Dienstag, 28. Mai 2013

Kxll sawtuteyä / Angriff der Himmelsmenschen

Sawtuteyä tawsìp atsawl pähem ulte Rey'engya wem.
(Das Himmelsschiff der Menschen trifft ein und die Rey'engya kämpfen.)

Schon sehr früh bemerke ich, dass jemand auf den Beinen ist und schaue mich, noch etwas verschlafen um. Es ist Nìm'wey, unser Gast. Da ich heute zum Baum der Seelen gehen möchte, um Eywa um Hilfe und Beistand im Kampf gegen das Drachenschiff der sawtute (Himmelsmenschen)  zu bitten, dass heute allen Vorhersagen Dallans folgend eintreffen müsste, lege ich mein weißes Heilergewand an. Schließlich ist es, auch wenn es um einen Kampf, also eine an sich schlechte Sache geht,  etwas besonders. Doch es soll ganz anders kommen, wie ich schon bald feststellen werde.

Unten vor der Höhle treffe ich dann auf Nìm'wey. Wir begrüßen uns und sie fragt mich nach den Farben, die wir für unsere Kriegsbemalung benutzen. Allerdings sucht sie schwarze und weiße Farbe, was mich ein wenig stutzig macht. Doch sie erklärt mir, dass ihr alter Clan diese Farben benutzt hat und ich möchte ihr den Wunsch nicht absprechen. Im Gegenteil, ich bitte sie sogar darum, ihr die Farbe auftragen zu dürfen. Denn einerseits kann sie es alleine schlecht, andererseits glaube ich, dass sie nicht ganz so gut sieht durch ihre Augenverletzung. Hoffentlich bin ich nicht zu aufdringlich...?
Doch sie setzt sich still vor mich und so bemale ich sie nach ihren Angaben, da ich ihr persönliches Muster natürlich noch nicht kennen kann. Dabei fällt mir wieder ihr hübsches Gesicht auf - und diese schlimme Verletzung.

Doch ich sage mir, dass Eywa es so für Nìm'wey vorgesehen hat und mache meine Arbeit zu ende. Richtig gefährlich schaut sie damit aus, es steht ihr wirklich gut, wie ich finde. Um ihr zu zeigen, dass ich sie wegen ihres Auges nicht abstoßend finde, bitte ich Nìm'wey dann, dass sie mir nun bei meiner Kriegsbemalung behilflich ist. Zuvor tausche ich mein Heilergewand aber wieder gegen meine normale Kleidung ein. Ich glaube, sie freut sich darüber ein wenig, denn sie ist sehr bemüht, nichts falsch zu machen. Als ich dann ihre Finger auf meinem Körper spüre, habe ich den Eindruck von sehr erfahrenen Händen berührt zu werden. Sie ist sehr geschickt...

Erstaunt ist Txuratxan dann, als er zu uns kommt und Nìm'wey zum erstem mal sieht. Zuerst, so erzählt er später, vermutet er Ma'wey, welche Nìm'wey auch beinahe zum Verwechseln ähnlich sieht. Ganz nach seiner Art begrüßt er sie freundlich, aber etwas zurückhaltend. Als sie ihm dann erklärt, dass sie auf dem linken Auge blind ist, was von den sawtute (Himmelsmenschen) verschuldet wurde, ist Txu außer sich und wird sehr wütend. Dabei rutscht ihm dann eine Bemerkung heraus, von der ich glaube, dass sie Nìm'wey verletzt. Er entschuldigt sich aber sogleich sehr freundlich bei ihr und begründet seinen Ausbruch mit dem Verschwinden seines Bruders Nay. 

Nìm'wey zeigt ihm deutlich, dass sie ihm diesen Patzer nicht übel nimmt und schlägt vor, dass wir gemeinsam zum Baum der Seelen gehen könnten, um Eywa nach dem Verbleib von Nay zu befragen. Doch leider kommt dabei nichts heraus, was wir nicht schon wussten oder vermuteten. Da wir Nays Stimme nicht hören können, liegt die Vermutung nahe, dass er noch nicht bei Eywa zu sein scheint. Zurück am Lager angekommen, geht Txu dann in die Höhle, um die gesammelten Pflanzen weiter vorzubereiten. Nìm'wey und ich sind also wieder unter uns und unterhalten uns über dies und das...

