Sonntag, 14. April 2013

Nìrangal moer layu prrnen / Ich wünschte, wir hätten ein Baby

Srake nìrangal kawkrr Winataron sì oe ke layu sa'sem?
(Werden Winataron und ich niemals Eltern werden?)


Ich stehe auf dem großen Baum, der auf unserer Höhle steht, die unser Clan bewohnt und schaue in den abendlichen Himmel hinauf. Die wenigen, nur wie feine Dunstschwaden aussehenden Wolken, die langsam über mich hinweg ziehen, werden von dem Rot der Abendsonne fast vollständig eingehüllt. Die ersten Sterne werden als schwach leuchtende Punkte erkennbar. Ich wende meinen Kopf zurück und schaue hinauf zu den Iknimayafelsen (schwebende Felsen). Manchmal kann ich sie sehen, die Ikrane (Banshees), wie sie dort oben ihre Kreise ziehen. Hin und wieder kommen sie auch schon einmal fast bis in unser Tal hinab. Dann hört man ihre krächzenden Rufe. Oft frage ich mich dann, ob sie dann nach uns schauen und nach uns rufen?  Schickt Eywa sie vielleicht, um uns zu beschützen oder um uns zu zeigen, dass sie, die große Mutter, uns beschützt?
Mich wieder nach vorn, der untergehenden Sonne zuwendend, kommt mir das Gespräch mit Winataron, meinem muntxatan (Ehemann) in den Sinn, als er mir erzählte, dass wir vielleicht niemals eigene Kinder werden bekommen können. Es war sehr mutig und offen von ihm, mir dies alles zu erzählen und alleine dafür, für diese Offenheit, liebe ich ihn wieder ein bisschen mehr. Er ist ein so toller Mann, ich kann Eywa gar nicht oft genug dafür danken, dass sie unsere Wege hat sich kreuzen lassen.

Über mir flattern einige ayayo (Vögel) aus der Baumkrone auf und verschwinden kurz darauf im dichten Wald, der nicht sehr weit von unserem Lager entfernt beginnt. Es wird langsam Nacht und sie suchen sicherlich ihre Schlaf- und Brutplätze auf, die sich, sicher vor gefährlichen Räubern und Jägern, weit oben in den Kronen sehr hoher Bäume befinden. Es wird ruhig, fast still, sodass ich das Rauschen des Wasserfalls wahrnehmen kann, der unweit unseres Lagers den Fluss mit frischem Wasser versorgt.

Wie in letzter Zeit sehr häufig, kommen mir auch jetzt wieder Gedanken an Winataron, mich und ein Baby, das ich in meinen Armen halten kann, in den Sinn. Eine eigene, kleine Familie. Dieser Wunsch in mir ist allgegenwärtig und manchmal muss ich mich zwingen, nicht daran zu denken. Insbesondere dann, wenn ich, wie neulich, mit Txuratxan, unserem 'eveng (Kind, Jugendlicher, hier Auszubildender) unterwegs bin. Er ist sehr intelligent, lernt sehr schnell und ist sehr wissbegierig. Er fragt mich ab und an verschiedene Dinge, lässt mich aber zumeist erzählen, um es förmlich in sich aufzusaugen. 

