Freitag, 12. April 2013

Evengìri tìpängkxo /Ein Gespräch über Kinder

Srake kxawm Winataronir lu säspxin futa ke tsun oe nivokx frrnen?
(Ist Winataron möglicherweise krank, sodass ich keine Babys bekommen kann?)

Es war keine sehr angenehme Nacht. Zwar hatte ich mich, nachdem ich mit leicht aufgekratztem Rücken mitten in der Nacht aufgewacht war, doch noch zu meinem muntxatan (Ehemann) Winataron gelegt, aber geschlafen habe ich trotzdem mehr schlecht als recht. Immer wieder zuckte er in seinen offenbar schlechten Träumen und ich wurde immer wieder wach davon. Aber ich habe es ertragen, denn ich wollte ihn einfach nicht alleine dort liegen lassen, wollte ganz nah bei ihm sein. Aufwecken wollte ich ihn aber ebensowenig. Immer und immer wieder gingen mir die selben Fragen durch den Kopf: "Was ist passiert?" und "Warum ist er einfach wortlos von uns fort und in die Höhle gegangen? "  Fragen, auf die ich, so sehr ich auch nachdachte, keine Antworten fand. Schließlich, es wurde bereits hell und die ersten Tiere waren im entfernten Wald zu hören, fiel ich aber doch noch in einen kurzen, aber sehr tiefen Schlaf.
Durch eine sehr starke Regung Winatarons wache ich dann erneut auf. Es ist mittlerweile heller Tag geworden und außer uns ist niemand mehr in unserer Höhle. Kee'lanee, Sey und die anderen scheinen unterwegs zu sein. Dann vernehme ich plötzlich Worte. Mein yawntu (Liebster) spricht. Seine Worte verstehe ich jedoch kaum. Es hört ich etwa an wie: "Kehe! Ke lu ngay!" ("Nein! Das  ist nicht wahr!"). Doch wie ich feststelle, als ich ihm ins Gesicht schaue, schläft er noch. Dabei bemerke ich jedoch, dass er wohl im Schlaf, ebenso wie ich, geweint haben muss, denn seine vertrockneten Tränen ziehen hässliche helle Spuren durch sein ansonsten so hübsches Gesicht. Den Sinn seiner Worte verstehe ich nicht und so kommt zu meinen bisherigen nun noch eine weitere offene Frage hinzu: "Was meint er?"

Wieder zuckt er und windet seinen Kopf von links nach rechts und wieder zurück nach links. Soll ich ihn einfach aufwecken?  Als ich mir diese Frage stelle und ihn liebevoll etwas an mich drücke und ihm gleichzeitig sehr leise und beruhigend zuflüstere: "Nga yawne lu oer frakrr, ma yawntu oeyä." ("Mein Liebster, ich werde Dich immer lieben!"), spricht er dann erneut und mir ist ein wenig komisch zumute, als ich ihm zuhöre. Er sagt und es klingt fast wie eine Antwort auf meine Worte: "Nga yawne lu oer nìteng. Slä pelun oer yawne lu nga, mawkrra pameng oel ngat teri tsat?" ("Ich liebe Dich ebenso, aber warum liebst Du mich noch, nachdem ich Dir das erzählt habe?")

Wieder verstehe ich den Sinn seiner Worte nicht und mein Herz beginnt sich langsam vor Sorge um ihn in sich zusammenzuziehen. Es ist fast, als würde ein Stein von innen gegen meine Brust hämmern. Wieder versuche ich ihn, während mir Tränen aus den Augen laufen, an mich zu drücken und ihn zu trösten, aber spürt er überhaupt, was ich da mache?  Für einen Moment kommt mir der Gedanke, meinen Zopf mit seinem zu verbinden. Ich würde im selben Moment spüren und sehen, was er in seinen Träumen erlebt. Doch aus Respekt verwerfe ich diesen Gedanken schnell wieder.

Nur eine Nuance lauter flüstere ich ihm zu: "Kempe leren ngaru ma taronyu oeyä?" ("Was geschieht gerade mit Dir, mein Jäger?"), als er plötzlich aufschreckt. Doch scheint er mich nicht zu bemerken, denn er starrt mit leeren Augen in unser kleines Feuer hinein. Erst, als ich ihn sanft auf die Stirn küsse, schaut er mich an und er scheint dann langsam zu begreifen, wo er ist. Eine Weile sitzen wir dann stumm da und ich halte ihn einfach nur in meinen Armen.

Er nimmt mir die Antwort auf meine bisher noch ungestellte Frage, weshalb er uns denn gestern Abend aus heiterem Himmel einfach so verlassen habe, vorweg und beginnt langsam und leise zu erzählen. Ich lausche sehr aufmerksam seinen Worten und während er erzählt, formen sich sehr schlimme Gedanken und Ängste in mir, die ich jedoch vor ihm verberge. Er berichtet, dass er einst von der Tsahìk (spirituelle Clanführerin) des Clans, in dem er geboren wurde, erfahren hatte, dass er und seine beiden Brüder wohl niemals Kinder würden haben können. Er vermutet, dass es sich um eine Art von Krankheit handeln könnte, die eine derartige Störung bei jungen Männern hervorruft. Lange schauen wir uns an, denn gerade gestern hatten wir, als wir auf Tsìlpey aufgepasst hatten, noch darüber gesprochen. Ich hatte ihm gesagt, wie gerne ich einmal ein Kind haben möchte und er war auch nicht gerade abgeneigt gewesen.