Die größte Überraschung kommt dann, als Kee'lanee und Sey zu uns kommen. Kee traut ihren Augen kaum und muss ein paar mal genau hinsehen. Als sie sich das letzte Mal sahen, war Nìm'wey noch ein Mädchen und nun ist sie eine erwachsene Frau. Auch Sey scheint sie zu kennen, was mir bisher nicht bekannt war, denn ich habe sie niemals zuvor gesehen. Die Begrüßung fällt dementsprechend herzlich und fröhlich aus.

Dann erscheint Dallan sehr aufgeregt und teilt uns, er ist vollkommen außer Atem, mit, dass das Drachenschiff im Anflug ist und dass wir uns bereit machen sollen. Nun geht alles Schlag auf Schlag. Nìm'wey, so entscheidet Sey, bleibt bei Tsìlpey, während Kee und Sey an strategisch günstigen Punkten postiert werden. Entgegen seiner letzten Entscheidung bittet Sey mich, auch an dem Kampf teilzunehmen. Ich soll mit Ya'rrì (Kxìryas Ikran) dafür sorgen, dass Dallan wohlbehalten wieder unten im Tal ankommt. Doch Sey überlässt die Entscheidung, ob ich kämpfen will oder nicht, ganz mir, da er sich auch um mich und mein Kind sorgt. Ich habe zwar so meine Zweifel, aber was wäre ich für eine Jägerin, würde ich meinen eigenen Clan im Stich lassen. So willige ich dann ein, den schwierigen Teil zu übernehmen und Dallan, sollte unser Plan funktionieren, heile ins Tal zurück zu bringen.

Dass es allerdings so schwierig werden wird, hätte ich nicht vermutet, denn Ya'rrì (Kxìryas Ikran) ist sehr unruhig und ich habe große Mühe, ihn ruhig zu halten. Es kostet mich fast unendlich viel Kraft, mich auf den Kampf und ihn gleichzeitig zu konzentrieren und immer wieder wird es mir auch ein wenig schwindelig. Ich bin Kee'lanee so dankbar, dass sie mir einige Blätter mitgegeben hat, deren Nektar mir den Schwindel nimmt- So kann ich diese Sache recht gut unter Kontrolle halten. Unter mir zieht langsam, aber unaufhaltsam und drohend das riesige Drachenschiff an mir vorüber. Mir ist, als erscheine ein Toruk (letzter Schatten) klein dagegen, wie ein yayo (Vogel) gegen einen Ikran (Banshee).

Sein ständiges und sehr lautes Brummen, dass ähnlich klingt wie das der kleineren Metallikrane, bohrt sich durch meine Ohren in meinen Schädel. Das Schiff erzeugt eine Art Vibration in der Luft, als es unter mir vorüber fliegt. Ich könnte es eigentlich mit Leichtigkeit mit dem Bogen treffen, doch habe ich mehr als alle Hände voll damit zu tun, meinen Ikran (Banshee) zu bändigen, denn wenn wir abstürzen, dann stürzt auch Dallan, da er mit einem langen Seil an Ya'rrì festgebunden ist. Zur Not, so kommt es mir in den Sinn, werde ich dieses Seil einfach zerschneiden müssen, um mein eigenes Leben zu retten, denn wozu sollen zwei Leben geopfert werden und, Eywa möge mir vergeben, Dallan ist trotz allem immer noch ein tawtute (Himmelsmensch).

