Dienstag, 23. April 2013

Eylan amip / Ein neuer Freund

Syaksyuktsyìpil frrfen ayoet ulte ayoer tìprrrte' lu nìtxan pohu
(Ein Äffchen besucht uns und wir haben viel Spaß mit ihm.)

Irgendein Geräusch weckt mich, doch ich fühle mich, als wäre ich an einem fremden Ort. Erst nach und nach entsinne ich mich dann, dass ich ja, nachdem wir gestern alle zum Schlafen in die Höhle gegangen waren, noch einmal aufgestanden und hierher, auf die Brücke vor unserem Wasserfall, gekommen war. Nur sehr langsam finde ich meine Orientierung wieder, stehe schließlich auf und gehe zum Feuer hinüber, an dem ich einige Gestalten sitzen sehe.

Als ich näher komme, erkenne ich Kee'lanee, Sey und die kleine Tsìlpey. Doch ich lasse meinen Kopf etwas hängen und begrüße sie nur, recht tonlos, mit einem: "Kaltxì, ma pxesmuk." ("Hallo, Ihr drei.") und lasse mich an einem Baumstamm, meine Beine ausstreckend, auf den Boden plumpsen. Klar fragt mich Kee sofort, was denn los sei, doch ich antworte ihr ausweichend: "Ich... Ach nichts weiter..." entgegne ich etwas niedergeschlagen, "Ich bin nur etwas enttäuscht."

Dass ich etwas enttäuscht darüber bin, dass mein muntxatan (Ehemann) nirgends zu sehen ist und dass ich vermutlich wieder den Tag, den Abend und auch die darauf folgende Nacht, obgleich im Kreise der Rey'engya, dennoch aber allein verbringen werde, verschweige ich. Ich möchte niemandem mit meinen kleinen Sorgen zur Last fallen und sicher gibt es, wie immer bisher, einen Grund für sein Fernbleiben. Ich hoffe nur, dass es nichts mit mir, uns beiden oder einem schlimmen Ereignis zu tun hat...

Als ich mich dann doch, um nicht den ganzen Tag schlecht gelaunt herumzulaufen, aufraffe und mich zu den Dreien setze, um ein wenig mit Tsìlpey zu spielen, höre ich plötzlich hinter mir die tiefe, markante  Stimme des Liebsten, was ich auf der Welt habe. Mein yawntu (Liebster) ist zurückgekehrt. Natürlich umarme und begrüße ich ich ihn sehr liebevoll, was er auch ebenso liebevoll erwidert. Dann setzen wir uns gemeinsam zu Sey, Kee und der Kleinen und Winataron setzt sich auf einen Baumstamm, sodass ich mich zwischen seinen Beinen an ihn lehnen kann. Ich mag es, so mit ihm am Feuer zu sitzen.

Dann bemerken wir plötzlich ein Geräusch, das von Tsìlpeys Wiege aus zu kommen scheint. Sey geht sofort in eine lauernde Stellung, ich stehe auf und ziehe vorsichtshalber meinen Bogen und Kee nimmt ihr Töchterchen schützend in ihre Arme. Zunächst können wir nichts erkennen. Nach einer Weile jedoch entdecken wir einen kleinen syaksyuk (Affen), der scheinbar fröhlich, dabei jedoch mit sehr wachsamem Blick um unser Feuer herum schleicht.

Sey gibt uns ein Zeichen, absolut ruhig zu sein, um das Tier nicht zu erschrecken und zu verjagen. Ich entgegne Sey, ebenfalls nur deutend, dass ich etwas versuchen möchte, denn ich vermute, dass es der gleiche Affe ist, der neulich überraschend zu dem schlafenden Txu ans Feuer gehuscht kam, um dessen angebissene Frucht zu stibitzen. Als der kleine Kerl sich dann, uns dabei genau beobachtend, glucksend auf einen unserer Holzblöcke hockt, schleiche ich mich von der Seite an ihn heran. Wie beim letzten Mal habe ich mir rasch eine kleine Frucht gegriffen, um ihn damit vielleicht anlocken zu können. Vielleicht gelingt es mir ja dieses Mal?

