsere Nervenstränge miteinander verbunden, zusammen schlafen gehen. Dennoch empfinde ich es in diesem Moment als nicht richtig, auch wenn er mir, noch immer in tiefen Schlaf versunken, das mitteilt, was auch ich für ihn empfinde. So trenne ich vorsichtig meinen Zopf von seinem und bleibe noch einige Momente halb auf ihm liegen. Ich spüre und genieße seine Wärme. Doch dann stehe ich ganz leise und vorsichtig auf, um ihn nicht zu wecken.

Da ich immer noch von Zweifeln und merkwürdigen Gedanken, was meine mögliche Schwangerschaft angeht, geplagt werde, beschließe ich zum vitrautral (Baum der Seelen) zu gehen. Vielleicht gibt Eywa mir ja ein Zeichen, das mir eine konkrete Antwort verschafft, meine Zweifel und vielleicht auch meine Ängste beseitigt?  Vielleicht hätte ich aber auch warten und Kee fragen sollen, damit sie mich dabei unterstützt. Doch ich bin viel zu aufgeregt und auch neugierig und mir kommen immer wieder Zweifel bei allen möglichen Fragen in den Kopf. Leider gibt Eywa mir heute keinerlei Hinweise oder Zeichen oder ich vermag es einfach nicht, sie zu deuten.

Ein wenig geknickt, vielleicht auch verärgert, gehe ich dann zurück zum Lager, um noch einmal alle Sachen durchzugehen, die ich mit auf unsere lange Reise nehmen will. Als ich jedoch auf der Brücke bin, die über den Fluss führt, der vor unserem Lager entlang fließt, sehe ich meine Freundin auf einem pa'li (Schreckenspferd) ankommen. Ich beginne fast zu rennen und winke ihr schon von weitem zu. Als ich ihr dann gegenüber stehe, umarme ich sie zur Begrüßung. Dabei muss ich acht geben, denn sie trägt ihren ganzen Stolz, die kleine Tsìlpey, vor ihrem Bauch in einem Tuch, das sie sich umgebunden hat.

Mag sein, dass meine Umarmung etwas fester oder inniger ausfällt als für gewöhnlich, denn sie fragt mich, ob mir etwas fehlen würde, begrüßt mich jedoch ebenso herzlich. Ein sehr lange nicht mehr da gewesenes Gefühl ergreift für einen Wimpernschlag Besitz von mir. Als ich mich etwas zu Tsìlpey hinunter beuge, um die kleine Jägerin ebenfalls zu begrüßen, überkommt mich plötzlich wieder ein Gefühl von Freude und Traurigkeit zugleich, denn sie versucht zum ersten Mal meinen Namen auszusprechen: "ìya... ìya..." sagt sie und lacht mich fröhlich dabei an. Sehr langsam und auch um ihr meinen Respekt vor ihr zu zeigen, mache ich dann das Zeichen Eywas zu der Kleinen und sage: "Kaltxì ma Tsìlpey.". Sie scheint sich darüber zu erheitern, denn sie strahlt mich an.

So erkläre ich Kee dann, so gut es geht, meinen derzeitigen Zustand und sage ihr auch, dass mein muntxatan (Ehemann) und ich schon vermuteten, dass ich vielleicht ein Baby bekommen könnte. Immer wieder jedoch geschieht es, dass ich Bemerkungen mache, die mir im selben Moment Leid tun oder dass ich genau spüre, dass ich mich wieder einmal im Ton vergreife und Kee gegenüber grimmig oder spöttisch reagiere. Ich entschuldige mich bei ihr dafür und erkläre ihr, dass ich mich selber über mich wundere, plötzlich so anders zu sein. Manchmal bin ich richtig aggressiv, ohne dies wirklich zu wollen oder einen Grund dafür zu haben. Sie schaut mich jedoch sehr verständnisvoll nickend an.