Dallan schießt, wie ich noch niemals einen Menschen habe mit solchen Waffen schießen sehen. Es scheint fast, als versprühe er soviel Feuer, wie es die ganze Sonne tut, wenn sie am Tag hoch oben am Himmel steht. Seine Feuerpfeile richten unheimliche Schäden an dem Drachenschiff an, aber für mich und meinen Ikran (Banshee) wird es gleichzeitig auch immer schwieriger und damit auch immer gefährlicher, noch länger an diesem Ort zu bleiben. Ich hoffe inständig, Dallan wird sehr bald den entscheidenden Treffer erzielen und mir das verabredete Zeichen geben...
Sey schießt zuerst von einem der Iknimayaberge (schwebende Felsen) aus auf das Schiff. Dann springt er plötzlich auf seinen Ikran (Banshee) und fliegt in weiten Schleifen immer und immer wieder um das Drachenschiff herum, taucht unter ihm hindurch und fliegt über es hinweg. Selbst auf unseren tollkühnsten Jagden habe ich Sey nicht so wild aber trotzdem koordiniert fliegen sehen. Er schießt endlos viele Pfeile ab, die aber, wie ich befürchte, nicht wirklich Schaden anrichten, wenn ich dagegen Dallans Feuerpfeile betrachte...

Plötzlich spüre ich einen stechenden und brennenden Schmerz an meinem linken Bein und schreie unwillkürlich auf. Etwas hat mich getroffen. Aber ich kann mich darum jetzt nicht kümmern, ich komme ja nicht einmal richtig an mein Bein heran in meiner jetzigen Lage. So ertrage ich den Schmerz, der nach einigen Augenblicken etwas nachlässt und konzentriere mich dann wieder auf Ya'rrì, mich und den Kampf, so gut es geht. Für ein paar kurze Momente schließe ich meine Augen und es ist fast wie eine lange Pause, die ich mir gönne...

Immer häufiger wird es mir nun schwindelig und, ja, auch ein Gefühl von Angst überkommt mich jetzt immer wieder. Die Angst, dass meine Entscheidung doch falsch war und dass ich vielleicht nicht nur mein Leben verliere, sondern auch noch ein zweites Leben auslösche, das noch nicht einmal richtig begonnen hat. In meinem Inneren bete ich zu Eywa, dass es bald vorbei sein möge...

Ich überlege, meinen Standort zu ändern, um aus der Schusslinie des Schiffes heraus zu kommen, als ich noch einen Schmerz spüre und aufschreie. Diemal war es ein Treffer, der meinen rechten Arm gestreift hat. Zum Glück war auch dies kein Volltreffer. Aber es brennt schlimmer, als die Verletzung meines Beines. Langsam wird es Zeit. Wir müssen hier weg, aber es geht noch nicht. Noch fliegt das Schiff. Zwar ist es schwer getroffen, denn diese sich drehenden Flügel scheinen zu brennen, dennoch fliegt es aber unaufhaltsam weiter und weiter. Sey sehe ich aus den Augenwinkeln, wie er gerade einen weiteren Angriff auf seinem Ikran (Banshee) startet.

Urplötzlich und mir bleibt für einen Moment fast das Herz stehen, geschehen mehrere Dinge gleichzeitig. Das Drachenschiff explodiert mit einem ohrenzertrümmernden Knall, dann folgt eine Welle sehr heißer und rauchiger Luft, die mich zwingt, mich an Ya'rrì festzukrallen und Dallan schreit aus Leibeskräften: "Ma Kxìryaaaaa, loooooos!"  Selten habe ich jemanden so gerne brüllen hören, wie diesen tawtute (Himmelsmenschen) jetzt gerade. Ich gebe Ya'rrì (Kxìryas Ikran) das Kommando, sich in die Tiefe stürzen zu lassen, als ich Dallan bereits fallen sehe. Von dem eigentlichen Flug nach unten bekomme ich nicht mehr wirklich etwas mit, es geschieht alles irgendwie automatisch und von selber.

Dass ich von dem Ikran abspringe, während er mit mir dicht über dem Boden entlang braust, bemerke ich nicht mehr. Sey, Kee und Nìm'wey erzählen es mir erst viel später. Es wird still und obwohl ich spüre, dass ich mich nicht mehr bewege, habe ich das Gefühl in eine endlose Schwärze zu fallen. Ich warte auf ein Zeichen, das mir sagt, dass die große Mutter mich zu sich geholt hat. Angst empfinde ich überhaupt keine mehr. Ich weiß nicht, was ich gerade überhaupt spüre. Irgendwie höre und spüre ich gar nichts mehr...

