Montag, 15. April 2013

Eywari / Über Eywa

Eywarì oeyktìng oel Dallanur 'uot.
(Ich erkläre Dallan etwas über Eywa.)

Ich spüre, wie meine Hand sich nach Winataron ausstreckt und tastend über unser Lager streicht. Mit einem Satz schrecke ich hoch und bin im selben Moment hellwach.Wo ist mein muntxatan (Ehemann)?  Sofort schießen mir wieder tausend Fragen durch den Kopf und ich renne förmlich aus der Höhle, um nach ihm zu suchen. Wo ist er hingegangen?  Will er nur mal alleine sein?  Ist er im Wald unterwegs, etwa auf der Jagd?  Ist er vielleicht am Baum der Seelen?  Doch bevor ich mir auch nur eine meiner Fragen richtig selber stellen, geschweige denn beantworten kann bemerke ich, dass Dallan unter unserem Torbogen am Lager steht. Noch etwas in meine Gedanken vertieft gehe ich langsam auf ihn zu, um ihn zu begrüßen.

Es ist nun fast zur Normalität geworden, dass er mich respektvoll mit: "Kaltxì ma sa'ni." begrüßt. Bevor ich seinen Gruß jedoch erwidere, korrigiere ich ihn und sage freundlich: "Ma Txällän, es muss sa'nu (Mama) oder sa'nok (Mutter) heißen." und versuche ein leichtes, freundliches Lächeln aufzusetzen. Doch er bemerkt, dass mich etwas anderes beschäftigt und, obwohl ich ihm zunächst ausweichend begegne, lässt er nicht locker und hakt noch einmal nach: "Nun, sag mir schon, was ich bedrückt, ma sa'nu (Mama)."

So erzähle ich ihm von Winatarons vermutlichem Schicksal, das damit ja auch gewissermaßen zu meinem Schicksal geworden ist. Natürlich hatte ich es nicht anders erwartet, dass er mir seine Hilfe anbietet. Doch ob mein muntxatan (Ehemann) sich einer Untersuchung in der Menschensiedlung zwischen all den Steinbauen und angeschlossen an die vielen Menschenmaschinen unterziehen würde, wage ich zu bezweifeln. Ich selber lehne es auch eher ab, weil ich mich an die große Maschine erinnere, die vor einiger Zeit in den nahen Fluss gestürzt war und das Wasser sehr stark verschmutzt hatte. Nur mit vereinten Kräften war es uns damals geglückt, einen große Katastrophe von unserem Land abzuwenden. Wenn ich nun darüber nachdenke, dass mein yawntu (Liebster) an irgendeine fremdartige Maschine angeschlossen werden soll, nur damit wir vielleicht doch noch ein Kind bekommen können... und dass diese Maschine dann kaputt geht und irgendetwas sehr schlimmes mit Winataron anrichtet?  Kehe! Kawkrr! (Nein! Niemals!)  Das will ich bestimmt nicht und ich weiß, Wina möchte es bestimmt ebensowenig.  Lieber werde ich mit ihm gemeinsam ohne eigene Kinder alt und wir erfreuen uns der Kinder, die Eywa vielleicht unserem Clan noch schenken mag oder es klappt vielleicht doch noch. Eine, wenn auch sehr geringe Chance gibt es ja noch...

Ich schlage dann vor, dass wir uns auf einen dicken Ast in einem der hohen Bäume setzen, da wir hier ungestört sind und während unserer Unterhaltung gleichzeitig einen Blick in den Himmel werfen können. So beenden wir unser Thema dann und wechseln den Standort. Im weiteren Verlauf unserer Unterhaltung kommen wir dann auf Eywa zu sprechen. Dallan wundert sich, dass ich überhaupt keine Furcht davor habe, eines Tages zu ihr zu gehen, ja dass ich mich vielleicht schon ein wenig darauf freue, wenn man es so sagen kann. Wobei das Wort Freude hier natürlich eine ganz spezielle Bedeutung hat. Jeder Na'vi lernt von Kindesbeinen an, dass die Energie, die Eywa uns zum Leben gibt, nur geborgt ist und dass wir sie eines Tages zurück geben müssen. Unsere Körper werden in eywa'eveng (Pandora) vergehen, aber unsere Seelen werden zur großen Mutter gehen und wir werden dort wieder alle vereint weiter bestehen.