Kee scheint etwas zu ahnen, denn sie legt mir prüfend ihre Hand flach auf den Bauch. nach einigen langen Momenten des Schweigens stellt sie mir einige Fragen, dann scheint sie sich recht sicher zu sein. Sie gibt mir zu verstehen, dass sie sich zwar auch nicht absolut sicher ist, jedoch sehr stark vermutet, dass ich wohl sa'nu (Mami) werde.

Nach einiger Zeit kommen Sey und kurz darauf auch mein yawntu (Liebster) zu uns. Letzterer fragt mich, wieso ich ihn denn nicht aufgeweckt hätte und ich erkläre ihm, dass er so friedlich da gelegen hätte und dass ich ihn, nachdem er gestern mir so unermüdlich zugehört hat, einfach nicht aufwecken wollte. 

Doch auch ihm und sogar Sey gegenüber mache ich immer wieder recht spitze und manchmal auch verletztende Bemerkungen, die mir gleich darauf selber weh tun und ich entschuldige mich wieder und wieder dafür. Erst als Sey durch eine meiner Bemerkungen sehr ernst zu mir schaut, scheint es ihm auch langsam zu dämmern, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich hatte ihn wie ein kleines Mädchen nachgeäfft, als er Kee nur sagte, dass er sie in der nächsten Zeit, wenn wir unterwegs sind, sehr vermissen wird, Als Kee mir dann aufmunternd zunickt, verstehe ich ihre Geste und berichte Sey von unserer Vermutung, dass sich unser Clan wohl weiter vergrößern wird und dass er mir das alles bitte nicht übel nehmen soll.

Sey strahlt mich plötzlich an, als wäre ich die große Mutter persönlich. "Was?", fragt er erstaunt: "Du bekommst ein... Das sind ja herrliche Neuigkeiten."  Winataron hält mich die ganze Zeit über fest in seinem Arm. Er ahnt nicht, wieviel Halt er mir damit gibt und was es mir bedeutet, an seiner Seite zu sein. Gespannt und verdutzt schauen wir aber dann Sey nach, als dieser ohne Vorwarnung aufsteht und hinter unserer Höhle verschwindet. Mit einer großen Fahne, die in der Art zweier Monde gemacht ist, wie wir es ja fast allabendlich am Himmel sehen können, kommt er freudestrahlend zurück und sagt: "Da habe ich ja genau den richtigen Zeitpunkt abgewartet, um Euch unsere neue Fahne zu zeigen, was?"

Wir alle schauen uns Seys Geschenk an uns, den Clan, genau an und ich glaube zu erkennen, dass niemand da ist, der etwas daran auszusetzen hätte. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Tsìlpey, die gerade wohl etwas eingenickt ist, reißt aber dann ihre Augen auf und strampelt vergnügt mit, als Sey laut ruft. "Rey'engya 'ivong!" ("Mögen die Rey'engya erblühen!") und wir alle in seinen Ruf mit einstimmen.

Dann gehen wir noch einmal durch, ob wir bei unseren Vorbereitungen auch nichts vergessen haben. Als Wina Sey dann fragt, ob er uns begleiten darf, da er mich nicht alleine lassen will, macht Sey zunächst ein etwas nachdenkliches Gesicht. Innerlich etwas aufgebracht dadurch, zwinge ich mich diesmal aber, nicht gleich aufzubrausen und warte Seys Überlegungen ab.

Er stimmt dann zu, gibt jedoch zu bedenken, dass Kee und Tsìlpey nun ganz alleine sein werden, da auch Ma'wey und Txu seit einigen Tagen unterwegs sind. Offenbar, so vermuten wir, will Txu seine letzten Vorbereitungen alleine mit seiner Lehrerin treffen, um sich auf sein Iknimaya (Prüfung für Jäger und Krieger) vorzubereiten. 

Immer wieder kommen mir jedoch Zweifel, ob ich wirklich mit fliegen soll und immer wieder stelle in mir die Frage, ob der Zeitpunkt, den Eywa zweifelsohne für unser Kind gewählt hat, der richtige ist. Aber ich bin zuversichtlich. Sey ist an meiner Seite, ebenso wie mein muntxatan (Ehemann), der mir im Augenblick so unendlich viel Kraft gibt.