Ich versuche es mir nie anmerken zu lassen, aber ich nutze fast jede sich mir bietende Gelegenheit, um Seys und Kees Töchterchen Tsìlpey, wenn auch nur für einige wenige Augenblicke, halten zu können. Natürlich weiß der ganze Clan von meinem Kinderwunsch, ich mache ja kein Geheimnis daraus und wir sprechen auch offen über alle Belange, auch über die eines jeden Einzelnen. Aber oftmals halte ich mich auch bei solchen Gesprächen zurück, weiche etwas aus oder versuche mich gedanklich von diesem Thema abzulenken. Jeder im Clan hat seine kleinen und großen Sorgen und da kann und will ich nicht immer wieder von dem selben Thema sprechen.
Doch es gibt auch Momente, in denen die Gefühle meines Herzens einfach stärker sind, als mein Verstand. Als Tsìlpey neulich fast den ganzen Abend in meinen Armen lag und ich sie umsorgen durfte, tat es mir nachher sehr weh in meinem Herzen, als ich sie an Sey zurückgeben musste. Ich war irgendwie richtig froh, dass ihr ein kleines Missgeschick passiert ist und dass ich mich daraufhin im Fluss waschen gehen musste.
Obwohl Sey danach bemerkte, dass mit mir etwas nicht stimmt, konnte ich meine Tränen, die ich in den Fluss vergossen hatte, vor ihm verbergen.
Hin und wieder reden Sey und ich, wenn wir alleine sind davon, was Tsìlpey einmal werden könnte. Wird sie eine Heilerin, wie ich? Wird sie eine tapfere und schnelle Jägerin wie ihr sempul (Vater) oder ihre sa'nok (Mutter)?  Ich bemerke dann oft in Seys Augen ein seltsames Funkeln und Glitzern. Er ist sehr stolz auf die Kleine und ebenso auf seine muntxate (Ehefrau) Kee. Sey versteht es immer wieder sehr gut, die richtigen Worte zu finden, wenn wir uns miteinander unterhalten. Er ist ein wirklich guter Olo'eyktan (Clanführer) und auch 'eylan (Freund), mit dem man über alles reden kann, ebenso wie Kee, unsere Tsahìk (spirituelle Clanführerin).

Ein lauter Schrei reißt mich aus meinen Gedanken und ich schaue nach oben in den nun fast dunklen, aber sternenklaren Himmel. Ich sehe zwar nur einen Schatten über mich hinweg gleiten, aber ich weiß, es war einer der Ikrane (Banshees), der über unser Tal hinweg geflogen ist. Ich denke an Ya'rrì (Kxìryas Ikran), der bei ihnen oben in den Bergen lebt. Auch ihn sehe ich, obgleich recht selten, hin und wieder über unser Tal hinweg fliegen. Wenn er mich auch bemerkt, zeigt er fast immer, wie gewitzt er ist, indem er irgendeinen Blödsinn veranstaltet. Mal lässt er sich im Sturzflug heranbrausend fast in den Fluss hinein fallen, um dann nur eine handbreit vor der Wasseroberfläche nach oben abzudrehen und mal pirscht er sich im lautlosen Gleitflug an, um dann mit einem fast ohrenbetäubenden Schrei dicht über mich hinweg zu fliegen. Ich bin sehr stolz auf ihn und weiß, dass ich, bei allem Unsinn, den er auch immer veranstaltet, mich immer auf ihn verlassen kann.

Doch auch diese kurze Begegnung reißt mich nur kurz von meinen Gedanken an Winataron und einem gemeinsamen Kind weg. Wieder schaue ich in den nun schwarzen Himmel hinauf und dieser Wunsch verdrängt fast alle anderen Gedanken in meinem Kopf. Warum muss ihm ein solch schweres Schicksal widerfahren?  Ist es für mich schon schwer, mich mit dem Gedanken abzufinden, auf ein eigenes Kind verzichten zu müssen, muss dieser Gedanke für ihn tausendfach schlimmer sein.

Sicher weiß ich jedoch, dass ich ihn immer lieben werde und dass ich, so lange wir leben, immer an seiner Seite leben will. Ob wir nun einmal ein Kind haben werden oder nicht. Wichtiger ist für mich, dass es ihn gibt, dass es uns gibt. Ich kann und werde ihm so viel Liebe, Zuneigung, Geborgenheit und auch Schutz geben, wie es in meiner Macht steht und wie ich es von ihm ebenso erfahre.

Denn für mich ist er das, was das Auge vielleicht nicht sieht: Ein stolzer Na'vi, ein tapferer und guter Jäger und ein liebevoller und zärtlicher muntxatan (Ehemann)...

Eywal hivawnu pot frakrr (Möge Eywa ihn allzeit beschützen)...



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