Dallan hat es schwer, meinen Ausführungen zu folgen, denn von dort wo er herkommt, gibt es so etwas nicht. Auch die Verbindung zwischen uns und den Tieren, Pflanzen und anderen Na'vi gibt es bei ihnen nicht. Ich ahne, dass dies vielleicht eine Erklärung für ihr Verhalten sein könnte, sich immer alles nehmen zu wollen, auch wenn es ihnen gar nicht gehört. Für sie zählen nur Erfolge und Dallan erklärt mir, dass es schon ausreichen kann, dass jemand ein Mal im Leben etwas Pech hat, um dann von dem eigenen Volk ausgegrenzt und verachtet zu werden. Sie nennen es dann "Kein Dach über dem Kopf haben" oder so ähnlich.

Ich versuche Dallan mit immer anderen Beispielen zu erklären, was Eywa ist und schließlich kommt mir die Idee, ihm folgendes zu erklären. Ich beginne: "Ma Txällän, versuche Dir vorzustellen, dass ein ganzes Volk ihre Körper aufgibt und dass ihre Seelen in einem einzigen Wesen vereint weiter leben. Sie sind nicht mehr greifbar für die Hände, aber über das Tsaheylu (neuronale Verbindung) können wir mit ihnen sprechen und sie mit uns. Wir können Gefühle und Bilder austauschen, fast so wie ich es mit Dir gerade mache."

Dallan hört mir sehr interessiert zu und fragt mich dann: "Ma sa'nu (Mama), dann werde ich Dich ja niemals hören oder spüren können, wenn Du mal nicht mehr lebst, denn ich habe ja nicht solch einen Zopf wie Du."  Ich stimme ihm zu, muss aber doch etwas schmunzeln, da wir beide ja wissen, dass wir Na'vi viel länger leben als die sawtute (Himmelsmenschen). So werde ich ihn, wenn Eywa es so für mich vorgesehen hat, sehr wahrscheinlich überleben.

Mir kommt der Gedanke, dass, sollte dies eintreffen, es dann durchaus die Möglichkeit für uns beide gibt, dass wir miteinander in Kontakt treten können. Vorausgesetzt Eywa würde ihn, also seinen Geist in sich aufnehmen, dann wäre es möglich... Doch ich sage ihm zunächst nichts von diesem Gedanken, da er mir zu unglaublich erscheint. Denn ob Eywa die Seele eines tawtute (Himmelsmenschen) in sich aufnehmen würde, das vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht befrage ich Kee, die Tsahìk (spirituelle Clanführerin) einmal dazu...

Plötzlich werden wir von Ya'rrì, meinem Ikran überrascht, der wieder einmal fast im Sturzflug vom Himmel gefallen kommt und dann in aller Eile einmal der Länge nach über unser Tal hinwegfegt, wobei er ein ohrenbetäubendes Kreischen verlauten lässt. Nun, ich kenne das von ihm und winke ihm nur nach. Dallan hingegen muss ein Gefühl haben, jeden Moment gefressen zu werden. Ich kann ihm jedoch seine Sorge abnehmen und ihn beruhigen. Wir lachen dann belustigt über diese Situation und fahren schließlich mit unserem Gespräch fort.
Wir reden und reden und Dallan fragt mich immer neue Fragen, interessante und nicht einmal dumme Fragen. Überhaupt scheint er an allem fast mehr Interesse zu haben als daran, seine Geräte zu reparieren, mit denen er seine Luft herstellen kann. Jedenfalls hat er heute endlich einmal eines geschafft: Er hat mich, zumindest für eine ganze Zeit lang von meinen Gedanken an Winataron und unserem Schicksal ab gebracht. Als ich ihm dann anbiete, dass wir hier oben im Baum übernachten, verzieht er jedoch sein Gesicht und schüttelt den Kopf. Ich muss grinsen, verstehe ihn aber und so schlage ich vor, dass wir gemeinsam am Feuer vor unserer Höhle übernachten.

Ich lege rasch noch einige Holzstücke ins Feuer und besorge uns einen Krug mit frischem Wasser, dann legen wir uns jeder auf ein Fell. Ich merke, dass ich sehr müde bin und schlafe sehr schnell ein. Meine letzte Erinnerung ist jedoch wieder eine Bild von meinem yawntu (Liebsten), den ich jetzt gerne in meine Arme schließen und ihm meine Nähe und Liebe schenken würde...

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