Montag, 22. April 2013

Tsìlpey yawne lu oer / Ich liebe Tsìlpey

'ite ahì'i Kee'laneeyä yawne lu oer nì'ul'ul sì muntxatan oeyä nìteng.
(Ich liebe Kee'lanees kleine Tochter immer mehr und meinen Mann ebenso.)

Hatte ich gehofft, heute neben meinem muntxatan (Ehemann) aufwachen zu dürfen, werde ich enttäuscht als ich erwache, denn ich bin allein. So stehe ich, nachdem ich mich noch einige Momente ausgestreckt habe, auf und gehe nach unten vor unsere Höhle. Da ich dort ebenfalls niemanden antreffe, beschließe ich zu dem Felsen zu schwimmen, der mitten in unserem Fluss steht und mich darauf nieder zu lassen, um einige Zeit dem Wasserfall und seinen wunderschönen Farbenspielen zuzusehen. Ich verfalle etwas in Gedanken, aus denen ich jedoch bereits nach kurzer Zeit durch einen Gruß gerissen werde. Es ist Kee'lanee, die mir freundlich Zuruft und ich schwimme zu ihr hinüber.

Nach einer sehr herzlichen Begrüßung legt sie mir ihr Töchterchen Tsìlpey in die Arme, was mein Herz gleich etwas höher schlagen lässt. Sie weiß genau, dass mein Herz an dem kleinen Mädchen hängt. Tsìlpey wird von Tag zu Tag größer und hübscher und wenn ich sie mal einige Tage nicht gesehen habe, bemerke ich dies umso deutlicher. Als wir gerade zu unserem Feuer hinüber gehen, stößt Sey zu uns. Natürlich muss er seine Tochter ebenfalls erst einmal begrüßen und ich sehe in den Augen der Kleinen ein Funkeln, als er sich zu ihr herunter beugt.

Txuratxan taucht dann auch plötzlich auf. Er war, wie er uns erklärt, wieder im Wald unterwegs und bittet um unsere Hilfe. Er macht einen etwas verzweifelten Eindruck und berichtet, dass er ein Yerik (hirschähnliches Tier) jagen wollte, es jedoch nur angeschossen habe, sodass das verwundete Tier sich in den Wald habe flüchten können. Er ist überaus bedrückt darüber und erklärt, dass er sich die größte Mühe gegeben hat und dass er es sich nie verzeihen würde, wenn dieser tsmukan (Bruder) nun qualvoll verenden müsse. Er bittet uns alle, ihm bei der Suche behilflich zu sein, damit wir das Tier von seinen Qualen erlösen können.

Ich finde den Respekt, den er diesem tsmukan (Bruder) gegenüber beweist und dass er offen auf uns zu kommt und uns um Hilfe bittet, sehr aufrichtig. Sey, Kee, sowie auch ich sprechen ihm aber gut zu und versuchen ihn zu trösten. Er hat es nicht absichtlich gemacht, erklären wir ihm und dass Eywa sicherlich einen Grund dafür hat, dass diese Jagd so verlaufen ist, denn Eywa tut nicht ohne Grund. Txu jedoch will scheinbar davon nichts hören und gibt sich allein daran die Schuld. Schließlich brechen Kee und Sey zusammen mit ihm auf, um nach dem verwundeten Tier zu suchen, während ich mit Tsìlpey hier am Feuer bleibe, um auf sie aufzupassen.

Die Kleine ist wirklich aufgeweckt und wenn sie mich mit ihren gelben Augen ansieht, gibt es fast jedes Mal einen kleinen Ruck in meinem Herzen. Ob Eywa mir vielleicht auch einmal ein solches Geschenk bereiten wird?  Diese Frage stelle ich mir so oft, komme aber immer wieder zu der Erkenntnis, dass dies allein in der Hand unserer großen Mutter liegt. So spiele ich mit ihr, lasse sie auf meinen aufgestellten Kknien reiten, brabble mit ihr und singe für sie alte Lieder, die ich aus meiner Kinderzeit noch kenne.

Zwischendurch brabbelt sie immer wieder Worte wie: "Nununu..." oder "Keheeee..." und immer wieder spreche ich ihr vor: "Sa'nu" und "Kee". Ich bin schon richtig auf Kees Reaktion gespannt, wenn sie ihre Mutter zum ersten Mal beim Namen nennt. Das muss für eine Mutter ein großer Moment sein, stelle ich mir vor.

Es dauert eine ganze Weile, bis die Anderen dann aus dem Wald zurückkehren. Txu trägt, dabei prustet er unter dem Gewicht etwas, ein Yerik (hirschähnliches Tier) auf seinen Schultern. Er ist sehr kräftig, stelle ich wieder einmal fest, denn diese Tiere sind nicht besonders leicht zu tragen. Er legt seine Beute an dem Platz ab, wo wir unsere Beute ausnehmen und zur weiteren Verarbeitung vorbereiten, dann setzt er sich zu uns ans Feuer, um erst einmal etwas zu verschnaufen. Kee und Sey setzen sich ebenfalls zu uns und Kee berichtet dann, dass etwas merkwürdiges geschehen sei, das sie bisher auf noch keiner Jagd erlebt hätte.

