Donnerstag, 4. April 2013

Sa'nok / Mutter

Dallan oer syaw san sa'nok sìk
(Dallan nennt mich "Mutter")

Ein lautes Geräusch reißt mich aus meinen Träumen und ich versuche,  zunächst noch etwas verschlafen, zu lokalisieren was es war und woher es kam. Es kam aus Richtung unseres Holztorbogens, der am Eingang zu unserem Lager aufgebaut ist. Demzurfolge, so meine Überlegung, müsste es eigentlich Dallan, der sawtute (Himmelsmensch) sein, denn nur er kommt nicht einfach in unser Lager hinein gelaufen, sondern macht sich immer zuerst durch ein Klopfen bemerkbar.

Doch ich kann noch nicht gleich zu ihm gehen, denn ich spüre immer noch die Gedanken und Eindrücke der letzten Nacht in mir. Ich hatte mich mit meinem muntxatan (Ehemann) Winataron verbunden und wir waren dann zusammen an unserem Feuer eingeschlafen. Wie ich es fast schon vermutet und auch gehofft hatte, war dies eine ganz besondere Nacht, die ich wohl mein Leben lang nicht mehr werde vergessen können.

Erst jetzt bemerke ich, dass ich immer noch nicht vollständig angezogen bin. Da wir alleine waren und außerdem nach dem Schwimmen im Fluss noch recht nass waren, hatten Wina und ich uns notdürftig etwas übergezogen und uns dann gemeinsam hingelegt. Also suche ich in aller Eile meine Sachen zusammen, ziehe mich hastig an und hänge mir dann meinen Bogen über die Schulter, um dann zum Torbogen zu gehen, wo ich von dem tawtute (Himmelsmenschen) schon erwartet werde.

Wir begrüßen uns, wie immer, freundlich und respektvoll. Dann tut er etwas, das mir mein Gesicht etwas violett anlaufen lässt, denn er sagt zu mir: "Oel ngati kameie ma sa'nok." ("Ich sehe Dich, Mutter."). Sehr erstaunt und etwas verwirrt frage ich ihn, wie er dazu kommt, ausgerechnet mich sa'nok (Mutter) zu nennen, denn schließlich bin ich ja nicht seine Mutter. Mit einem Blick, in dem ein bestimmter Wunsch zu liegen scheint, erzählt er mir dann, dass ich während der langen Zeit, die wir uns jetzt doch inzwischen schon kennen, eine Art Vertraute für ihn geworden bin und, dass eywa'eveng (Pandora) ja nun jetzt seine neue Heimat geworden ist, weil er wohl nie mehr in seine Welt wird zurückkehren können, betrachtet er unseren Clan wohl als eine Art  Familie. Ob ich mich jedoch daran gewöhnen kann, von einem tawtute mit sa'nok angesprochen zu werden?  Mir ist ein wenig unwohl dabei, ich kann nicht einmal genau begründen, weshalb.

Er erklärt mir dann, dass er uns ein kleines Geschenk gemacht hat und bittet mich, dieses anzuschauen und ihm meine Meinung dazu zu sagen. Allerdings muss ich ihn dazu in die Menschensiedlung begleiten, was ein wenig Unbehagen in mir auslöst. Doch ich folge ihm schließlich, da er mich und auch den Rest der Rey'engya (Clan), solange wir nun hier in unserem Tal mehr oder weniger miteinander leben, noch niemals hintergangen oder in eine Falle gelockt hat.

Zunächst sehe ich jedoch, als wir bei der Menschensiedlung ankommen, aus nächster Nähe, was unsere große Mutter dort mit den Steinhütten angerichtet hat. Alle Hütten sind von zum Teil dichten Moosen, Gräsern, Ranken und von vielen Blumen und Farnen bewachsen und auch der Weg, den die sawtute aus dunklem Stein gebaut haben, ist an vielen Stellen zerbrochen und aus unzähligen Rissen und Spalten wachsen alle möglichen Arten von neuen Pflanzen. Eywa (die große Mutter) wird sich, auch wenn es sehr lange dauern sollte, nach und nach alles zurück holen, davon bin ich jetzt, da ich es direkt vor mir sehe, noch überzeugter, als zuvor.

