Samstag, 6. April 2013

Keftxo sì nìtram / Glücklich und unglücklich

krro nìtram 'efu oe, kroo kroo 'efu oe keftxo
(Manchmal fühle ich mich glücklich,  manchmal fühle ich mich unglücklich)

In der letzten Zeit bin ich oft alleine in unseren Wäldern unterwegs, um Spuren lesen zu üben, neue Entdeckungen zu machen oder auch einfach nur, um meine Gedanken zu ordnen. Manchmal schaue ich mir auch die Steinhütten der sawtute (Himmelsmenschen) an, die nach und nach immer weiter zerfallen.

Auch heute streife ich wieder alleine durch den Wald. Kxìrya hat mir nun einiges über Pflanzen beigebracht, aber als sie mich gestern, als ich das Lager verließ, fragte, ob sie mich begleiten solle, lehnte ich dies ab. Ich mag sie und ich lerne auch sehr viel von ihr. Sie ist wirklich eine richtige Schwester für mich geworden, aber mich bedrückt in den letzten Tagen etwas ganz anders. Daher lasse ich sie im Lager zurück und mache mich alleine auf den Weg. Ich glaube aber, sie versteht mich...

Als ich dann später aus einem Versteck die Umgebung beobachte, fällt mir eine kleine Gruppe Yeriks (hirschähnliche Tiere) auf, die nahe einer kleinen Wasserstelle einen Platz gefunden haben, um sich auszuruhen. Teilweise sitzen sie auf dem Boden im hohen Gras oder sie wandern langsam umher. Ich verwerfe den Gedanken, eines von ihnen zu jagen, da wir noch genug Fleisch im Lager haben.

Es ist ein ruhiger Tag und die dünnen Lichtfäden der Sonne, die der dichte Wald über den Boden streichen lässt, lassen mich ein wenig über einige Dinge nachdenken. Sey, unser Olo'eyktan (Clanführer) nannte mich neulich einmal 'itan (Sohn) , was für mich eine wirklich große Ehre ist. Zeigt es mir doch wieder einmal, dass ich, obwohl ich noch 'eveng (Kind, Jugendlicher, hier Auszubildender) bin, dass ich im Clan akzeptiert werde. Ich gebe mir auch alle Mühe, die mir gestellten Aufgaben so gut wie möglich zu erledigen. Natürlich klappt nicht immer alles so, wie ich es mir vorstelle, aber ich weiß, dass ich mich auf die Hilfe der anderen verlassen kann, wenn ich sie brauche, wie es umgekehrt ebenso der Fall ist.

Seit ich hier in den Wäldern umher streife, ertappe ich mich oft bei Gedanken an Ma'wey und mir fällt auf, dass ich sie schon eine lange Zeit nicht mehr gesehen habe. Wo mag sie sein?  Jedenfalls spüre ich immer, wenn ich an sie denke, dass mein Herz ein wenig schneller schlägt. So trete ich schließlich, den Rückweg zum Lager an. Aber ich nehme nicht den direkten Weg, sondern beschließe, nach ihr zu suchen. Vielleicht treffe ich sie ja irgendwo da draußen?

Viel Zeit ist inzwischen vergangen, als ich mich dann dem Lager nähere. Im Schein des Feuers sehe ich einige Silhouetten, die sich vor den Flammen abheben, höre entfernte Stimmen und Gelächter und frage mich, ob sie wohl gerade etwas feiern?

Als ich dann näher heran gehe, erkenne ich Sey, Kxìrya und sie, Ma'wey. Sogleich beginnt mein Herz schneller zu schlagen, aber ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen. Am liebsten würde ich mich gleich dicht neben sie setzen, aber ich suche mir bewusst einen Platz, der etwas entfernt von ihr ist. Ich begrüße die drei recht knapp, da ich auch ein wenig müde bin und schlage Kxìryas Angebot, etwas von ihrem neuen Saft zu trinken, aus.

Ich muss mir große Mühe geben, Ma'wey nicht unentwegt anzuschauen und stelle dann fest, dass es scheint, als bedrücke sie etwas, über das sie jedoch nicht spricht. Überhaupt ist sie sehr still heute und ich frage mich mit einem leicht unglücklichen Gefühl, ob es vielleicht an mir liegt?  Ist sie vielleicht auch betrübt, weil ich oft unterwegs bin und nicht selten auch über Nacht fort bleibe?

Sie berichtet in knappen Worten auf Kxìryas und Seys Frage, dass sie nach einem besonderen Yerik gesucht hätte, dass ihre Suche aber leider bisher erfolglos geblieben sei. Dann sagt sie nicht mehr viel und scheint etwas in sich gekehrt zu sein.

Sey und Kxìrya hingegen ergötzen sich an dem Saft, der wohl außer einem guten Geschmack noch etwas anderes in sich birgt, denn die beiden werden immer lustiger und ihre Sätze werden immer unverständlicher und sie scheinen ab und zu auch etwas den Zusammenhang zu verlieren.

Etwas unglücklich macht es mich dann, als, hervorgerufen durch diesen Saft, das Thema auf Nay, meinen verschollenen Bruder, gelenkt wird. Die beiden machen einige Späße über ihn, was mir in meiner momentanen Stimmung etwas auf die Nerven geht. Aber ich sehe es ihnen nach, denn normalerweise würden sie niemals so über jemanden reden und ihre Witze machen. Aber es tut mir doch im Herzen etwas weh, denn ich vermisse Nay sehr und wünsche ihm insgeheim, dass die große Mutter ihn beschützen möge.

Auch wenn es mir ein wenig schwer fällt, aber ich geselle mich dann, als Ma'wey nach einiger Zeit schlafen geht, ohne sich jedoch, wie wir es eigentlich von ihr kennen, von uns zu verabschieden, zu Sey und Kxìrya, schlage aber Seys weiteres Angebot, den Saft doch einmal zu kosten, abermals aus.

Irgendwie tut es richtig gut, die beiden mal so ausgelassen zu sehen und dass sie nicht mehr ganz Herr ihrer Sinne sind. Sey scheint, obwohl er auf einem Fell liegt, zu glauben, er sitze auf einem Pa'li (Schreckespferd) und Kxìrya kriecht auf allen Vieren herum, weil sie offensichtlich nicht mehr aufrecht laufen kann.

Bei dem Versuch, sich aufrecht hinzusetzen, verliert Sey dann das Gleichgewicht und krallt sich haltsuchend in meinem Oberschenkel fest, was mich kurz laut aufschreien lässt. Als er mich dann jedoch mit glasigem Blick um Vergebung bittend anschaut und mich abermals mit 'itan (Sohn) anredet, ist der Schmerz verflogen und ich erwidere dies, indem ich ihn sempul (Vater) nenne.

Nach und nach setzen wir uns dann immer enger zusammen und bald sitzen wir dicht an dicht nebeneinander am Feuer. Ich in der Mitte, rechts Kxìrya und links Sey, die mir beide ihre Arme um die Schulter legen. Ich fühle mich glücklich. Mir fallen schon fast die Augen zu und ich bekomme nur noch schläfrig mit, dass Kxìrya uns eine angenehme Nacht wünscht. Mein letzter, von etwas zwiespältigen Gefühlen begleiteter Gedanke, bevor sich dann auch endgültig vom Schlaf übermannt werde, gilt Ma'wey...

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