Sie erzählt, dass während der Suche nach Spuren, die zu dem angeschossenen Yerik (hirschähnliches Tier) führen könnten, urplötzlich eine große Anzahl von Atokirina' (Saat des heiligen Baumes) hinab geschwebt seien und die Drei zu dem toten Tier geführt hätten. Sey, Kee und Txu, die dann neben dem Tier hockten, um Eywa zu danken und sich bei ihm, unserem tsmukan (Bruder) zu entschuldigen, haben dann miterlebt, dass diese Atokirina sich dann auf Txuratxan zu bewegten und für ein paar Augenblicke fast seinen ganzen Oberkörper umhüllten. Kee vermutet, dass dies ein ganz besonderes Zeichen unserer großen Mutter war und beschließt, Eywa in den nächsten Tagen aufzusuchen, um mit ihr darüber zu reden.

Während wir uns so unterhalten, beginnt Txu, seine Beute zu häuten und zu zerlegen. Er macht seine Sache wirklich gut und Sey bemerkt, dass er wirklich schnell lernt und dass er Dinge, die man ihm einmal gezeigt hat, nicht so schnell wieder vergisst. Auch das hatte ich mit Txu schon selber erlebt. Er muss einen Weg nur einmal gegangen sein, um dann jederzeit wieder zum selben Ort zu gelangen. Also ich finde das schon bemerkenswert, denn ich habe mich schon einige Male fast verlaufen, obwohl ich den Weg eigentlich hätte kennen müssen. Aber Txu scheint irgendwie Bilder in seinem Kopf festhalten zu können. Bilder von Orten und Dingen, an die er sich dann sofort und jederzeit wieder erinnern kann. Für einen Jäger ist eine solche Gabe sehr hilfreich, wenn ich genau drüber nachdenke und daher wird Txu bestimmt mal ein ausgezeichneter Jäger werden, vermute ich.

Auch Tsìlpey scheint unserem Gespräch aufmerksam zu lauschen, denn sie beginnt mit ihren kleinen Ärmchen in der Luft herumzuwinken und zu lachen. Ich weiß nicht, weshalb, aber ich muss sie einfach an mich drücken. Wäre Winataron doch nur jetzt hier...

Ich werde etwas jäh aus meine Gedanken gerissen, als mir etwas auf meine Wange klatscht. Tsìlpey hat wieder gejagt, stelle ich fest, und sie hat etwas erbeutet. Es war ihre kleine Hand, die mich, wohl eher zufällig getroffen hat. Aber die Kleine lacht, als wollte sie sagen: "Da! Ich hab Dich gekriegt!"  Ich spiele die Schwerverletzte und stöhne gespielt auf: "Aaaahhhwww...", was sie zu noch lauterem Lachen anregt. Ich glaube, ihr werde ich niemals im Leben irgendetwas böse nehmen können, egal, was sie auch anstellen mag. Im Stillen muss ich mir eingestehen, dass sich sie wirklich liebe, als wäre sie mein eigenes Kind.

Txu ist dann irgendwann fertig mit seiner Beute. Er legt das frische Fleisch auf zahlreiche Blätter, wickelt einige Stücke darin ein und trägt alles in unsere Höhle. Die kühle Luft dort wird dafür sorgen, dass sich das Fleisch einige Zeit lang hält. Er macht seine Sache wirklich gut und ich hoffe sehr, dass Sey ihm bald erlauben wird, sein Iknimaya (Prüfung für Jäger und Krieger) zu machen.

Der Tag verging irgendwie sehr schnell und ich frage mich, als wir uns dann alle aufmachen, um zur Höhle zu gehen, wo die Zeit geblieben ist?  Über unser Tal senkt sich wieder die Nacht und ich glaube wir alle schauen auf einen Tag zurück, der uns wieder viel Neues gebracht hat. Auf alle Fälle hat er wieder einmal gezeigt, dass die Rey'engya sich gegenseitig helfen und alle füreinander da sind und dass über uns allen, unserem Tun und Handeln Eywa, unsere große Mutter, steht.

Kee schaut mich mit sehr liebem und wohlwollendem Blick an und fragt mich, ob ich Tsìlpey über Nacht zu mir nehmen möchte. Eigentlich wäre dies keine Frage wert, denn ich würde sie am liebsten jede Nacht zu mir nehmen. Trotzdem gebe ich Kee ihr Töchterchen zurück, wobei ich mich wirklich dazu überwinden muss, aber ich erkläre Kee, dass ich es für besser halte und für wichtiger, wenn ein kleines Kind bei seiner sa'nok (Mutter) und seinem sempul (Vater) schläft. Mein Herz jedoch spricht etwas anderes, das ich aber nach außen hin verberge...  Ich denke, wenn sie etwas größer geworden ist, werde ich sie einmal zu mir nehmen, wenn Winataron dem zustimmt, was ich aber fest glaube, denn er mag Tsìlpey auch sehr gerne. Ich hoffe nur sehr, dass er heute Nacht zu mir zurück kehrt...

So lege ich mich in meinen Cocon, aber schlafen kann ich einfach noch nicht. Schließlich, alle anderen schlafen bereits, stehe ich noch einmal auf und gehe zu der Brücke, die über den Fluss zum Baum der Seelen führt. Vor dem Wasserfall sitzend beobachte ich, wie im Schein des Lichtes der in der näheren Umgebung stehenden Pflanzen die abertausenden Wassertropfen ein wundervolles Farbenspiel vollführen. Mit Gedanken an Tsìlpey und meinen muntxatan (Ehemann) werde ich irgendwann dann doch vom Schlaf übermannt...

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