Dallan führt mich dann zu einer Stelle, an der sehr große Löcher und tiefe Risse im Boden sind. Es scheint einer der Plätze zu sein, auf denen sie immer mit ihren Metallikranen gelandet sind, von denen auch seit geraumer Zeit keiner mehr am Himmel zu entdecken war. Doch der Himmelsmensch korrigiert meine Vermutung und erklärt mir, dass er diese tiefen Löcher selbst gegraben hätte, um dort einige neue Pflanzen wachsen zu lassen. Natürlich untersuche ich die jungen Pflanzen sogleich, muss aber feststellen, dass sie einen kräftigen Eindruck machen. Dallan erläutert mir währenddessen, dass er die Samen selber im Wald gesammelt und dass er die Sprösslinge in einer seiner Hütten selber aufgezogen hätte. Dafür muss ich ihn einfach loben, denn so etwas hat bisher keiner der sawtute (Himmelmenschen) für uns getan.

Trotzdem fühle ich mich in der Menschensiedlung etwas unwohl und so bitte ich Dallan schließlich, mich zum Feuer zurück zu begleiten, dem er auch zustimmt. Auf dem Rückweg beschließe ich dann, nicht die Brücke zu benutzen, sondern den Fluss schwimmend zu überqueren. Als ich am anderen Ufer ankomme, ist Dallan offenbar ebenfalls im Wasser, denn ich sehe ihn nirgends. So schaue ich nach, ob ich ihn unter Wasser entdecken kann, denn es könnte ihm ja auch etwas zugestoßen sein.

Als mich dann plötzlich eine, nämlich seine, Stimme von hinten anspricht, erschrecke ich ein wenig und fahre hastig herum. Dallan wollte sich einen kleinen Spaß mit mir machen, aber indem ich mich recht hastig umdrehe, peitsche ich ihm, natürlich ohne jede Absicht, mit meinem langen Schwanz vor die Schulter, sodass er Mühe hat, sich auf den Beinen zu halten. Aber wir beide lachen dann über diese Situation und ich renne in langen, geschmeidigen Schritten zum Lager zurück. Dallan folgt mir...

Im Lager angekommen, klettere ich rasch auf einen hohen Baum, um mir nun auch mal einen kleinen Spaß mit ihm zu erlauben. Ich schiebe mich langsam, auf einen langen Ast liegend, nach vorn und beobachte ihn, wie er ins Lager kommt. Er sieht mich nicht und schaut sich etwas ratlos um. Eine Zeit lang beobachte ich ihn, doch ich muss feststellen, dass der Ast, auf dem ich liege, ein wenig nachgiebig ist und sich langsam nach unten neigt. Bevor ich jedoch unfreiwillig herunter rutsche, beschließe ich, abzuspringen und lande, mich dabei weich in den Knien abfedernd, nur einen Schritt von Dallan entfernt, direkt vor seinen Füßen.

Dallan macht ein Gesicht, als wäre er einem Palululkan (Thanator) begegnet. Wieder lachen wir beide, setzen uns aber dann ans Feuer und ich lasse ihn von einem Saft kosten, den ich erst vor kurzer Zeit eher ein wenig zufällig zusammengemischt hatte und der es ganz schön in sich hat. Mir war es bereits beim Mischen und Probieren ein wenig in den Kopf gestiegen. Wir trinken also gemeinsam, wobei Dallan ja zum Trinken immer sein Atemgerät abziehen muss und reden noch etwas miteinander. Dallan prustet ein wenig und seinen Ausspruch: "Ma Kxìrya, der haut aber rein!" muss ich mir von ihm erläutern lassen, da ich zunächst etwas anderes darunter verstehe.

Als er sich dann später verabschiedet, schlägt er mein Angebot, dass er hier an unserem Feuer übernachten könne, zunächst aus. Etwas später jedoch kommt er darauf zurück und ich spüre, dass ich abermals etwas violett anlaufe, als er sich mit den Worten: "Txon lefpom ma sa'nok ulte Eywa ngahu." ("Gute Nacht, Mutter und möge Eywa mit Dir sein.") von mit verabschiedet, als ich zu Wina in die Höhle hinein gehe...

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