Ich bemerke, dass Sey und Kee mich gespannt beobachten, konzentriere mich jedoch auf das Tier. Sehr langsam und lautlos schleiche ich mich Stück für Stück immer näher an ihn heran, doch er bemerkt mich schließlich. Zu meinem Erstaunen läuft er diesmal jedoch nicht davon, sondern starrt interessiert auf die Frucht in meiner Hand. Doch die Angst scheint noch bei ihm zu überwiegen und so übe ich mich in Geduld und Ruhe und warte einfach ab, lasse ihm Zeit zu erkennen, dass ich ihm nichts böses antun werde. Ich versuche, ihm leise und sehr ruhig zuzureden: "Taaaam... ma tsmukan... Txopu rä'ä si..." ("Guuut, Bruder... Hab keine Angst...")

Es dauert ganz schön lange, da kommt er einen Schritt auf mich zu, streckt seinen kleinen Arm nach mir aus, wobei er sich sehr lang machen muss, und versucht nach der Frucht zu greifen. Ich halte sie jedoch so weit von ihm weg, dass er sie gerade eben nicht erreichen kann, was ihn etwas böse werden lässt. Schließlich überlasse ich ihm aber seine Beute, denn ich finde es gehört eine Menge Mut dazu, sich mitten in eine Gruppe viel größerer Lebewesen zu begeben.

Langsam und vorsichtig setze ich mich wieder zu meinem yawntu (Liebsten)  und schmiege mich mit meinem Kopf etwas an seinen Bauch, während er mir fürsorglich Schultern und Rücken etwas massiert. Es ist ein wundervolles Gefühl, seine starken Hände zu spüren und ich möchte es am liebsten jetzt sehr lange  genießen, so bei ihm zu sitzen. Doch ich versuche dann noch etwas anderes, um das Vertrauen des syaksyuktsyìp (Äffchens) zu gewinnen.

Tsìlpey ist von dem Tier einerseits wohl sehr begeistert, andererseits scheint sie ihn auch sehr skeptisch zu betrachten. Ein solches Tier hat sie ja bisher auch noch nie bei uns gesehen. Sey und Kee beobachten Sie Szene sehr intensiv und haben wohl auch Freude daran, wie ich zu bemerken glaube.

Ich greife mir einige Beeren aus einer Schale und schnippe sie dem kleinen Besucher so hin, dass sie eine Spur bis fast zu mir und Winataron legen und warte ab, ob das Tier sich auf meinen Plan einlässt. Immer wieder rede ich beruhigend auf ihn ein, dass er nichts zu befürchten habe. Zunächst sehr zaghaft, dabei immer um sich schauend und glucksend greift er sich eine Beere nach der anderen und kommt dabei immer näher auf uns zu. Es scheint zu klappen, stelle ich etwas überrascht fest...

Kurz bevor er dann bei uns angekommen ist, hält er inne und ich habe schon fast den Verdacht, dass er jetzt gleich in Richtung Wald losrennen wird, aber er kommt dann weiter auf mich und Wina zu. Sehr langsam ertaste ich, dabei immer das Tier im Blick haltend, eine etwas größere Beere in meiner Schale und nehme sie zwischen zwei Finger.

Glucksend und ab und zu etwas quiekend bewegt der kleine sich Stück für Stück auf uns zu und schließlich sitzt er mir fast gegenüber und ich kann in seine großen, kreisrunden Augen schauen, die mich anblicken als wollten sie sagen: "War das alles? Ich habe Hunger!"  So halte ich ihm die Beere, zwischen meinen beiden Fingern haltend, hin und warte ab, ob er den Mut dazu hat, sie mir abzunehmen. Er tut es, doch ich halte die Beere etwas fester, als er wohl gedacht hat, sodass er sie mir nicht wegnehmen kann. Sich wohl darüber ärgernd, fängt er etwas lauter an zu quieken und so gebe ich ihm seine Beute schließlich. Er hat sie sich wirklich verdient. 