Etwas sagt mir, dass ich meine Augen öffnen soll, aber es gelingt mir nicht. Dann sehe ich, eine kleine Ewigkeit scheint vergangen zu sein, verschwommene und unscharfe Bilder. Kee kommt mir in den Sinn und jetzt merke ich, dass ich wieder zu denken vermag. Ich versuche zu atmen, aber es fällt mir so unsagbar schwer.

Jemand singt. Ich höre weit entfernt eine sanfte, wohlklingende Stimme und das Lied, das sie singt, erkenne ich ebenso. Als ich dann klarer sehen kann, erkenne ich eine fremde Na'vi vor mir hockend. Nein, sie ist keine Fremde, es ist Nìm'wey und sie ist es, die zu mir singt. Ich spüre ihre tastenden Hände auf meinem Körper, spüre, wie sie mir versucht Wasser einzuflößen. Ich lasse sie gewähren. Ich weiß nun, weshalb sie zu uns kam: Eywa hat sie uns geschickt.

Sie versorgt mich mit einigen Heilmitteln, die ich allesamt an Geschmack und Geruch erkenne. Sie weiß, was sie tut. Das spüre ich genau. Es dauert zwar seine Zeit, aber nach und nach wird meine Atmung tiefer, die Bilder klarer und deutlicher und dann ein Gedanke: Mein Baby!

Dieser Gedanke ist es, der mich alle meine Kräfte zusammen nehmen lässt, sodass ich mich langsam und zunächst sehr wacklig und auch verdreht etwas auf setzen kann. Nìm'wey scheint meine Gedanken lesen zu können, denn das erste, das sie zu mir sagt ist: "Ma tsmuke (Schwester), Deinem Baby geht es gut. Dein Bauch ist vollkommen in Ordnung."  Ich danke Eywa für diese Worte...

Nach und nach kommen alle zusammen und wir versammeln uns an unserer Feuerstelle. Nìm'wey stützt mich, da ich noch recht zittrige Beine habe, Kee ist zum Glück nur leicht verletzt und Sey hat gar nichts davon getragen. Trotzdem ist er sehr betrübt. Sein Ikran (Banshee), so erklärt er etwas schwermütig, wurde am Flügel getroffen und es wäre eine recht große Wunde. Doch Kee hat ihn bereits versorgt und ihm, da er nicht fliegen kann, bei den Stimmenbäumen, gut versteckt, eine Art Lager zum Ausruhen geschaffen.

Kee'lanee ist todmüde und geht zu Tsìlpey in die Höhle. Obwohl ich auch mehr als erschöpft bin, muss ich mich einfach noch bei Nìm'wey bedanken. Sie hat einfach großartige Arbeit geleistet und ich weiß, sie wird die Rey'engya um eine großartige Heilerin bereichern. Wie es mit ihrer Jagdkunst steht, wird sie allerdings noch zu beweisen haben. Doch ich bin mir sicher, dass sie uns auch in diesem Punkt sicherlich nicht enttäuschen wird.

Wir reden noch etwas, um zur Ruhe zu kommen und plötzlich spüre ich etwas, das mir bisher noch völlig unbekannt war. Es ist ein sehr zaghaftes Gefühl, das ich in meinem Bauch spüre und das mich etwas zusammenzucken lässt. War das nur Einbildung? Ratlos und gleichermaßen verdutzt, aber mit einem wundervollen Gefühl schaue ich die Anderen an und dann zu meinem Bauch hinunter. Doch ich warte dann vergebens, dass es sich noch einmal wiederholt...

Wir beschließen, nun endlich schlafen zu gehen und Sey bittet Nìm'wey und mich, dass wir Txuratxan und Winataron aufwecken und sie zur Wache hinaus schicken sollen. Sey befürchtet offenbar noch einen Angriff, womit er ja nicht unbedingt Unrecht haben könnte.

Zusammen mit Nìm'wey gehe ich nach oben. Ich will mich einfach nur noch zusammen rollen und schlafen. Als wir in unseren Cocons liegen, wechseln wir nur noch wenige Worte flüsternd miteinander. Ich spüre, wie mich der Schlaf überkommt und bin dann für einen Moment noch mit meinen Gedanken bei meinem muntxatan (Ehemann) Winataron... Ich liebe ihn...


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