Montag, 1. April 2013

Ok / Erinnerungen

Ok - Pxaya u lamen 
(Erinnerungen - Vieles ist geschehen)


Ein schöner Tag neigt sich nun wieder langsam seinem Ende und ich sitze auf dem kleinen Felsen vor dem großen Wasserfall und beobachte die wundervollen Farbenspiele, die die unzähligen Wassertropfen im Licht der untergehenden Sonne vollführen. Ich bin gerne an Orten wie diesem und, obwohl ich gern von meinen smuktu olo'ä (Geschwistern des Clans) umgeben bin, genieße ich auch hin und wieder die Ruhe und das Alleinsein.

Während in der Ferne am Himmel krächzend einige Ayikran (Banshees) vor dem tiefen Rot der untergehenden Sonne vorüberziehen und ich dem Rauschen des unter mir fließenden Flusses lausche, kommen mir nach und nach Bilder und Erinnerungen in den Sinn. Ich blicke kurz zur Feuerstelle hinüber, sehe sie alle vor meinem geistigen Auge dort sitzen und höre ihnen zu, wenn sie ihre Geschichten aus vergangenen Tagen erzählen. Beileibe, nicht alle diese Geschichten und Erinnerungen sind schön und manches möchte man wohl lieber vergessen, aber sie sind nun mal Teil eines jeden Einzelnen.

Ein nicht sehr hoch über mir vorüber zischender Ikran lässt mich ein wenig erschrecken und zu ihm aufsehen. Oft drehen sie in den Abendstunden ihre Runden über unserem Tal und manachmal, obwohl sie eigentlich hoch oben in den Bergen leben, sind es auch unsere eigenen Tiere, die uns dann nicht selten mit krächzenden Schreien begrüßen. Hin und wieder überkommt mich das Gefühl, dass sie auf uns aufpassen, was natürlich nicht der Falls ist, sind es doch an sich wilde Tiere.

Meine Augen widmen sich wieder den glitzernden Farbenspielen des Wasserfalls und mir kommt meine lange Suche nach Kee'lanee in den Sinn. Es war eine sehr gefährliche Reise, aber ich habe auch sehr viele neue Erfahrungen gemacht, habe smuktu (Geschwister)  von anderen Clans kennen gelernt und deren Lebensweisen. Der alte Olo'eyktan  (Clanführer), der seinen Platz zum Sterben aufgesucht hatte, kommt mir in den Sinn und seine Frau, die mich sehr herzlich aufgenommen und mir ihre Hilfe angeboten hat. Ich glaube, ich werde sie eines Tages noch einmal besuchen, nur dann nicht alleine, sondern mit meinem muntxatan  (Ehemann) Winataron. Er wird sie bestimmt mögen, glaube ich.

Wieder vernehmen meine immerzu lauschenden Ohren ein Geräusch und lassen meinen Blick in Richtung unseres Lagers wandern. Vor einigen Tagen, wir saßen gerade am Feuer beisammen, bemerkte ich es zum ersten Mal. Ein kleiner syaksyuk (Affe) hatte sich bis dicht an unser Lager heran gewagt, war aber dann quiekend und glucksend wieder im Dickicht verschwunden. Nun ist er wieder da und schleicht sehr wachsam dicht an der Feuerstelle umher. Ob er etwas oder jemanden sucht?  Er scheint mich nicht zu bemerken. Wie lange ist es her, kommt mir die Frage in den Sinn, dass ich zuletzt einen von ihnen gesehen habe?  In unserem alten Tal habe ich sie niemals gesehen und noch nicht einmal ihre Rufe gehört.

Mein Herz beginnt etwas schneller zu pochen, als ich an Winataron  denke. Manchmal ist es mir, als hätte ich ihn gerade gestern erst zu den Iknimayafelsen (schwebende Felsen)  hinauf begleitet, damit der sich dort seiner Prüfung stellen kann. Zufrieden lächle ich, denn das Bild, als ich ihn im Geiste auf seinem Ikran davon fliegen sehe, werde ich so bald nicht vergessen. Er war ein guter Schüler und ist ein sehr liebevoller Ehemann.