Tsìlpey hat, glaube ich, dann doch etwas Angst vor dem Affen, der immerhin fast ihre Größe hat, denn sie fängt etwas an zu weinen. Doch Kee tröstet sie mit einer besonders süßen und leckeren Frucht und unsere kleine Jägeri lässt sich mit so etwas Gutem nur zu gerne überreden, nicht mehr zu weinen. Ich halte meine Hände nun so, dass unser Besucher über sie bis zu meinen Schultern hinauf klettern könnte, überlasse ihm aber ganz alleine die Entscheidung, dies auch zu tun. Er hat heute bereits so viel Mut bewiesen, dass man mehr eigentlich gar nicht erwarten kann und auch sollte.

Nach einigen sehr skeptischen Blicken von ihm, fällt dann offenbar auch noch das letzte Bisschen Angst von ihm ab und mit zwei oder drei schnellen Sätzen hockt er dann glucksend auf meiner Schulter. Wenn das Txuratxan jetzt sehen könnte, denke ich bei mir. Er würde sich bestimmt sehr darüber freuen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass uns der kleine Kerl wohl noch öfter besuchen wird, denn Kee, Sey und ich kommen zu dem Schluss, dass er wohl offenbar ganz alleine hier irgendwo lebt und vielleicht sucht er auch nach einer neuen Familie, bei der er sich geborgen und sicher fühlen kann?

Ich, nein wir werden ihm dabei bestimmt nicht im Wege stehen und wer weiß, vielleicht freunden sich Tsìlpey und er ja miteinander an, wenn sie einmal etwas älter ist und den Umgang mit ihm gelernt hat. Sey bemerkt ebenfalls lächelnd: "Der Clan der Rey'enya wird langsam immer größer."  Er hat Recht, stelle ich fest, denn ganz gleich ob er nun ein Tier ist oder einer von uns, er ist ein 'eveng (Kind) unserer großen Mutter und damit unser tsmukan (Bruder).

Erst als Sey und Kee aufstehen, um sich schlafen zu legen, ergreift der kleine syaksyuk (Affe) die Flucht und wir hören, wie seine glucksenden und quiekenden Laute langsam im dichten Wald verschwinden. Die beiden sind ihm dann wohl dich etwas zu groß, als sie plötzlich vor ihm stehen. Ich muss etwas lächeln, nehme dann aber ebenfalls Winatarons Hand uns stehe mit ihm zusammen auf, um ebenfalls zur Höhle zu gehen.

Unter dem bogenförmigen Eingang unserer Höhle umarme ich ihn noch einmal zärtlich, küsse ihn innig und flüstere ihm zu, dass ich heute nicht beabsichtige, wieder alleine auf der Brücke schlafen zu wollen. Während er mir sehr sanft über den Rücken streichelt und meinen Kuss erwidert, versichert er mir, dass er heute bestimmt nirgendwo anders, als bei mir schlafen wird.

Oben angekommen, legen wir uns in unseren Cocon und umarmen uns sehr eng. Ich mag es, wenn er sich an mich schmiegt und wenn ich dies bei ihm ebenso tun kann. Tsìlpey brabbelt noch etwas, doch dann ist alles still und ich muss sehr leise flüstern, da es nur für ihn bestimmt ist, als ich ihm sage: "Nga yawne lu oer frakrr, ma muntxatan oeyä." ("Mein Mann, ich liebe Dich für alle Zeit.")  Nicht wissend, ob er meine Worte noch hört, bin ich aber umso sicherer, dass er sie umso deutlicher spürt, als ich ihn etwas an mich drücke...

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