Etwas unruhig werde ich, als Sey uns dann, wobei man ihm sein schwer werdendes Herz überdeutlich ansehen kann, zum Aufbruch aufruft. Als Kee mit Tsìlpey auf ihrem Arm dann vor geht, wird dann auch mein Herz plötzlich etwas wie Stein. Am liebsten würde ich nun doch hier bleiben bei ihr und unserer kleinen Jägerin. Schon wieder zweifle ich...

Ich bin sehr froh, als Kee meine vielleicht etwas zu feste und innige Umarmung erwidert und verspreche ihr, jeden Tag für sie und ihr Töchterchen zu Eywa zu besten. Winataron geht dann vor, um nach seinem Ikran (Banshee) zu rufen und ich folge ihm nur einige Momente später, rufe dann nach Ya'rrì, der auch gar nicht allzu lange auf sich warten lässt und wie immer mit einem seiner halsbrecherischen Kunststücke und laut krächzend bei unserem Lager landet. "Ma Ya'rrì...", flüstere ich ihm zu: "Du wirst noch einmal an meine Worte von neulich denken." und streichle ihm über seinen Hals. Manchmal glaube ich, er versteht jedes Wort, denn so wie er mich jetzt anschaut, könnte man es fast vermuten. Ich springe auf seinen Rücken und verbinde mich mit ihm, während mein Blick zu Kee'lanee fällt, die mit Sey zusammen vor uns steht. Sey ruft dann ebenfalls nach einem fliegenden Begleiter und als der dann kommt, brechen wir auf. Einen letzten Blick zu unserer Tsahìk (spirituellen Clanführerin) kann ich mir allerdings nicht verkneifen und ein kurzes Winken ebenso wenig. Dann fliegen wir, Sey allen voraus, zu den Iknimaya Bergen (schwebende Berge) hinauf, umrunden sie einmal und beschließen, doch noch einmal kurz zu landen, ehe wir die Reise, die uns weit bis hinter die Feuerberge bringen wird, dann endgültig antreten. 

Für ein paar kurze Momente steigen wir nochmals von unseren Ikranen (Banshees) ab und schauen ins das Tal hinunter, in das uns Eywa einst geführt hat und in dem wir nun schon eine recht lange Zeit leben. Wir beobachten die nun langsam untergehende Sonne, die glutrot hinter dem Horizont versinkt und den Himmel in ein etwas eigenartiges, aber wunerschönes Licht taucht.

Sey und mein muntxatan (Ehemann) sind dann schon wieder auf ihren Ikranen (Banshees), umrunden den Felsen, auf dem ich immer noch stehe und winken mir zu, dass ich ihnen folgen soll. Nur für ein paar kurze Augenblicke beobachte ich noch den Sonnenuntergang und schaue noch ein letztes Mal hinunter ins Tal. Ich sehe Kees Gesicht vor mir, wie sie Tsìlpey sanft über ihr Köpfchen streichelt, sehe ihr hübsches Lächeln und mir kommen einige kurze Gedanken an das, was nun vor uns und besonders vor mir und Wina liegt. Ich spüre, wie sich eine meiner Hände zart tastend auf meinen Bauch legt und spreche in Gedanken zu dem Liebsten, das ich schon bald neben Winataron haben werde: "Ma prrnen oeyä, ngarì fìtìsop layu tìsop apxa a'awve. Eywal ayngati hivawnu." ("Mein Baby, diese Reise ist Deine erste, große Reise. Möge Eywa uns beschützen.")  Mich dann auf den langen Flug konzentrierend, schüttle ich die gerade wieder in mir aufkeimenden Ängste ab, schwinge mich auf Ya'rrìs Rücken und eile, nachdem die Verbindung zwischen meinem Ikran (Banshee) und mir hergestellt ist, meinen mesmukan (beiden Brüdern) nach.


Nach kurzer Zeit hole ich Wina und Sey dann ein und wir fliegen dicht nebeneinander, uns dabei von der nun fast vollständig untergegangenen Sonne fortbewegend, in Richtung unseres Ziels...


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