Er erklärt mir dann, dass er aus genau diesem Grund von uns fort gegangen sei, da es ihn so traurig gemacht hätte, dass er hatte weinen müssen. Er wollte nicht, dass wir ihn so erleben und so sei er einfach in die Höhle gegangen. Zugegeben, es versetzt mir einen großen Schrecken, dies von ihm zu erfahren, aber dennoch tröste ich ihn und spreche ihm aufmunternd zu. Denn immerhin könnte es ja auch sein, dass sich eine solche Krankheit nur innerhalb eines Clans verbreitet. Da ich von einem ganz anderen Volk abstamme, so meine Idee, könnte es ja durchaus sein, dass sich die Prophezeiungen der Tsahìk (spirituelle Clanführerin) nicht unbedingt bestätigen müssen.

Wieder beginnt er zu weinen und ich spüre, wie es mir mein Herz immer weiter zuschnürt. Er fährt fort und in seiner Stimme liegt ein wenig Angst, als er berichtet, dass seine beiden Brüder und deren Frauen oftmals versucht haben, Nachwuchs zu bekommen, dass es aber außer ein paar Geburten, bei denen die Babys dann tot zur Welt kamen und die Frauen sehr krank dadurch wurden, nichts weiter geschehen sei. Seine beiden Brüder hätten es dann schließlich aufgegeben. Er versichert mir dann, dass er mir ein solches Schicksal um alles in der Welt ersparen will, nicht zuletzt, weil es auch meinen Tod bedeuten könnte.

In diesem Moment beantworten sich nun alle meine bisherigen Fragen fast von selbst und ich erkenne, dass er ein Ehemann ist, der sich um seine Frau sehr sorgt. Wieder wische ich ihm sanft seine Tränen aus dem Gesicht und spreche ihm tröstend Mut zu, indem ich ihm versichere, dass ich ihn immer lieben werde und dass es mir egal ist, ob ich nun sa'nu (Mama) werden sollte oder nicht. Jedoch erkläre ich ihm dann mit bestimmtem, aber dennoch liebevollem Ton, dass ich dieses Risiko, vielleicht auch ein totes Kind zur Welt zu bringen, auf mich nehmen würde. Der Wunsch in mir ist einfach zu groß und auch wenn es töricht sein mag, ich würde es zumindest einmal versuchen wollen.

Eine kleine Weile unterhalten wir uns noch und plötzlich geht zu meiner Verwunderung alles sehr schnell und ich bin in den ersten Augenblicken mehr als nur überrascht. Er nimmt mich plötzlich in seine Arme und seine Ängste und Sorgen, dass er mich enttäuschen könnte, scheinen völlig verflogen zu sein. Was nun folgt, ist an Zärtlichkeit, Zuneigung, Liebe und auch an fordernder Lust und Leidenschaft, wie ich glaube, nicht mehr zu übertreffen.

Wir lieben uns dann, wie ich es noch niemals bisher erlebt habe. Mit jedem Augenblick spüre ich, dass ich ihn immer mehr und mehr liebe und dass uns, außer der Tod, nichts um alles in er Welt zu trennen vermag. Die Zeit verfliegt nur so und wir sind, wie ich glaube, beide sehr froh, dass wir immer noch ganz alleine sind. 

Mittlerweile ist es schon wieder Nacht geworden und nur Eywa weiß, wieviel Zeit inszwischen vergangen ist, als wir uns atemlos auf unser gemeinsames Lager zurücksinken lassen. Als ich ich ihn zärtlich streichle, bemerke ich plötzlich etwas Blut an meinen Fingern. Er hat einige,leicht blutende Kratzer an einem Bein und ich muss mir eingestehen, dass ich mich beim besten Willen nicht entsinnen kann, wann und wie das passiert ist.

So gehe ich nach unten, um eine heilende Salbe zu besorgen, die ich meinem yawntu (Liebsten) dann rasch auftrage. Als wir dann wieder beisammen liegen, schmiege ich mich ganz eng an ihn. Aus heiterem Himmel rinnen mir dann plötzlich wieder einige Tränen aus den Augen, die an seinem Oberkörper hinab laufen. Er fragt mich, ob mir irgendetwas weh tun würde, aber ich versichere ihm dann, dass es dieses Mal Tränen der Freude sind, weil er mir so viel bedeutet und ich mich in seiner Nähe so wohl fühle, wie nirgendwo anders.

Mir fallen dann die Augen zu und auch Wina scheint sehr müde zu sein, denn als ich seinem Herzschlag lausche, bemerke ich, dass es sehr ruhig und gleichmäßig schlägt. Diesen Rhythmus spürend, schlafe ich dann ein. In einem letzten Gedanken danke ich unserer großen Mutter dafür, dass sie meinen und Winatarons Wege zusammen geführt hat.

Po yawne lu oer nì'ul'ul... (Ich liebe ihn immer mehr und mehr...)


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