Plötzlich kommt mir Aketuan in den Sinn, mein einstiger yawntu  (Liebster). Was mag aus ihm geworden sein?  Wohin mag ihn unsere große Mutter geführt haben?  Ob es ihm gut geht und ob er vielleicht eine neue yawntu gefunden hat?  Vielleicht hat er auch längst eine eigene Familie?  Vielleicht lässt Eywa  (die große Mutter)  unsere Wege noch einmal kreuzen und wir begegnen uns irgendwann und irgendwo.

Die Sonne ist nun fast untergegangen und ihr glutrotes Licht scheint die abertausenden Wassertropfen des Wasserfalls vor dem wolkenlosen Himmel verbrennen zu wollen. Der leichte Wind trägt den Rauch unseres Feuers zu mir hinüber, was in mir Gedanken an sehr weit zurückliegende Tage auslöst.

Sey, dessen eigentlicher Name ja Seykxel ist, ein Name, den er einst von dem Clan bekam, da er sich nicht mehr an seinen richtigen Namen erinnern konnte. Überhaupt hatte er fast alle seine Erinnerungen verloren und es ist noch gar nicht so lange her, denn erst nach seinem Uniltaron   (Traumjagd) kamen seine Erinnerungen nach und nach zurück und seit einiger Zeit wissen wir, dass seine Mutter ihn Kanuaeltu genannt hat. Dennoch ist und wird er für uns immer Sey bleiben. Er selber will es auch gar nicht anders.

Mittlerweile ist er sempu (Papa) und er ist, wie ich finde, einer der besten Väter, die sich ein Kind wünschen kann. Seit Tsìlpey, sein Töchterchen, zur Welt kam, hat sich vieles im Clan geändert. Ich persönlich liebe die kleine tsmuke (Schwester) über alles und immer, wenn ich sie sehe und erst recht, wenn ich sie mal auf den Arm nehmen darf, überkommt mich ein unglaubliches Gefühl von mütterlicher Zuneigung zu ihr. Mittlerweile ist es wohl kein Geheimnis mehr, dass auch ich gerne sa'nu (Mama) werden möchte, aber ich will es auch nicht übereilen, zumal ich glaube, dass sich Wina noch nicht bereit dazu fühlt. Eywa, so weiß ich ganz sicher, wird den richtigen Zeitpunkt dafür wählen...

Schreie, die aus weiter Ferne an meine Ohren dringen, lassen mich etwas aus meinen Gedanken aufschrecken und ich bemerke erst jetzt, dass ich schon sehr lange hier sitze. Ein Schwarm Ayfkio  (flamingoähnliche Tiere)  zieht, wohl auf der Suche nach Nahrung, am nächtlichen Himmel seine Kreise. Es ist tiefe Nacht geworden, die Sterne stehen hoch am Himmel und der sanfte, vom Lager her zu mir herüberwehende Wind verrät mir, dass das Feuer langsam zu erlischen droht. Müde, aber dennoch zufrieden und voller Zuversicht auf die vor uns liegende Zukunft gehe ich zum Feuer, um einige neue Holzscheidte nachzulegen, damit wir das Feuer morgen nicht ganz neu entfachen müssen.

In unserer Höhle sind wohl mittlerweile alle in tiefem Schlaf und so schleiche ich mich zu meinem muntxatan (Ehemann), um mich eng an ihn zu schmiegen. Zu meiner Verwunderung jedoch schläft er noch nicht und schließt mich zärtlich in seine Arme. Er hatte mich wohl vorhin dort draußen sitzen sehen und, da er mich nun lange genug kennt, geahnt, dass ich ein wenig alleine sein wollte. Während ich ihm sehr leise flüsternd, um die anderen nicht zu aufzuwecken, von meinen Gedanken und Erinnerungen berichte, streichelt er mir sanft über den Rücken. Ich liebe ihn dafür jeden Tag aufs Neue.

Wie lange ich noch erzähle, weiß ich nicht und ob ich ihm alles erzähle, denn irgendwann schlafe ich, seine zärtlichen Hände spürend, in seinen Armen ein...



1 Kommentar :

Unknown hat gesagt…

Wieder einmal ein sehr schön geschriebener Beitrag, wie alles aus Kxirya's Feder!

Euch allen nochmals meine Gratulation zu dieser sehr gelungenen Webseite.

Aketuan te Kllway Ateyan 'itan